Jiří Bernard kann nichts anderes als Kunst, wie er selbst sagt. Die Politik drängte ihn einst nach Deutschland. Heute arbeitet der Ur-Prager wieder in seiner Heimat, unter anderem fürs LandesEcho.
Frischluft ist knapp in dem kleinen Wohnungsatelier. Dicker Qualm hängt zwischen Farbtöpchen, Pinseln und Bildern. Hier macht Jiří Bernard erste Entwürfe für das Titelbild der neuen Katzen-Kolumne im Prager LandesEcho. Eine Idee nach der anderen, eine halbe Stunde lang, mit der zehnten Skizze ist er zufrieden. „Man macht ein Bild und denkt daran, was als nächstes kommt. Vor dem weißen Blatt zu sitzen, bringt nichts“, sagt der 73-jährige Künstler. Er spricht fließend Deutsch. Seine Biografie ist natürlich von der tschech(oslowak)ischen Geschichte geprägt, aber auch von einem Viertel Jahrhundert Deutschland.
Flucht ohne Plan
Jiří Bernard wird am 30. April 1946 in Prag geboren. Seine Eltern arbeiteten beide mit Lebensmitteln. „Sie wurden schlecht bezahlt, aber immerhin hatten wir fast immer Fleisch.“ Bernard spricht mit Witz, prägnant und schnörkellos – so wie er zeichnet.
Schon als Schüler malte Bernard viel und gern. Sein großes Vorbild war der britische Zeichner Ronald Searle. Zunächst aber absolvierte er eine Ausbildung zum Kunstschmied und arbeitete, bis er Geld für ein Kunststudium zusammenhatte.
1968 dann wurde der „Prager Frühling“, die Reformversuche der Kommunisten unter Alexander Dubček für eine liberalere und demokratischere Tschechoslowakei, durch Truppen der Sowjetunion und Bündnispartner des Warschauer Paktes niedergeschlagen. Darauf folgte eine euphemistisch als „Normalisierung“ bezeichnete Zeit, in der vermeintlichen Dissidenten Verhaftung, Gefängnis oder wenigstens Berufsverbot drohten.
Diese Entwicklung spürte auch Bernard, der sich gerade an der Kunstakademie bewarb. Beim Aufnahmegespräch wurde ihm klargemacht, dass auch von ihm politisches Engagement erwartet würde. „Das wollte ich auf keinen Fall“, sagt er energisch. „Aber ich wusste auch, dass ich kein so großer Held war, dass ich hätte dagegen ankämpfen können.“
Im Sommer 1970 erhielt er eine Reisegenehmigung nach Westdeutschland. „Das war eigentlich nur Urlaub, die Entscheidung fiel erst dort: dass ich nicht zurückkehren würde.“
„In Deutschland wurde gelebt“
Er blieb, arbeitete und lernte Deutsch. Dann kam er nach München. Nach 12 Semestern und Kunstakademie-Diplom in der Tasche macht er viele Ausstellungen. Zur Illustration kam er später: Auf einer Radtour über die Alpen traf er zufällig den Bohem-Press-Verleger Štěpán Zavřel aus Italien, der ihn zu Kinderbüchern brachte. Bald wurde er von Verlagen wie dem Schweizer „Nord-Süd“ („Piro und die Feuer- wehr“, „Ofko’s seltsame Reisen“ uvm.) regelmäßig beschäftigt.
Bernard heiratete und kaufte bei Landsberg einen Bauernhof mit Werkstatt und kleiner Galerie. Einige Sachen von ihm sind noch heute dort, weil in Prag kein Platz ist. Seit Ende der 80er Jahre ist Bernard auch deutscher Staatsbürger. „Bis heute, nur der Pass ist abgelaufen“, lacht er schelmisch. „Ich habe mich in Deutschland zuhause gefühlt.“ Offener und linker sei er geworden, vor allem dank des progressiven studentischen Umfelds. Bernard ist pragmatisch und bodenständig. Er vergleicht: „In Deutschland wurde mehr gelebt, in Tschechien wird mehr geschimpft.“ Ob er Deutschland vermisse? „Diese Frage stellt sich mir nicht. Da, wo ich bin, lebe und arbeite ich“, sagt er klar.
„Immer in der Opposition“
Nach der Samtenen Revolution 1989 konnte Bernard bald wieder in Tschechien publizieren. Immer öfter fuhr er hin. „Irgendwann arbeitete ich nur noch in Tschechien“, auch, weil da die Konkurrenz kleiner sei als in Deutschland, wo man sich mit der ganzen Welt messen müsse. Als dann seine erste Ehe in die Brüche ging, überließ er der Ex-Frau den Hof und ging zurück nach Prag.
Privat fiel das schwerer als beruflich, räumt er ein. „Ich bin hier politisch immer in der Opposition.“ Bernard war im Westen, ist viel gereist – in Europa, auch Südamerika. Die Tschechen seien viel verschlossener, immer nur gegen ihre Regierung gewesen, meint er. „Aber das große Ganze haben sie nie gesehen.“ Diesen Unterschied spüre er bis heute.
Nach einem Schlaganfall letztes Jahr muss Bernard erstmals in seinem Leben Medikamente nehmen, was ihm sichtlich sauer aufstößt. „Rauchen darf ich eigentlich auch nicht“, murmelt er und zündet sich eine Zigarette an, bevor er mit schwarzem Filzstift die Katzen-Skizze nachzieht.
Jiří Bernard arbeitet frei, „wenn ich einen Auftrag habe oder das Gefühl, etwas zu Papier bringen zu müssen“. Am liebsten macht er Zeichenhumor, aber auch großformatige Arbeiten wie Wandbilder. Er zeichnet für die großen Verlagshäuser Albatros und Colibri. Und dann ist da seit zehn Jahren schon all- monatlich das LandesEcho, eine der wenigen Zeitschriften mit gezeichneter Titelseite – eben von Jiří Bernard. Wenn das Katzenbild fertig ist, wartet auch schon das nächste LandesEcho-Cover.
Dieser Text erschien erstmals in der Broschüre „An Board“ über das Entsendeprogramm des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa).
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