Der plötzliche Tod des Übersetzers und Dolmetschers sowie ehemaligen Geschäftsführers des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, Joachim Bruss, erfüllt seine Wegbegleiter und Freunde mit tiefer Trauer. Mit ihm geht ein großer Brückenbauer zwischen Deutschen und Tschechen. Ans Herz legen möchten wir Ihnen ein Gespräch, das wir 2017 mit Joachim Bruss geführt haben und nun in memoriam veröffentlichen. Darin erzählt Bruss, wie er als westdeutscher Student die Tschechoslowakei des Prager Frühlings und auch die beginnende Normalisierung erlebt hat, wie er dazu kam, für die Deutsche Botschaft in Prag zu dolmetschen und wie er schließlich Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (von 2010-2017) wurde.

LE Sie stammen aus Wuppertal und haben vor Ihrer Zeit beim Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds als Dolmetscher und Übersetzer der Deutschen Botschaft in Prag gearbeitet. Was zog Sie nach Tschechien?

Ich habe keine Verwandtschaft hier, bin kein Sudetendeutscher. Aber ich habe mich hier immer wohl gefühlt. Das ist eine Frage der Mentalität. Das fing damit an, dass das Slawistische Seminar der Universität Bonn, wo ich studierte, im Jahre 1968 eine Exkursion in die Tschechoslowakei angeboten hat, an der ich teilnahm – und zwar vom 15. Juli bis zum 6. August. Bei dieser Exkursion sind zwei Dinge passiert. Erstens, wenn ich es pathetisch formuliere, habe ich mich verliebt, und zwar in die Stadt Prag. Das zweite war, dass ich erfahren habe, dass man ein Stipendium für die Karls-Universität schon während des Studiums bekommen kann. 1969 war ich dann für vier Wochen im Juli und August zur Sommerschule der Karls-Universität in Prag und kam 1970 zunächst für ein Jahr wieder.

LE Wie kommt man im Wuppertal der1960er Jahre darauf, Slawistik zu studieren?

Das ist eine gute Frage, wüsste ich auch nicht. Zunächst einmal hatte ich nach dem Abitur überhaupt nicht vor zu studieren, mit dem Argument: ‚Jeder Blödian studiert, da musst du das nicht auch tun.‘ Dann musste ich allerdings für 18 Monate zum Militär. Ich habe also die längste Wehrpflicht, die es in der Bundesrepublik je gegeben hat, genießen dürfen. Nach der Bundeswehr habe ich dann gedacht: ‚Wenn jeder Blödian studiert, dann kannst du das auch.‘ Ich habe schon im letzten Vierteljahr bei der Bundeswehr angefangen, mit einem Langenscheidt-Buch Russisch zu lernen. Fragen Sie mich nicht warum, das war so. Sprachen haben mich immer schon interessiert. Nach dem Militär bin ich nach Bonn gegangen und habe da angefangen, Slawistik, Germanistik, allgemeine Sprachwissenschaft und Philosophie zu studieren. Dann hat sich aber gezeigt, dass die Slawistik, wenn man sie als volles Fach studiert, für das damals drei Sprachen notwendig waren, sehr expansiv ist und alles andere erschlägt.

LE Sie haben Prag vor und nach dem Einmarsch des Warschauer Paktes kennengelernt. Wie haben Sie die Veränderungen wahrgenommen?

1969 war die Atmosphäre in der Stadt noch recht lebendig. Die Leute haben den Polizisten hinterhergepfiffen und es war eine sehr aufgeregte Zeit. Im Herbst 1970 habe ich dann zunächst ein einjähriges Stipendium angefangen. Da hatte sich die Atmosphäre total verändert. Stille über den Wassern – ticho po pěšině. Plötzlich war das alles zurückgezogen. Es war ein frappierender Unterschied. Ich habe den Wechsel mitbekommen derjenigen, die noch von 1968 übriggeblieben und nicht schon direkt verhaftet worden waren und den Antritt der neuen, schon ausgesuchten Generationen, die ziemlich stromlinienförmig gleich aussahen. Das hat mich aber nicht abgehalten und ich habe den Aufenthalt dann sogar noch um ein Jahr verlängert und blieb bis 1972 hier in Prag.

