Landesbloggerin Hannah hat Prag von seiner brutalistischen Seite entdeckt –  mithilfe des Online-Stadtplans  „Brutalní Praha“. Hinter der Karte steckt ein Prager Künstlerkollektiv, das den Brutalismus von seinem negativen Image befreien möchte.

In Tschechien hat der Brutalismus keinen guten Ruf. Gebäude in diesem Baustil werden oft als sozialistisch abgestempelt. Das Prager Künstlerkollektiv Architektura489 möchte mit seinem Projekt „Brutalní Praha“ die Wahrnehmung des Brutalismus verändern, wie sie gegenüber tschechischen Medien erklärten. Ihr Ziel ist es, Brutalismus einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie wollen den Brutalismus losgelöst von einer bestimmten politischen Ideologie, als international verbreiteten Architekturstil beleuchten.

Ein Screenshot des online Stadtplans „Brutalní Praha“.
Mithilfe der Karte von A489 kann man brutalistische Bauwerke in Prag entdecken. Credit: Screenshot A489

Dafür haben sie einen Stadtplan erstellt, der über 200 bedeutende brutalistische Gebäude umfasst, die zwischen 1948 und 1989 errichtet wurden. Der Plan ist sowohl online als auch in gedruckter Form erhältlich und gibt weiterführende Informationen zu den jeweiligen Bauwerken. Auch wenn das Projekt bereits 2016 entstanden ist, wächst die Plattform noch – viele Bauwerke sind im Plan verzeichnet, doch bei einigen fehlen Bilder und Hintergrundinformationen.

Hotel Pyramida

Die Fassade des Pyramida Hotels in Prag.
Das Hotel Pyramida wurde 1986 unter der Adresse Bělohorská 24 in Prag 6 erbaut. Credit: Hannah Meurer

Neben bekannten Gebäuden, wie der Neuen Bühne des Nationaltheaters, finden sich auf der Karte von A489 auch brutalistische Bauwerke abseits des Zentrums – darunter das Hotel Pyramida. Von außen wirkt es wie ein riesiger verwinkelter, futuristischer Klotz. Je nach Blickwinkel zeigt sich die Fassade in ganz unterschiedlicher Form. Die Fassade des Gebäudes schreit „Sozialismus“ – für die Hotelbesucher zumindest. In den Google-Maps-Rezensionen wird nicht nur der Hotel-Service kommentiert: „Der Sozialismus atmet aus allen Ecken“. Die offizielle Antwort des Hotelmanagers darauf lautet: „Das Äußere, das noch aus der sozialistischen Zeit stammt, ist schwer loszuwerden, aber das Innere ist jetzt völlig zeitgemäß und modern“. Auch andere äußern sich in ihren Rezensionen zur Architektur des Gebäudes: „Der erste Eindruck war zwar etwas schockierend, aber es ist offensichtlich, dass dieses Gebäude zu Zeiten des Sozialismus erbaut wurde“.

Brutalismus auf dem Petřín-Berg

Die Betonpfeiler entlüften den Tunnel, der unter dem Strahov Stadion verläuft.
Die Betonpfeiler entlüften den Tunnel, der unter dem Strahov-Stadion verläuft. Credit: Hannah Meurer

Wer sich für Brutalismus interessiert, sollte auch einen Abstecher nach Strahov machen. Dort findet man auf der Online-Karte von A489 gleich mehrere Markierungen an einem Ort. Neben dem verlassenen Strahov-Stadion ragen zwei massive Betontürme aus dem Boden. Sie verschmelzen mit dem Grau des Himmel und der Umgebung. Die Türme haben eine Funktion: Die „Schornsteine“ aus Beton, Glas und Stahl sind Teil eines Entlüftungssystems und befreien den in der Nähe gelegenen Strahov-Tunnel von Abgasen. Direkt daneben befinden sich zwei weitere Gebäude: eines ist ein zusätzlicher Bestandteil der Belüftungsanlage und das andere dient als Kontrollzentrum des Entlüftungssystems. Pavlína Karbanová Krásná, eine der Köpfe hinter A489, beschreibt die Architektur treffend: „Das Kontrollzentrum des Strahov-Tunnels sieht aus wie ein Raumschiff, das zur letzten Spartakiade angekommen ist.“ Die Autorin spielt damit auf die Massensportveranstaltungen an, die einst im Strahov-Stadion der ehemaligen Tschechoslowakei stattfanden.

Das Kontrollzentrum des Entlüftungssystems des Strahov-Tunnels in Prag.
Das Kontrollzentrum des Entlüftungssystems sieht aus, als wäre es direkt aus einem Science-Fiction-Film entsprungen. Credit: Hannah Meurer

Imagewechsel auf TikTok beginnt bereits

„Hässliche Betonbauten“, „sozialistische Mahnmale“, „Bauten von einem anderen Planeten“ – die Geister mögen sich scheiden, aber eines ist sicher: Auf TikTok erlebt der Brutalismus bereits eine Renaissance: Die Plattform ist voller Videos von erdrückenden, massiven und monotonen Betonbauten, die – untermalt mit düsterer Musik –  eine dystopische Atmosphäre erzeugen. Häufig zeigen die Videos ikonische Bauwerke wie den Trellick Tower in London oder das Torres Blancas in Madrid.  Prager Brutalismus auf TikTok? Fehlanzeige. Unter dem Hashtag #brutalistprag finden sich bisher nur wenige Videos. Durch die interaktive Karte von A489 könnte sich das in Zukunft ändern.

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