Foto: Detmar Doering

Alles ist zugenagelt. Das Gebäude zu betreten, um seine damals berühmte Innenarchitektur zu bewundern, ist unmöglich. Überall sieht man Verfall. Und der geht bereits an die Substanz. Wenn nicht bald etwas Einschneidendes passiert, könnte der Svět-Palast (Palác Svět) im Stadtteil Libeň (Prag 8) bald seine Zukunft hinter sich haben. Dabei handelt es sich um ein Kulturgut ersten Ranges. Denn kein Geringerer als der Schriftsteller Bohumil Hrabal hat ihm ein literarisches Denkmal gesetzt.

Vielleicht hat man schon schönere Gebäude gesehen, was ja Geschmacksache ist. Vielleicht denkt mancher, es handle sich um ein brutalistisches Relikt des Kommunismus, was zu Recht meist negative Abwehrhaltungen hervorruft. Aber das ist nicht der Fall. Der Palác Svět war ursprünglich ein überaus interessantes funktionalistisches Experiment für eine neue städtische Wohnkultur und stammt aus den Zeiten der Ersten Republik. Zuvor stand hier ein barockes Landhaus, das Mitte des 19. Jahrhunderts vom damaligen Bürgermeister Libeňs (damals noch kein Teil von Prag!), Jan Svět, gekauft wurde. Einer seiner Nachfahren, Ladislav Svět, der als Investor zu Geld gekommen war, ließ es kurzer Hand abreißen und ließ in den Jahren 1932 bis 1934 durch den Bauunternehmer und Architekten František Havlena das heute hier am Elsnicovo náměstí 41/6 (Ecke Zenklova) zu sehende Gebäude errichten.

Das Konzept war neu. Der „Palast“ sollte Miets- und Wohnhaus, Ladenmeile, Kino und Kulturzentrum sein – alles integriert an einem Ort. Neueste Technik kam ins Spiel; nicht nur die im Funktionalismus ja meist übliche kühne Stahl- und Betonkonstruktion, sondern auch neue technische Maßnahmen gegen die Naturgewalten. Das Gebäude reichte mit seinen mehreren Kellern nämlich tief unter den Grundwasserspiegel des nahegelegenen Moldau-Nebenflusses Rokytka, weshalb es komplett in eine dicke Bleiwanne eingesetzt wurde. Hier wurden ingenieurstechnische Weltmaßstäbe gesetzt. Und um das Weltstädtische noch zu unterstreichen, erlaubte sich der Besitzer beim Namen auch ein Wortspiel, das natürlich nur im Tschechischen funktioniert. Das Wort „Svět“ ist nicht nur ein Name, sondern bedeutet auch so viel wie „Welt“. Vielleicht sollte „Palác Svět“ nicht nur Besitzverhältnisse markieren, sondern „Welt-Palast“ bedeuten. Deshalb erkor man auch eine tschechoslowakisch (heute tschechisch) beflaggte Weltkugel zum hoch über dem Eingangsbereich anmontierten Symbol des Gebäudes.Foto: Detmar Doering

Da es sich eben nicht um billige kommunistische Plattenbauweise handelte, waren die Wohnungen hier durchaus beliebt. Die Konstruktion mit den beiden fünfstöckigen Flügeln, die im schrägen Winkel auf den zweistöckigen Eingangsbereich zulaufen, ist ja auch kühn gedacht und beeindruckend. Und direkt neben dem hübschen Schloss von Libeň (Libeňský zámek) mit seinem schönen Park gelegen, befand es sich ja auch in schönster Wohnlage. Kein Geringerer als der berühmte Schriftsteller Bohumil Hrabal wohnte lange Zeit in der Nähe. Etliche seiner Romane weisen daher Bezüge zum Palác Svět auf. Eine Kurzgeschichte von 1966 unter dem Titel Automat Svět beschreibt das ebenso genannte Büffetrestaurant im Palác Svět, in dem er tatsächlich oft und regelmäßig einkehrte. In der Geschichte geht es um einen Selbstmord während einer Hochzeitsfeier im Restaurant. Das Selbstmordthema ließ sich rückwirkend als „vorausschauend autobiographisch“ deuten, weil Hrabal tatsächlich wohl 1997 Selbstmord beging. Die Musikgruppe Jablkoň besang noch 1997 das im Gebäude befindliche berühmte Kino svět als ihren Sehnsuchtsort. So wunderbar es anscheinend die Musen inspirierte, so schlecht meinte es das Schicksal sonst mit dem Gebäude. Unter dem Nazi-Protektorat wurde die Familie Svět enteignet. Eine Versicherung kam nun hier unter. 1947 wurde das Gebäude restituiert, aber schon 1962 unter den Kommunisten abermals enteignet und der staatlichen Bezirkswohnungsverwaltung unterstellt. Nach dem Ende des Kommunismus 1989 misslang die Privatisierung, weil das von Mietern des Gebäudes initiierte Projekt, das den Zuschlag bekam, nicht genug Kapital zur Sanierung des unter den Kommunisten arg heruntergekommen Bauwerks einsammeln konnte.

Seither hat der Staat es schon an etliche andere Investoren verkauft. Der heutige Besitzer, die Firma Crispino nemovitosti erwarb das Gebäude 1998 begann aber erst 2012 mit dem Wiederaufbau, nachdem die Stadt ihm eine Strafe für Nichteinhaltung von Verträgen aufgebrummt hatte. Inzwischen hatten Risse in der Bleiwanne und das Hochwasser von 2002 dem Gebäude zugesetzt. Seit 2011 ist der Palast samt Kino geschlossen. Brisanz gewann die substanzzerstörende Vernachlässigung auch dadurch, dass das Gebäude 2003 unter Denkmalschutz gestellt wurde, was den Investor nicht davon abhielt, bei Baubeginn 2012 wertvolle Teile der Inneneinrichtung zu zerstören. Inzwischen sind die Bauarbeiten wieder weitgehend erlahmt. Einem anberaumten Treffen der Firma mit dem verantwortlichen Stadtrat blieb die Firma fern. Selbst über Abriss wird nun geredet. Möglicherweise hat sich der Investor finanziell verhoben (alleine die Reparatur oder der Neubau der Bleiwanne dürfte Unsummen verschlingen). Wie dem auch sei: Der Verfall geht weiter. Ein Trauerspiel.


Ahoj aus PragAhoj aus Prag! Seit September 2016 leben wir berufsbedingt in Prag. Wir – eigentlich Rheinländer – haben sie schon voll in unser Herz geschlossen, diese Stadt! Deshalb dieser Blog, in dem wir Fotos und Kurzberichte über das posten, was diese Stadt so zu bieten hat und was wir so erleben. Wir, das sind:

Lieselotte Stockhausen-Doering und Detmar Doering

… und unser Hund Lady Edith! Wer sich in Prag einmal umschauen möchte, wird auf diesem Blog nach einiger Zeit sicher Interessantes finden, was nicht jeder zu sehen bekommt, der die Stadt besucht. Viel Spaß beim Lesen!

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