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Mit dem LandesEcho sprach Joachim Bruss Anfang 2017. Foto: Tomáš Randýsek

LE Danach sind Sie zurückgegangen nach Bonn.

Ja, da habe ich dann zu Ende studiert und habe dann in Bonn meinen Magister gemacht. Dann habe ich 1976 bis 1982 an der Uni in Bonn in einem Forschungsprojekt gearbeitet, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das hatte mit Tschechisch gar nichts zu tun. Da ging es um ukrainische Marienlyrik aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die ich auch in verschiedenen Zeitschriften sammelte. Das hatte den Vorteil, dass damit auch Dienstreisen verbunden waren. Es gibt nämlich drei Sammlungen russischer und ukrainischer Zeitschriften, die sich nicht auf dem Boden der Sowjetunion befanden. Das waren die Pflichtexemplare in Helsinki, dann die Sammlung der Slawischen Bibliothek hier in Prag und die des Instituto Orientale in Rom. So kam ich einmal nach Prag und einmal nach Rom. In der Zwischenzeit habe ich dann noch mit einer leicht überarbeiteten Fassung meiner Magisterarbeit hier in Prag 1980 meinen kleinen Doktor gemacht. So habe ich also von den beiden Universitäten, an denen ich studiert habe, jeweils einen Abschluss.

LE Wie kam es dann zur Arbeit für das Auswärtige Amt?

1974 hatte ich zum ersten Mal über eine Studienkollegin Kontakt zum Auswärtigen Amt. Da ging es um Sprachunterricht. Später kam das Übersetzen hinzu. 1984, als ich schon freiberuflicher Übersetzer war, wurde ich das erste Mal vom Auswärtigen Amt gebeten, Dolmetscher zu spielen als Urlaubsvertretung für vier Wochen in Prag. 1990 habe ich mich dann einfangen lassen und wurde Angestellter im Sprachendienst. 1994 wurde ich nach Prag versetzt, wo ich 2010 auch pensioniert worden bin.

LE Was war denn das Interessanteste, das Sie gedolmetscht haben?

Das war eigentlich alles irgendwie interessant. Wichtig waren die Verhandlungen über den Vertrag von 1992 und dann natürlich am spannendsten die Deutsch-Tschechische Erklärung 1997, die gerade 20 Jahre alt geworden ist. Die war schon heikel. Auf der Ebene gab es sehr vieles, was interessant war, bis hin zur Notwendigkeit, dem deutschen Außenminister Klaus Kinkel das Wesen des tschechischen Verbalaspekts zu erklären. Das war kompliziert und ich weiß auch nicht, ob es gelungen ist. Es gibt aber eine Sache, von der ich sagen würde, dass sie mein schönstes Dolmetsch-Erlebnis war. Das war in der zweiten Jahreshälfte 1992. Da war Václav Havel im Sommer zurückgetreten, weil er mit der Teilung des Landes nichteinverstanden war. Er wurde aber von Bundespräsident Richard von Weizsäcker nach Berlin eingeladen und sie haben sich zum Frühstück getroffen. Es gab also ein Frühstück im Schloss Bellevue in Berlin – Weizsäcker, Havel und ich, sonst niemand. Das war mein schönstes Erlebnis, weil da zwei Leute zusammen waren, die einander etwas zu sagen hatten und sich mochten, bei denen das klappte und die sich anderthalb Stunden lang intelligent unterhalten haben. Ich kam natürlich nicht zum Frühstücken, das war klar, aber Weizsäcker hat mir hin und wieder Tee eingegossen. Das war anstrengend, aber schön. Das war einer der Höhepunkte.

LE Nach Ihrer Zeit an der Botschaft kam dann der Zukunftsfonds.

