Die Organisation „Budoucnost“ setzt sich in Tschechien für soziale Gerechtigkeit und eine nachhaltige Wirtschaftsweise ein. Credit: Manuela Haug

Heute wird auf der ganzen Welt der Internationale Frauentag gefeiert. Heute um 16.30 Uhr findet auch auf dem Prager Altstädter Ring eine Demonstration für Frauenrechte statt. Im Interview mit dem LandesEcho erzählt Manuela Haug, die stellvertretende Vorsitzende der Organisation „Budoucnost“ (dt. Zukunft), für welche Rechte die Frauen in Prag heute kämpfen und was sie bereits erreicht haben.

LE Frau Haug, wie fühlt es sich an, in der heutigen Tschechischen Republik eine Frau zu sein, die sich für die Menschenrechte einsetzt?

Einerseits ist es sehr ermutigend. Ich freue mich über kleine Siege und Erfolge. Es ist schön, Menschen zu treffen, die das ähnliche Ansichten haben, mit denen wir unsere Erfahrungen teilen und mit denen wir gemeinsam etwas Sinnvolles schaffen. Andererseits fühlt es sich manchmal ein wenig überwältigend, kräftezehrend und anstrengend an, weil wir das alles in unserer Freizeit machen. Wir haben unsere Vollzeitjobs, Schulen, Familien. Und dann versuchen wir in unserer Freizeit noch, diese politische Bewegung zu organisieren. Manchmal ist das anstrengend, weil uns die Kapazitäten und die Energie fehlen, die wir brauchen würden.

Manuela Haug, die stellvertretende Vorsitzende von „Budoucnost“, stammt aus Südböhmen und lebt heute in Prag. Sie hat Psychologie in Wien studiert und studiert aktuell Gender Studies an der Karlsuniversität. Seit zwei Jahren ist Haug bei „Budoucnost“ aktiv.

LE Was tut Ihre Organisation für den Schutz der Frauenrechte?

Wir versuchen, die Bedürfnisse der Frauen und die Rechte der Frauen zu berücksichtigen. Zum Beispiel ist es wichtig, über die Rolle der Frauenrechte beim Thema Armut nachzudenken. Denn wir wissen, dass Armut statistisch gesehen häufiger bei Frauen vorkommt, besonders bei älteren Frauen. Auch Frauen, die zum Beispiel obdachlos sind, haben besondere Bedürfnisse, die berücksichtigt werden müssen. Wir versuchen, Fragen der Frauenrechte in verschiedenen Bereichen zu sehen und nicht als isoliertes Thema zu betrachten.

Was tun wir also konkret? Zum Beispiel haben wir in unserer politischen Bewegung Quoten eingeführt, die den Frauen tatsächlich nützen. Führungspositionen innerhalb von Budoucnost sind zu mindestens 50 Prozent mit Frauen besetzt. Natürlich wissen wir, dass Quoten nicht der einzige Weg sind, aber es ist ein Weg, um Frauen zu unterstützen, in Führungs- und Entscheidungspositionen zu kommen. Wir unterstützen uns auch intern gegenseitig und versuchen, Fähigkeiten und Selbstwertgefühl aufzubauen. Wir möchten einen Raum für Frauen schaffen. Uns ist wichtig, dass Frauen grundsätzlich vertreten sind. Wir versuchen auch, das Bewusstsein für Frauenrechte durch verschiedene Veranstaltungen zu schärfen. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel eine Veranstaltung „Pro-Choice-Veranstaltung“ mitorganisiert, bei der wir die Möglichkeit feierten, selbst zu entscheiden, was mit unserem Körper in Bezug auf die reproduktiven Gesundheitsrechte geschehen soll. Wir haben auch eine Debatte über häusliche Gewalt während der Pandemie organisiert. Wir luden Expertinnen aus verschiedenen Bereichen zu einer Online-Diskussion ein.

Am 8. März organisieren wir zusammen mit anderen Organisationen wie „safe space kolektiv“, „Pangea” und „International Feminists United” eine Veranstaltung hier im Zentrum von Prag. Wir arbeiten zusammen, um das Bewusstsein für die Rechte der Frauen zu schärfen und um uns zu versammeln und an den internationalen Frauentag zu denken.

Die Organisation „Budoucnost“ (Tschechisch für „Zukunft“), ist eine linke politische Organisation, die sich mit sozialen und ökologischen Problemen beschäftigt. „Wir streben eine gerechtere und gleichberechtigte Gesellschaft an, in der Werte wie Solidarität und Nachhaltigkeit wichtiger sind als Werte wie Profit und Wachstum“, so die stellvertretende Vorsitzende der Organisation Manuela Haug. Die Organisation „Budoucnost“ hat eine starke Basis in Prag, aber auch lokale Gruppen in der ganzen Tschechischen Republik. „Budoucnost“ arbeitet mit anderen Nichtregierungsorganisationen und Aktivistengruppen zusammen.

LE Welche Aktivitäten sind dabei geplant?

Wir haben NGOs und einige Organisationen für Auftritte und Reden eingeladen. Das wird etwa eine bis anderthalb Stunden dauern. Einige der Organisationen, die ich bereits erwähnt habe, werden anwesend sein. Zum Beispiel wird es von der Organisation „Konsent“ einen Redebeitrag geben, genauso wie von „Amnesty International“. Es wird einen Chor der „International Feminist United“ geben, den  Prague Revolutionary Choir. „Pangea“ wird einen Tanz aufführen, eine spezielle Performance, die im feministischen Latinoraum sehr verbreitet ist. Daneben wird es Lesungen von Gedichten und auch eine partizipative Performance geben.

