Am kommenden Wochenende finden wieder die Prague Film Awards statt. Zum ersten Mal wird mit der Tragikomödie „Herr Herrmann Mann“ auch ein Kurzfilm des deutschen Regisseurs Lars Smekal in Tschechien gezeigt. Im Interview verrät Smekal, was die eigentliche Botschaft des Films ist und was die Geschichte mit Franz Kafka zu tun hat.
LE Ihr Film „Herr Herrmann Mann“ basiert laut eines Statements von Ihnen auf einer Kurzgeschichte, die Sie vor einigen Jahren verfasst haben. Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie zu der Geschichte inspiriert hat?
Ich habe die Kurzgeschichte 2015 geschrieben und die ist tatsächlich das Voice Over, was im Film auch zu hören ist. Es war eigentlich eine Schreibübung, die ich damals gemacht habe. Und zwar geht man da so vor, dass man der Geschichte irgendeinen prägnanten Namen gibt – in dem Fall Herrmann Mann – und dann schaut man, was dabei rauskommt. Ich bin schon seit ich zwölf bin viel mit Kurzgeschichten, auch Lyrik unterwegs gewesen und ich habe immer in mir selber so einen Perfektionisten gehabt, dass die Sachen nie gut genug waren und nie fertig geworden sind und irgendwann habe ich mir angeeignet, Sachen, die ich schreibe, eigentlich fast gar nicht mehr zu editieren, um den Zeitgeist, um diese momentane Gefühlswelt, die ich beim Schreiben habe, und diese Stimmung nicht mehr zu verfälschen. So habe ich meine eigene perfektionistische Veranlagung besiegt, sage ich mal. Und aus diesem Schreibfluss ist auch „Herr Herrmann Mann“ entstanden. Mit dem Text bin ich auf Lesungen aufgetreten und habe gemerkt, dass der sehr gut ankommt. Ich hatte aber auch immer schon die Bilder im Kopf, deswegen habe ich mich entschlossen, die Kurzgeschichte dann auch zu verfilmen.
LE Das Ende des Films ist tragisch, aber auch ein bisschen komisch. Wie reagiert das Publikum zumeist, lachend oder ein bisschen nachdenklich?
Ich glaube, dass der Film beides verbindet. Er ist natürlich auf den ersten Blick sehr witzig, aber auch tragisch. Und das Lachen kann auch im Halse steckenbleiben. Die Erfahrung zeigt aber, dass dieser skurrile Humor das Publikum erstmal zum Lachen verleitet. Das ist auch ein bisschen ein Sich-selbst-auf-die-Schippe-nehmen, z. B. in den Szenen, in denen ich in Zeitluppe jogge und es dann diese Close-up-Einstellungen auf den Bauch gibt. Das ist natürlich auch witzig gemeint, aber ich glaube, dass in jedem komödiantischen Film oder in jeder witzigen Geschichte existenzielle Probleme der Menschen stecken. Im Fall von Hermann Mann, wenn man das ein bisschen analysiert und genau betrachtet, hat das Paar ja eine gescheiterte Schwangerschaft hinter sich. Also, sie haben das Kind verloren und wie gehen beide nun damit um? Die Frau hat ihren eigenen Weg, damit umzugehen und dann ist da Herrmann, der sich ganz abkapselt, zum Laufen geht und sich gar nicht damit auseinandersetzen will. Ich glaube, diese tragischen Momente in diesem Witzigen, die sind ganz wichtig, damit da nicht bloß eine belanglose Geschichte erzählt wird, sondern es ist was, was uns Menschen zutiefst im Inneren trifft. Ich glaube, dass der Film aber eher als Komödie angesehen wird. Er hat auch ein paar Comedypreise gewonnen. Für mich persönlich steckt aber wirklich drin, dass das Leben vergänglich ist und manchmal verpasst man die Chance, sich gegenseitig zu sagen, was man fühlt oder sich auszusprechen, und irgendwann ist der Zug abgefahren im metaphorischen, im Film dann auch visuellen Sinne.