Den Zukunftsfonds kannte ich schon aus den Verhandlungen, die zu seiner Schaffung führten und bei denen ich dolmetschte. Er stand auch schon in der Erklärung, aber es hat im Anschluss an die Erklärung ein knappes Jahr lang Verhandlungen gegeben, wie Zukunftsfonds und Gesprächsforum ausgestaltet werden sollten. Die waren auch nicht einfach. Die mussten dann zum Schluss auch durch Einsatz des damaligen Botschafters Anton Roßbach gerettet werden. Das hätte auch gut danebengehen können. Das habe ich dann als Angehöriger der Botschaft weiterverfolgt und habe den Zukunftsfonds auch für eine sinnvolle Einrichtung gehalten. Als ich dann pensioniert wurde und ganz unabhängig davon schon beschlossen hatte, hier in Prag zubleiben, kam der damalige Botschafter auf die Idee, ich könnte das doch machen. Ich habe das dann übernommen, weil ich die Arbeit für sinnvoll halte und habe auch Einiges dabei gelernt. Mir wurde dann klar, dass es auch bei ganz kleinen Projekten, wie etwa Feuerwehrfesten, darum geht, dass Leute sich begegnen– auf einer lokalen Ebene. Das ist wichtig. Je besser sie sich kennen, desto weniger sind sie bereit, aufeinander zu schießen. Hoffen wir.

LE Der Zukunftsfonds hat gerade die Absicherung für die nächsten zehn Jahre erhalten. Wo würden Sie ihn dann gerne sehen?

Ich würde ihn gerne so sehen, dass er in Deutschland bekannter ist, als das bislang der Fall ist. Hier ist die Kenntnis auch nicht ideal, aber man weiß hier mehr darüber. Ich denke, dass es da in Deutschland schon noch Potential gibt, gerade auch im Bereich Jugend- und Schüleraustausch. Viele Lehrer und Schulen wissen einfach nicht, dass es die Möglichkeit gibt, dort einen Zuschuss für Klassenfahrten zu bekommen, wenn man ein entsprechendes Programm mit einer Partnerschule macht. Wir schaffen es wohl nicht, so bekannt zu werden wie tschechisches Bier und die Stadt Prag, aber in den deutschen Schulen bekannter zu werden, ist ein Wunsch. Nicht, weil der Zukunftsfonds so schön ist, sondern weil es sinnvoll ist.

Das Gespräch führte Tomáš Randýsek


PhDr. Joachim Bruss wurde am 31.10.1945 in Wuppertal geboren und studierte Slawistik in Bonn und Prag. Von 1984 bis 2010 arbeitete er als Dolmetscher und Übersetzer, auch für das Auswärtige Amt. Von 1994 bis 2010 dolmetschte er für die Deutsche Botschaft in Prag. Danach war Bruss bis 2017 deutscher Co-Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Im Anschluss daran prägte er die Entwicklung des Fonds zwei Jahre lang im Verwaltungsrat mit.

Auf seiner Website schreibt der Zukunftsfonds über Joachim Bruss:

„Als leidenschaftlicher Dolmetscher und Übersetzer war Joachim Bruss über mehrere Jahrzehnte eine maßgebliche Stimme der deutsch-tschechischen Verständigung, unermüdlich räumte er mit dem ihm eigenen Humor Sprachbarrieren zwischen Deutschen und Tschechen aus dem Weg. Seine Verbundenheit mit den Menschen in Tschechien hatte tiefe Wurzeln und reicht bis in die schwierige Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zurück, in der er der tschechischen Gesellschaft zur Seite stand. Als Bohemist und Diplomat knüpfte er Kontakte zu Literaten, die in der Ungnade des kommunistischen Regimes standen, und wurde für viele von ihnen zum Bindeglied zur freien Welt. Insbesondere mit Václav Havel verband ihn eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung, mit ihm teilte er auch die Liebe zum Theater. Auch hier schlug Joachim Bruss die Brücke nach Deutschland und wurde nach der Samtenen Revolution langjähriger Mitarbeiter des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache. Für seinen Beitrag zur Verständigung und zum kulturellen Austausch zwischen Deutschen und Tschechen wurde er zu Recht mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Das hier veröffentlichte Gespräch mit Joachim Bruss erschien zuerst in der LandesEcho-Ausgabe 2/2017.

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