Während des Zweiten Weltkriegs verschleppte Kirchturmglocken kehren in ihre Heimat zurück.

Bisher schallte das Geräusch einer polnischen und einer tschechischen Glocke durch die Kirche „Maria Hilfe der Christen“ in Aichtal-Grötzingen (Diözese Rottenburg-Stuttgart). Kein unüblicher Zufall, denn in den Jahren des Zweiten Weltkriegs wurden rund 100 000 Kirchturmglocken besetzter osteuropäischer Länder für die Herstellung von Kriegsmunition von den Nationalsozialisten abgenommen. Die meisten der etwa 16 000 nicht eingeschmolzenen Glocken wurden in den Nachkriegsjahren an die Heimatgemeinden zurückgegeben. Der Rest, etwa 1300 an der Zahl, fand sich in den Kirchtürmen damaliger westdeutscher Gotteshäuser wieder.

Auf die Schliche kam man der Verschleppung der, vermeintlich einheimischen, Glocken im Rahmen einer Sanierungsarbeit an den Kirchturmglocken des Rottenburger Doms St. Martin im Jahre 2011. Dabei wurden Inschriften entdeckt, die auf eine fremde Heimat schließen ließen. „Die Rottenburger Domglocke aus Landsberg O.S. Gorzуw Śląski ist der Vernichtung entgangen“, berichtete Bischof Fürst aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Schon 2011 wollte ich diese unrechte Geschichte unbedingt zum Guten wenden, zumal schnell klar war, dass wir noch einige weitere Kirchenglocken aus dem heutigen Polen und Tschechien im Bistum haben.“

Die Glocke aus Pist nach ihrer Rückkehr während des Gottesdienstes am 16.10.2021. Foto: Michael Bujnovský

Die Glocke aus Pist nach ihrer Rückkehr während des Gottesdienstes am 16.10.2021. Foto: Michael Bujnovský

Der Klang der Heimat

Im September 2021 war es endlich soweit und die ersten zwei Glocken, eine aus dem polnischen Frauenburg (Frombork) und eine aus dem tschechischen Pist (Píšt’), die in dem Turm der Kirche „Maria Hilfe der Christen“ in Aichtal-Grötzingen gefunden wurden, sollten in die alte Heimat übergeben werden. Bischof Jacek Jezierski aus dem polnischen Bistum Elbing (Elbląg) und Bischof Martin David aus dem tschechischen Bistum Ostrau-Troppau (Ostrava-Opava) reisten für einen dreisprachigen Gottesdienst, in dem die besagten Glocken und ihre neu gegossenen Nachfolger zu Friedensglocken geweiht wurden, nach Deutschland. Die Weihe steht für Versöhnung, Begegnung und die „christliche Überzeugung der Geschwisterlichkeit aller Menschen“, wie es Bischof Fürst erklärt.

Auch Bischof Fürst reiste wenig später nach Pist, um bei der Messe am 16. Oktober 2021 zu Ehren der rückkehrenden Glocke anwesend zu sein. Zudem bedankte er sich dafür, dass eine weitere, ursprünglich aus Pist stammende, Glocke als Dauerleihgabe in der Kirche in Sulz am Neckar bleiben darf. Weiter berichtet er von Gemeindemitgliedern aus Elbing und Ostrau-Troppau, die sich von der Rückgabe tiefberührt zeigten: „Vor Ort habe ich erfahren, was für eine große, emotional tiefgehende Bedeutung dieser festliche Akt für die Menschen hat. Wir Fremden aus Rottenburg wurden als deutsche Glaubensgeschwister und Freunde empfangen.“

Die Glocken, die nach über 70 Jahren in ihre Heimattürme zurückkehrten, werden nun eine essentielle Aufgabe für die folgenden Generationen übernehmen: das Bewusstsein über die „Notwenigkeit der immerwährenden Bemühungen um den Frieden in den Beziehungen zwischen den Menschen und Völkern“, so Bischof Jezierski aus Polen.

Fortsetzung folgt

Das Projekt „Friedensglocken für Europa“ wird auch in Zukunft weiter bestehen. Alle verschleppten Glocken, die aktuell in der Diözese Rottenburg-Stuttgart untergebracht sind, sollen nach und nach in ihre Heimat zurückkehren. Darunter befinden sich auch fünf weitere Pfarreien der tschechischen Diözese Ostrau-Troppau. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart rechnet mit einer Dauer von sechs Jahren und Kosten von rund 2,4 Millionen Euro für das Projekt. Obwohl es sich um ein rein kirchliches Projekt handelt, soll die Idee der grenzüberschreitenden Bewegung „mit großer Offenheit einen Beitrag für das menschliche Miteinander leisten“, so Bischof Fürst. Auch die Gemeindemitglieder der Diözese Rottenburg-Stuttgart freuen sich, einen Beitrag zu dieser Versöhnungsgeste zu leisten.

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