„Für den Hobbyathleten Herrn Herrmann Mann ist es ein Tag wie jeder andere – seine Frau Frauke Mann tobt und wütet wieder einmal. Während Mozarts ‚kleine Nachtmusik‘ auf seinem Discman erklingt, zieht Herr Mann hastig seine Laufschuhe an und flieht anschließend in die Natur. Am Bahnübergang im Wald kann er vor den verschlossenen Schranken kurz verschnaufen. Da fällt es ihm plötzlich siedend heiß ein, warum Frauke so bös mit ihm war: Er hat ihren drölfzigsten Hochzeitstag vergessen.“
LE Im Film spielen Sie die Hauptfigur, Herrn Mann, selbst. Steckt auch ein bisschen Herrmann Mann in Ihnen?
Mit Sicherheit, hundertprozentig. Ich glaube, dass in jedem von uns auch ein bisschen „Herrmann“ steckt, der sich in sich zurückzieht und einen Schutzwall aufbaut, und sich so auch von anderen Menschen abkapselt, vielleicht aus Angst verletzt zu werden, aus Selbstschutz, und sich einfach mit bestimmten Dingen ablenkt, um sich nicht diesen großen Konflikten im Leben stellen zu müssen. Also, diese Fluchtbewegung, anstatt mit sich seiner Frau auszusprechen, einfach wegzulaufen. Ich glaube, das kennt jeder von uns. Und ganz persönlich: Ich habe auch schon in anderen Filmen immer so eine Art Außenseiterrolle beleuchtet oder Menschen, die sehr in sich gekehrt sind. Das ist eine Sache, die mich interessiert, und diese Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, dass es irgendwann mal zu spät ist, dass man im Hier und Jetzt lebt, aktiv werden und auf die Menschen zugehen muss. Das ist ein Apell, den ich in der Vergangenheit von mir selber immer wieder erlebt habe. Und natürlich der Wunsch, immer mal wieder, sportlich fitter zu sein, die Laufschuhe anzuziehen und dann in einem halben Jahr die Sportschuhe aber wieder in den Schrank zu räumen, das kenne ich natürlich auch. Dieser Versuch, etwas zu verändern, und dann aber doch wieder in alte Muster zu kommen, das ist auf komödiantische Art und Weise vielleicht auch etwas Selbstkritik.
LE Ist es eigentlich schwierig, gleichzeitig Regisseur und Hauptdarsteller zu sein?
Das ist ein Spagat, den man machen muss. Das geht natürlich nur, wenn man ein Team um sich herum hat, dem man vertraut, auf das man sich verlassen kann, einen Regieassistent oder -assistentin, mit dem oder der man gut funktionieren kann. Man guckt nach den Takes oft nochmal das Replay an und bewertet das selber nochmal. Und letztendlich habe ich ein paar Projekte gemacht, wo ich auch selber gespielt habe. Das sind sehr besondere Projekte, weil ich mich dann selber schon als Besetzung in dieser Rolle sehe. In jüngster Zeit, also in meinem neuesten Film habe ich nur einen kleinen Cameo-Auftritt, habe ich es dabei belassen. Aber gerade beim Herrmann, da ich den Text immer wieder auf Lesungen selber performed habe, habe ich gedacht, dieser Herrmann, das bin einfach ich, und das will ich auch machen. Also es ist schon schwierig. Man muss bestimmte Bedingungen schaffen, damit das gut gelingen kann, damit man keinen Blindflug macht, wenn es keinen Regisseur gibt. Man muss immer wieder die Zeit miteinrechnen, dass man nochmal ins Material gucken muss, sich nochmal besprechen muss mit dem Regieassistenten oder der -assistentin. Das ist eine besondere Herausforderung, die aber funktionieren und sehr viel Spaß bereiten kann.
Ausgerüstet mit seinem Discman und Mozart auf den Ohren dreht Herrmann Mann seine Joggingrunde. Foto: Lars Smekal
LE Warum haben Sie sich eigentlich für Mozarts „Kleine Nachtmusik“ als musikalisches Thema entschieden?
Es gibt einen Film, den ich vor „Herr Herrmann Mann“ gemacht habe, der heißt „Theobald Topferson“. Der kommt aus der gleichen Schaffenszeit wie die Kurzgeschichte von Herrmann Mann und wurde aus der gleichen Schreibübung geboren, einen skurrilen Charakternamen zu suchen. Und da war Mozart schon als Türkischer Marsch zu hören. Und ich habe mir gedacht, irgendwie passen die stilistisch zusammen, daher wollte ich das wieder mitaufgreifen und als Gimmick benutzen.
