Wenn es draußen früh dunkel und das Wetter kalt wird, dann kommt die Zeit, sich an den gemütlichen Kamin zu setzen und wunderbaren Erzählungen, Märchen und Sagen zu lauschen.

Mettenwein

Einmal am Heiligen Abend kehrte ein großer Herr mit Ross und Knecht spät nachts in dem Dorf Grün bei einem Wirt ein. Sein Knecht ging gleich mit dem Eimer zum Brunn, er wollte die Rösser tränken. Es schlug eben Mitternacht, da schüttete er ihnen das Wasser in den Trog. Doch die Rösser schnupperten daran und soffen nicht. Da leuchtete der Knecht hin und merkte, dass das Wasser sich in Wein gewandelt hatte. Er erzählte das seltsame Ding dem Stallbuben. Und wie ein Jahr um war und wieder die heilige Mitternacht da war, da nahm der Stallbub den Eimer und wollte sich den Mettenwein holen. Wie er aber zum Brunn kam, da sah er zwischen sich und dem Brunn ein zweischneidiges Messer in der Luft. Jetzt dürstete ihn nimmer, und er kehrte um.

Künische Schützen

Die drei Frischbuben gossen in der Mettennacht Kugeln, sie gossen sie auf dem Gerüst ihres Stadels, und die Kugeln fehlten niemals das Ziel. Jetzt schossen die drei vom Frischhof bis zum weit abgelegenen Karlhanselhof und schossen dort dem Bauer einen bayrischen Sechser aus den Fingern. Sie schossen den Hahn im Hühnersteig mitten aus den Hennen heraus. Gar der Frisch Melches war ein fertiger Zauberer. Wie einmal Räuber in den Hof kamen, fror ihnen der Melches die Flinten an die Erde an, dass sie sie nimmer aufheben konnten und davonrennen mussten.

Dazumal brachen auch die Schweden ins künische Land ein. Da schoss der Melches vom Stindelriegel über die Tannen und Felsen unglaublich weit auf den Hammerer Steig hinunter und schoss den Hauptmann, der eine Schärpe trug, mitten aus den Schweden heraus. Wie die Schweden weit und breit keinen Schützen sahen, glaubten sie, ein Feuer sei aus dem Himmel gefallen, und sie kehrten um und marschierten aus dem Land.

Wegen ihrer Tapferkeit hatten die künischen Bauern große Rechte und Freibriefe. Sie waren nicht Leibuntertan, sie zahlten geringe Steuern, sie durften ohne Erlaubnis der Obrigkeit heiraten und brauchten keinen Militärsmann zu stellen. Das närrische Jahr 1848 brachte sie um manche Freiheit. Aber künisch Bauernrecht steht noch in Prag in den Büchern aufgeschrieben mit goldenen Buchstaben.

Dieses Sagen stammen aus dem Buch „Böhmerwald-Sagen“ (1920) von Hans Watzlik, einem deutschböhmischen Schriftsteller. In einem Text über sein Buch schrieb er:

Liebe Landsleute!

Unser Böhmerwald ist ein wunderschönes, tiefgrünes Land voller Berge und Bäume und Bäche und Gottes naher Einsamkeit. Er birgt aber noch einen anderen unendlichen Reichtum, und das sind seine uralten Bräuche und frommen Legenden, seine übermütigen Schwanke und lieblichen Märchen und finsteren Sagen. Besonders die Sage ist es, die unklare Kunde außerwirklicher, wunderbarer Begebenheiten, die um Wald und Wasser und Moor, um Berg und Burg, um Gotteshaus und Bauernhütte, um vergangene Zeiten und Menschen tiefsinnig ihre dunkeln und goldnen Fäden spinnt und mit ihren seltsamen Geschöpfen heimlich unsere Heimat bevölkert und sie uns näher ans Herz bringt. Da lauert am Weiher der Wassermann im grünen Rock, da röhrt der Viehschelm und scheucht die Kühe und weissagt Brand, da klettern staubige Geister übers Mühlrad, der Bandelkrämer lockt mit bunten Bändern die Kinder in die Flut, die Melusine weint im Wind, der Teufel selber hinkt durch den Wald; und allerlei schreckhafte und launische Wesen treiben da ihren Spuck: das Nachtkrallei, das Haarstubenwaberl, die Augstalt, die Luzie, die Moosgeiß, der Hehmann, der Saurüsselmann, – wer kennt es völlig, dieses Volk der Gespensterlein und Ungetüme, der gutmütigen und übelgewillten, der schalkischen und furchtbaren, die seit altersher bei uns gehaust haben neben Raben und Bären und wohl noch da und dort hausen!

Mit diesem Büchlein statte ich dankbar und ehrfürchtig der Heimat zurück, was sie mir geschenkt hat. Ich habe diese treuherzigen Dichtungen zumeist aus dem Munde unseres Volkes gehört und gebe sie dem Volke in unserer waldschlichten Sprache wieder, dass sie weitergereicht werden sollen von der Ahnin dem Enkel und geraunt werden in den Spinnstuben wie vorzeiten, in den Rauhnächten, wenn der Tannenforst draußen schaudert oder die wilde Jagd übers Gebirge fährt.

Diese Sagen sind eine köstliche Blüte unserer Heimatkunst, andere Volksstämme beneiden uns darum. Leset sie öfters und erzählt sie dann anderen aus euch selbst heraus in eurer Art!

Wohl sind die Sagen nur erdichtet und niemals ist das Leben so, wie sie es darstellen, aber dennoch sind sie keine Lügen, sondern in ihnen lebt verschleiert tiefe Wahrheit und ihre wunderseltsamen Begebnisse führen uns weit hinein in die Rätsel der Natur und in verschollene Götterzeit und zurück bis zur Schöpfung unseres Gebirges.

Lassen wir diesen alten Reichtum nicht verderben!

Am Osser zu den Rauhnächten 1920

Hans Watzlik

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