Als Krönung einer außergewöhnlichen Saison schafft Bohemians Prag erstmals seit der Saison 87/88 wieder die Qualifikation für Europa.
So ein Fußballfeiertag, um den es sich am 27. Mai für uns Bohemka-Verehrer naturgemäß handelte, beginnt ja für einen Leipziger schon ziemlich früh. Aber ach! Die Annäherung an Prag wurde fast ein Abenteuer: Der RE nach Dresden um 8.00 Uhr fiel aus. Denn der Fußballfan reist selbstverständlich mit der Bahn an. Und mit der Einführung des Deutschlandtickets selbstverständlich bis Bad Schandau mit dem Regionalverkehr. Im Web wird dann bei cd.cz ein Ticket von Niedergrund (Dolní Žleb) nach Prag erworben (zu 255 Kronen, also ca. 10 Euro). Eigentlich. Denn der RE musste repariert werden und fiel eben mal aus. Kein Ersatz, nirgends. Also blieb nur der ICE um 8.31, was hieß: 18,95€ für nix. Und auch nur, wenn man eine Bahncard 50 hatte. Denn die Bahn erkennt das Deutschlandticket nicht an im ICE, auch wenn der RE ausfällt. Ein Unding! Denn wer ist hier der Verursacher des Schadens? Im Hauptbahnhof von Dresden wurde die S-Bahn nach Bad Schandau nur durch beschleunigten Laufschritt noch knapp erreicht. Hat er tschechischen Boden erreicht, atmet der Bahnfreund auf. Hier funktioniert die Bahn zuverlässig. Umstieg in Tetschen (Děčín) und der Schnellzug erreicht den Prager Hauptbahnhof auf die Minute pünktlich um 13.12 Uhr.

Die böhmischen Genossen empfingen uns in klassischem Grün-Weiß und nach einer kleinen Wanderung über den Žižkover Berg landeten wir bei U Tellerů am Jiří-Podiebrad-Platz. Dort steht auch die expressionistische Kirche des abgefahrenen slowenischen Architekten Jože Plečnik. So ein Fußballfeiertag verlangt nach guter Vorbereitung: Vor allem muss man gestärkt in so ein Match gehen. Nach einer Spargelsuppe und einem kleinen Tatar, beides ausgezeichnet, verzehrte ich einen nie so gut zubereiteten, völlig neu interpretierten Szegediner Gulasch. Sensationell gut. Der Kohl als trockene Essenz und das Fleisch noch ganz unaufgeschnitten. Und weil so eine Vorbereitung solide und gut sein soll, aß ich danach noch etwas Rindfleisch auf Dillsauce. Ebenfalls sensationell gut. Das eine oder andere Pilsner Bier dazu versteht sich von selbst. Aber der Uhrzeiger bewegte sich auf drei zu und wir mussten weiter. Den Berg hinunter nach Wirschowitz! Feierliches Treiben rund ums Stadion, es musste ein großer Tag werden!

Am Ende Platzsturm

Bei idealem Fußballwetter und vor nahezu ausverkauftem Haus mit 5 800 Zuschauern (die Kapazität beträgt jetzt 6500) wurde das Match um 16.00 Uhr angepfiffen. Das Spiel selbst war mäßig und eigentlich fast egal. Denn viel konnte nicht mehr passieren. Durch den zweiten Auswärtssieg in Pilsen am Dienstag zuvor hatten wir eine sehr komfortable Ausgangssituation. Während ein Unentschieden gegen Olmütz für uns reichte, hätte der 1. FC Slovacko bei Slavia gewinnen und wir zwingend verlieren müssen. Doch ziemlich unwahrscheinlich, all das. Und weil unser Wirschowitzer Nachbar Slavia schon zur Pause solide 2:0 führte, konnte da nicht mehr viel anbrennen (Endstand 3:0). Irgendwie schon ärgerlich, dass in der 87. Minute der riesige Olmützer Innenverteidiger Vít Beneš nach einer Ecke noch zum 0:1 einköpfte, aber das konnte nichts mehr am Erreichen des eigentlichen Zieles ändern. Die größten Enthusiasten im Kotel saßen da schon auf dem Zaun und harrten ungeduldig des Schlusspfiffs: Platzsturm, was denn sonst! Äußerst ausgelassene Stimmung im Ďolíček! Aus Betreuerbänken wurde ein provisorisches Podium errichtet, von wo sich die Helden ausgiebig feiern ließen. Es war eine allgemeine große Freude!

Nebenbei sei bemerkt, das Sparta Meister wurde, was aber schon am Dienstag zuvor feststand. Man muss dazu wissen, dass in Tschechien bei Punktgleichheit nach den Playoffs die bessere Platzierung nach der Hauptrunde, also nach 30 Spieltagen, ausschlaggebend ist. Der Anblick der Tabelle mit deutschen Augen verwirrt da etwas, denn Slavia hat das weit bessere Torverhältnis. Pokalsieger wurde Slavia durch ein 2:0 am 3. Mai gegen Sparta. Hier müssen wir natürlich nochmal auf das Halbfinale zurückkommen, insbesondere das Match unserer Lieblinge gegen Slavia im Eden am 5. April. Es war ein großer Abend! Wir gingen zweimal in Führung, einmal früh und dann nochmal in der 84. Minute. Aber dann passierte das Ungeheuerliche: in der 90. + 6. Minute schießt Ondřej Lingr den Ausgleich für Slavia. Ich saß gerade in der Straßenbahn in Leipzig und hätte fast in mein Handy gebissen. Schon minutenlang drückte ich genervt den Refresh-Knopf, aber der Schiri wollte einfach nicht abpfeifen! Und dann das! Es kam, wie es kommen musste, Slavia schoss in der Verlängerung noch ein Tor und gewann mehr als glücklich. So nah waren wir dem Finale sehr lange nicht!

Fast wie 83

Für unsere Bohemka ist diese Saison zweifellos die schönste seit langem. Das passt auch sehr gut zu einem Jubiläum: Vor 40 Jahren wurden wir das erste und einzige mal tschechoslowakischer Meister. Zudem legten wir im Frühjahr 83 eine sensationell starke Europapokalsaison hin. Erst im Halbfinale des UEFA-Pokals scheiterten wir am RSC Anderlecht, der dann den Pokal auch gewann. Auf dem Weg dahin gab es rauschhafte Abende im Ďolíček. Ausgeschaltet wurden neben Admira Wacker Wien und Servette Genf auch der französische Rekordmeister AS St. Etienne und im Viertelfinale Dundee United. An dieses bislang erfolgreichste Jahr der Klubgeschichte erinnerten in den letzten Monaten schöne Abende im Wirschowitzer Theater gleich oberhalb des Stadions. Die Helden von damals hatten ihren Auftritt, es waren rundum gelungene Abende schöner Erinnerungen und süßen Ruhmes.

Der Autor ist Herausgeber des Leipziger Stadtmagazins „Kreuzer“.

Der Text ist in der Juni-Ausgabe des Landesechos als Teil der Kolumnenserie „Im Zeichen des Kängurus“ erschienen. Sie möchten die Kolumne regelmäßig lesen, dann abonnieren Sie das Landesecho.

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