Zu klassischer Musik laufen gehen ist jetzt vielleicht auch nicht das Normalste. Es gibt dem Charakter irgendwie etwas Eigenbrötlerisches, irgendwas Besonderes, Skurriles. Ich habe mit Mozart immer so das Gefühl, dass das ein Drang nach vorne ist mit der Musik. Da gibt es auch noch eine kleine Anekdote. Ich habe mit vierzehn den Wunsch gehabt, Klavier spielen zu können und meine Mutter hatte ein Keyboard zu Hause. Ich habe mir das über die Osterferien von ihr geklaut und angefangen zu spielen, für mich selber, ohne dass ich jemals Unterricht hatte, und was habe ich gespielt? Ich habe Mozart gespielt und dachte, der Türkische Marsch muss es sein! Und habe die ganzen Osterferien über probiert, jeden Tag, bis ich ihn konnte. Danach habe ich nie wieder Klavier gespielt. Das ist vielleicht also auch aus dieser Erfahrung geboren.
LE In einem Statement zum Film schreiben Sie auch über eine Verbindung von „Herr Herrmann Mann“ zu Franz Kafka. Können Sie das noch einmal erklären?
Ich glaube, für mich persönlich als Künstler ist einer der größten Motoren des kreativen Schaffens eine Art Melancholie, eine gewisse Traurigkeit in den Dingen. Ich habe eben die Vergänglichkeit schon angesprochen. Und ich erinnere mich, im Deutschunterricht viel von Kafka gelesen zu haben. Das hat mich als junger Mensch sehr niedergerungen, weil ich mich sehr reingesteigert habe in die Hoffnungslosigkeit, diese Aussichtslosigkeit. Ich bin das erste Mal nach Prag gereist vor sechs, sieben Jahren. Dort war ich im Kafka Museum und habe mich autobiografisch mit ihm beschäftigt. Da habe ich so einen Text gelesen, wonach Kafka sich während des Vortragens seiner Texte amüsiert haben soll. Also, sich selber gar nicht so ernst genommen hat in der Interpretation seiner Texte, seiner Geschichten, sondern in dieser Ausweglosigkeit eine Art Humor gefunden hat. Und dieses Überschwängliche, Triefende, das ganz Hoffnungslose so zu überzeichnen, dass es diese große Tragödie des Lebens nochmal aufgreift, das fand ich total faszinierend. In dem Moment, als ich das gelesen habe, hat das bei mir ein bisschen Klick gemacht. Ich lese nach wie vor sehr gerne seine Werke. Ich finde das fantastisch als deutsch-tschechisches Bindeglied zu verstehen, an Literatur, an Kultur. Ich könnte mir auch vorstellen, in Zukunft Projekte mit Kafka-Bezug zu machen. Ich habe während des Studiums mal „Vor dem Gesetz“ als kleine Studienübung verfilmt, mit der Türhüter-Prabel, was mir sehr viel Spaß bereitet hat. Es gibt ja Ambitionen in der jetzigen Zeit, Kafka-Stoffe wieder zu verfilmen und ich finde das toll, sich mit solchen Literaturklassikern auch in der jetzigen Zeit zu beschäftigen.
Ich träume eigentlich auch davon, europäisches Kino zu machen, wo man länderübergreifend zusammen Koproduktionen beginnt, sich einfach voneinander inspiriert, motiviert und voneinander lernt. Ich habe schon seit Beginn meines Studiums immer wieder an Austauschprogrammen teilgenommen. Ich war in Belgien, Frankreich, in Polen, in der Ukraine und habe gelernt, mich als Europäer zu fühlen, dass ich da mit großer Neugierde auch auf Tschechien zugehen möchte und mich sehr freuen würde, in der Zukunft Produzenten oder Kooperationspartner kennenzulernen, um was Europäisches oder Deutsch-Tschechisches zu realisieren. Ich glaube, das sind ganz viele interessante Geschichten, die noch unerzählt sind. Ich erlebe es immer wieder, dass in den Köpfen der Eiserne Vorhang, was auch das Kulturelle betrifft, noch existiert. Ich habe Kunstgeschichte im Bachelor studiert und man lernt in diesem Studium – in Regensburg, was wirklich nicht weit weg ist von der tschechischen Grenze – so unglaublich wenig über osteuropäische Malerei, das ist fast erschreckend. Ich glaube, da ist ein so toller Schatz an Geschichten, die es noch wert sind, erzählt zu werden.
