Prag besitzt seit Kurzem eine Kunsthalle, die gleich mit einem ambitionierten Programm startet.

Seit dem 22. Februar 2022 gibt es in Prag eine Kunsthalle. Der Gedanke geht auf 2015 zurück, als das Ehepaar Petr und Pavlína Pudil ihre Stiftung The Pudil Family Foundation gründeten, der sie 104 Gemälde, Zeichnungen und Graphiken aus dem 20. und 21. Jahrhundert im Wert von 238 Millionen Kronen (fast 10 Millionen Euro) übergaben. Den Sitz für das Zentrum für die zeitgenössische Kunst fanden sie im ehemaligen Umspannwerk, dem sogenannten Zenger-Trafo auf dem Kleinseitner Ort Klárov. „Nach mehr als sechs Jahren Planung, Sanierung und Programmgestaltung sind wir ganz euphorisiert, dass wir endlich die Tür für die Öffentlichkeit aufmachen können“, sagte bei der Eröffnung der Kunsthalle die Direktorin Ivana Goossen.

Kontroverse Kohlemillionen

Diese Euphorie über die Entstehung der Privatgalerie können jedoch nicht alle teilen. Kritiker werfen Pudil vor, mit der Kunsthalle davon abzulenken, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist. Der hängt mit der Privatisierung der nordböhmischen Kohlegruben Mostecká uhelná zusammen. Ein Schweizer Gericht hatte in dem Zusammenhang mehrere frühere Manager verurteilt, den Staat durch verdeckte Firmen um seine Aktienmehrheit gebracht und diese selbst unter Wert erworben zu haben. Bei tschechischen Gerichten ist diese Causa immer noch anhängig. Allerdings haben diese Prozesse nichts mit Pudil zu tun. Er erwarb seine Beteiligung an den Kohlegruben erst später und wurde dafür nie gerichtlich belangt.

Auch der Verein für das Alte Prag (Klub Za starou Prahu) äußerte sich beunruhigt zu den aus seiner Sicht wenig sensiblen Rekonstruktionsarbeiten des seit 2015 unter Denkmalschutz stehenden Elektrogebäudes, bei denen sich das gesamte Interieur radikal veränderte. Das Kunsthalle-Team erklärte sich zu jeder Diskussion bereit.

Elektrizität in der Kunst

Die neugegründete Privatgalerie eröffnete mit zwei Ausstellungen. Während sich die erste der Geschichte des ehemaligen Zenger-Umspannwerks widmet, blickt die großangelegte Schau Kinetismus auf die einhundertjährige Geschichte der Verwendung vom elektrischen Strom in der Kunst zurück. Sie wird eindrucksvoll vom leisen Surren der Elektromotoren, die bewegliche Kunstobjekte antreiben, flimmernden Schwarzweiß-Projektionen oder strahlenden Neonleuchten umrahmt, die in verdunkelten Ausstellungsräumen effektvoll zur Geltung kommen.

Gleich im ersten Saal findet man Werke der Vorreiter kinetischer Kunst, darunter die hypnotischen Rotorreliefe von Marcel Duchamp. Ein Stück weiter kann man in einer Glasvitrine die verblüffende Harzplastik „Liegendes Torso“ und „Männliches und weibliches Torso“ Zdeněk Pešáneks von 1936 bewundern, in denen Neonröhren pulsieren. Der Streifen „Lichtspiel“ von László Moholy-Nagy von 1930 wirkt durch seine Kälte und Technizität wie ein Assoziationsspiel. Dazwischen trifft man immer wieder auf Arbeiten von Vertretern jüngerer Künstlergeneration, die ein Stockwerk höher zahlreich repräsentiert sind. So beispielsweise „Elektromagnetische Kugel“ von 1970 des griechischen Bildhauers Takis, die sich durch einen Elektromagnet hin und her bewegt, die kinetische Installation „Auge“ des deutschen Künstlers Konrad Balder Schäuffelen, in der ein alter Fotoapparat an eine Modelleisenbahn angebracht ist und ein blaues Dreieck durchfährt oder „Lemniscate“ des Litauers Žilvinas Kempinas, der ein magnetisches Band zwischen zwei Ventilatoren in der Luft tanzen lässt.

Zdeněk Pešáneks “Liegendes Torso”. Foto: Vojtěch Veškrna/Kunsthalle Prag

Zdeněk Pešáneks “Liegendes Torso”. Foto: Vojtěch Veškrna/Kunsthalle Prag

Luftiger Galerie-Shop

Rund 90 experimentelle Arbeiten, die von 60 Sammlern privater Kunst und bedeutenden Institutionen ausgeliehen wurden, umfassen neben kinetischer und kinematographischer Kunst auch Kybernetik- und Computerkunst. Sie werden auf fünf Etagen des radikal umgebauten Gebäudes präsentiert. Zu den interessantesten Räumlichkeiten gehört neben dem luftigen Galerie-Shop im ersten Stock auch der Kinderspielraum, das Kabinett der Kuriositäten, zusammengestellt aus realen historischen Objekten des einstigen Trafogebäudes (Glühbirnen, Taschenlampen, Doppelstecker, Schalter oder Sicherungen), sowie ein angenehmer Leseraum mit einem Café, das an eine enge Terrasse anliegt, die einen herrlichen Blick auf die Prager Burg und Petřín ermöglicht.

Das Zenger-Umspannwerk wurde in den 1930er Jahren von den Architekten Kvasnička und Mayer entworfen. Das neoklassizistische Gebäude wurde nach dem tschechischen Propagator der Meteorologie Václav Karel Zenger benannt und diente vier Jahrzehnte als Umspannwerk und Straßenbahn-Schaltanlage der Elektrowerke Prag, bis ihr Betrieb eingestellt wurde. Darüber erzählt die Ausstellung Zengers Umspannwerk: Die Elektrik in der Stadt, die Elektrik in der Architektur. Interessant wirkt auch die Licht-Installation von Erik Bartoš, in der die berühmten, leider später verschollenen Großplastiken des Visionärs der kinetischen Kunst Zdeněk Pešánek mit Hilfe von animierten 3D Modellen rekonstruiert werden, die einst die Vorderfront des Gebäudes zierten.

Die Ausstellung Kinetismus läuft bis 20. Juni 2022. Mehr unter www.kunsthallepraha.org

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