LE Was sind heute die wichtigsten Ziele der Frauenrechtsbewegung in Tschechien?

Ich würde sagen, die wichtigsten Ziele sind heute die Abschaffung von häuslicher und sexueller Gewalt. Ein weiteres Ziel ist die stärkere Vertretung von Frauen in der Politik und im öffentlichen Raum. Außerdem die Bekämpfung von Armut, speziell der Feminisierung der Armut, wobei Frauen mit sehr niedrigen Löhnen und schwierigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben. Ich würde auch sagen, dass LGBTQ-Themen, zum Beispiel die Ehe für queere Paare und auch Transgender-Rechte eine wichtige Rolle spielen.

LE Wie wird in Tschechien Frauen geholfen, die Opfer von sexueller oder häuslicher Gewalt geworden sind?

Wir haben Gesetze, Polizei und ein Rechtssystem. Ich würde aber sagen, dass ein großer Teil der Hilfe in diesem Bereich von nichtstaatlichen Institutionen geleistet wird. Außerdem wird in diesem Bereich geforscht. In den Medien gibt es eine gewisse Sichtbarkeit. Das Thema wird allmählich mehr wahrgenommen und mehr verbalisiert.

LE Was muss die tschechische Regierung Ihrer Meinung nach tun, um die Rechte der Frauen zu fördern?

Sie sollte unbedingt die Istanbul-Konvention [ein Menschenrechtsvertrag des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt; Anm. d. Red.] ratifizieren, die den Opfern von Gewalt, in der Regel Frauen, viel mehr Schutz bietet. Sie sieht außerdem eine gerechtere Bestrafung von Tätern vor, und sie bietet auch eine angemessene systematische Hilfe, die wir hier wirklich brauchen. Die Tschechische Republik hat sie vor ein paar Jahren zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Wir sind eines der wenigen Länder in der EU, die die Konvention noch nicht ratifiziert haben. Ich würde der Regierung auch raten, NGOs mehr zu unterstützen, die viel wichtige Arbeit leisten und oft finanziell zu kämpfen haben.

LE Inwiefern unterscheidet sich die Frauen-Bewegung in der Tschechischen Republik von der in anderen Ländern?

Das ist eine schwierige Frage. Die Tschechische Republik ist speziell, weil sie eine sehr interessante geografische und historische Lage hat. Sie liegt in Mitteleuropa. Sie wird beeinflusst von dem westlichen Feminismus und der Europäischen Union durch Maßnahmen wie „Gender Mainstreaming“ [ein strategischer Ansatz zur Förderung und Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter; Anm. d. Red.]. Gleichzeitig sind wir auch ein post-sozialistisches Land. Wir haben auch noch diesen starken Einfluss bei uns. Ich denke, wir befinden uns hier in einer sehr interessanten gemischten Position.

LE Wie und wann entstand eigentlich die Bewegung für die Rechte der Frauen in der Tschechischen Republik?

Ich würde sagen, etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Natürlich gab es auch vorher schon einige Aktivitäten. Aber seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Bewegung, sich stärker zu organisieren. 1848 war ein revolutionäres Jahr. Es gab mehrere organisierte Gruppen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzten. Während der Revolutionen gingen auch Frauen auf die Barrikaden. In den 1860er Jahren gab es einen Verein namens „American Ladies Club“. Er wurde von Vojta Naprstek und Karolina Svetla gegründet, die einen Raum für Frauen schaffen wollten, in dem diese sich weiterbilden konnten. Und von da an hat sich die Bewegung weiterentwickelt, es ging viel um das Frauenwahlrecht, also das Recht der Frauen, zu wählen und gewählt zu werden. Es wurde für Bildung gekämpft. Es gab auch einen Teil der Arbeiterinnenbewegung, die am Anfang besonders in Brünn stark war, und die war sehr politisch. Sie kämpften für bessere Arbeitsbedingungen und setzten sich mit dem Problem der sexuellen Gewalt am Arbeitsplatz auseinander. Und sie kämpften sogar für das Wahlrecht, noch bevor die Frauen der Mittelschicht dies taten. Ich würde sagen, dass dies die Anfänge der organisierten, kollektiven Frauenbewegung waren.

LE Was gibt Ihnen am Internationalen Frauentag Hoffnung?

Ich glaube, dass es sehr ermutigend ist, sich zu versammeln und zu sehen, dass die Menschen hinter einem stehen und für ihre Rechte eintreten. Viele Menschen kommen, um den Internationalen Tag der Frauenrechte zu feiern, und sie kämpfen für eine bessere Zukunft. Das kann wirklich Hoffnung und Kraft geben, weiterzumachen, auch wenn es manchmal schwierig ist. Aber das ist nicht genug. Natürlich ist es gut, sich an einem Tag zu versammeln und zu feiern. Das ist großartig, wichtig und wunderbar, aber das ist nicht alles. Was wir wirklich tun müssen, ist, eine Bewegung zu organisieren oder aufzubauen, die stark ist, die uns unterstützt und die sich den heutigen Herausforderungen gemeinsam stellen kann.

LE Welche Aussichten hat die Verteidigung der Frauenrechte in der Tschechischen Republik Ihrer Meinung nach?

Ich denke, wir brauchen eine politische Vertretung, die sich wirklich für dieses Thema interessiert und die bereit ist, etwas zu verändern und das Leben der Frauen systematisch und umfassend zu verbessern. Außerdem müssen wir gemeinsam eine starke Bewegung aufbauen und ein starkes Unterstützungssystem schaffen. Ich glaube, dass die Kraft in der Einheit liegt.

Das Gespräch führte Kseniia Pulargina

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