Ist der Zug für Herrmann Mann schon abgefahren? Foto: Lars Smekal
LE „Herr Herrmann Mann“ ist auch Ihr erster Film, der in Tschechien gezeigt wird?
Genau. Ich habe mir irgendwann das Ziel gesetzt, in allen Nachbarländern Deutschlands oder in allen Ländern Europas Filmpremieren zu feiern und habe dann angefangen, mich zu bewerben und Filme einzureichen. Tatsächlich hat es jetzt mit den Prague Film Awards geklappt und ich habe gleich gesagt, dass ich in persona hinfahre. Ich finde die Stadt wahnsinnig schön und ich freue mich, am Wochenende wieder da zu sein.
LE Was steht denn noch so auf Ihrem Prag-Programm neben dem Filmfestival?
Vielleicht haben Sie gelesen, dass ich mit meinem neuen Film Premiere in den USA gefeiert habe auf einem Filmfestival. Dort habe ich tatsächlich eine Drehbuchautorin aus Prag kennengelernt, mit der ich mich wiedertreffen und gemeinsam zum Filmfestival gehen werde. Ich werde ein bisschen durch die Stadt stromern und das eine oder andere gute Pilsener trinken. Also ich muss mal gucken, wie es sich zeitlich noch ausgeht. Ich würde auch gerne mal wieder ins Kafka-Museum gehen. Aber es steht erstmal das Festival im Vordergrund.
LE Worauf kann sich Ihr Publikum als nächstes freuen?
Ich arbeite gerade an mehreren Serien-Konzepten. Die sind so strukturiert, dass denen zentral ein europäischer Gedanke zugrunde liegt. Was es genau ist, will ich an der Stelle noch nicht verraten. Ich will aber schon so viel sagen, dass ich ein großes Interesse habe, Produzentinnen und Produzenten und Kooperationspartner auch in Tschechien kennenzulernen, um da länderübergreifend etwas zu erzählen. Ich halte danach Ausschau und lerne da gerade viele Personen kennen und möchte da auch in Tschechien meine Fühler ausstrecken.
Das Gespräch führten Kseniia Pulargina & Manuel Rommel
Die Prague Film Awards finden am 27. & 28. Januar 2023 im Kino Aero statt. Der Kurzfilm „Herr Herrmann Mann“ ist am Samstag, den 28. Januar, im Filmblock ab 17.30 Uhr zu sehen. Mehr über das Filmfestival erfahren Sie hier.
Über Lars Smekal:
Lars Smekal (*1990 in Regensburg) lebt in Mainz und arbeitet als Regisseur und Autor. In seinen Werken beschäftigt er sich inhaltlich besonders mit gesellschaftlichen Themen, in der Vergangenheit etwa mit Sucht im Elternhaus, Einsamkeit im Alter und Menschenhandel.
Sein Bachelorstudium in Kunstgeschichte, Germanistik und Vergleichender Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg schloss er 2017 mit der Bachelorarbeit „Die Welt von Gestern. Wes Anderson’s The Grand Budapest Hotel (2014) als filmisches Panorama des Europäischen Exils“ ab. 2018 wurde er mit dem Deutschlandstipendium ausgezeichnet und war beim bayerischen Jugendfilmfestival mit seinem Film „Die versteckten und stillen Schätze des Lebens“ nominiert. 2020 war er Protagonist der Instagram-Kampagne ,,Zusammen/Wspolnie“ für die Deutsche Botschaft in Warschau. 2021 erhielt er die Film + Medien Nachwuchsförderung Rheinland-Pfalz und das „IM FOKUS – 6 Punkte für die Kultur“ Projektstipendium.
2022 absolvierte er sein Masterstudium an der Hochschule Mainz im Studiengang „Zeitbasierte Medien“. Sein Abschlussfilm „Erinnerungen einer vergessenen Kindheit“ zum Thema Sucht im Elternhaus aus der Perspektive eines Kindes wurde von der staatlichen Filmförderanstalt HessenFilm und Medien gefördert. Der Film feierte seine Weltpremiere in San Diego (USA) und gewann den „Best Drama Short Film“ Preis.