Radka Brychtová in der Lebensmittelbank in Leitmeritz (Litoměřice)

Supermärkte in Tschechien dürfen überschüssige Lebensmittel nicht mehr entsorgen. Manchem Politiker geht das zu weit.

Die Welt von Šárka Továrková ist aus den Fugen. Kürzlich packte sie die nötigsten Dinge und floh mit ihren beiden Söhnen aus ihrer Wohnung. „Das Zusammenleben mit meinem Mann war nicht mehr möglich.“ Aufnahme fand sie in dem geschützten Wohnen für allein stehende Mütter in Leitmeritz (Litoměřice). „Ich hatte nur 300 Kronen dabei“, sagt sie. In diesem Moment war nicht nur das kleine Zimmer mit Kochecke ihre Rettung. Das Team des Zentrums übergab ihr auch eine erste Ausstattung mit Lebensmitteln und Drogerieartikeln. Wenn sie an ihre Ankunft in dem von der evangelischen Diakonie betriebenen Haus zurückdenkt, kommen ihr Tränen der Rührung. „Sogar Reismehl war dabei. Das ist so teuer. Mein Sohn darf nur glutenfrei essen. Seit ich hier bin, musste ich nur wenig Lebensmittel kaufen.“ Das ist in ihrer Situation eine unschätzbare Hilfe.

Tschechien Lebensmittelspenden Sarka Tovarkova web Bildrechte Steffen Neumann

Möglich wird sie durch die Lebensmittelbank. So heißt einer der Vereine in Tschechien, der ähnlich wie die Tafeln in Deutschland die Sammlung von Lebensmitteln organisiert. Im vergangenen Jahr kamen so viele Spenden wie noch nie zusammen. „Das Volumen stieg von 90 auf über 160 Tonnen“, sagt Radka Brychtová von der Lebensmittelbank in Leitmeritz. In ganz Tschechien hat es sich sogar verdreifacht. Grund ist ein neues Gesetz, das die Verschwendung von Lebensmitteln eindämmen soll. Supermärkte mit über 400 Quadratmeter Ladenfläche sind verpflichtet, übriggebliebene Lebensmittel zu spenden. Das betrifft Nahrungsmittel nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum, beschädigte Lebensmittel oder Waren mit falscher Etikettierung. Die Einzelhändler zum Spenden zu zwingen, war offenbar nötig. „Es ist nicht so, dass wir jetzt im Überfluss schwimmen“, sagt Veronika Láchová vom Dachverband der Lebensmittelbanken. „Eher haben die Einzelhändler früher wenig gespendet“, ordnet sie den sprunghaften Anstieg ein.

Eingriff in Eigentumsrechte

Daran änderte auch eine von Senatoren initiierte Verfassungsklage nichts. Die sah in dem Gesetz einen zu großen Eingriff in die Eigentumsrechte. Die Supermärkte sollten selbst entscheiden dürfen, was sie mit ihren Lebensmitteln anstellen, so die Begründung. „Früher konnten sie zum Beispiel für die Zoos spenden, das geht nun nicht mehr“, monierte Senats-Chef Jaroslav Kubera. Das Verfassungsgericht lehnte die Klage ab und bestätigte das neue Gesetz. Die Einzelhändler, für die sich die Senatoren eingesetzt haben, äußern sich deutlich positiver. „Wir haben schon vor Inkrafttreten des Gesetzes gespendet. Für uns hat sich also nichts geändert“, sagt Vaclav Koukolíček von Tesco Stores. Aber Koukolíček sagt auch: „Wir sind der Ansicht, dass die Spenden die freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen bleiben sollten.“

Lidl dagegen spendete früher nur gelegentlich. „Für uns war das Gesetz eine große Umstellung. Aber seitdem klappt die Zusammenarbeit mit den Lebensmittelbanken problemlos“, sagt Lidl-Sprecherin Zuzana Holá. Dass das Gesetz sehr strikt ist und bürokratischen Aufwand verursacht, deutet sie nur an. Das ist ein Grund, warum Lidl fast keine frischen Waren spendet. Das Risiko, verdorbene Lebensmittel weiterzugeben, ist zu hoch.

Radka Brychtová sieht das anders: „Wir sind in der Lage, auch leicht verderbliche Lebensmittel schnell zu verteilen.“ Auch sie lobt die Zusammenarbeit mit den Ketten, die die Banken sogar finanziell unterstützen. So hat der Einzelhändler Penny ein großes Lager bei Prag für fünf Jahre kostenfrei vermietet. Dadurch können die Banken mit der stark gestiegenen Lebensmittelmenge besser fertig werden. Wichtigster Geldgeber ist aber der Staat mit dem Landwirtschaftsministerium.

„Mit dem neuen Gesetz hat sich nicht nur die Quantität der Lebensmittel verbessert, sondern auch ihre Vielfalt“, sagt Brychtová. Sie sieht bei den Spenden aber noch viel Luft nach oben, sowohl was die Menge als auch die Vielfalt angeht. So kann zum Beispiel das geschützte Frauenhaus der Diakonie in Leitmeritz nur alle zwei Wochen beliefert werden, manchmal noch seltener. „Das ist nie planbar, wir müssen das nehmen, wie es kommt“, sagt Ivana Jelínková, die Leiterin des Frauenhauses.

Viel verspricht sich Radka Brychtová deshalb von einem geplanten Treffen mit dem Landesverband der sächsischen Tafeln. „Es wäre schön, wenn wir uns auch über die Grenze helfen könnten“, hofft sie.

Kein Schlangestehen vor der Tafel

Rund 100000 Menschen versorgten die Lebensmittelbanken im vergangenen Jahr. Gemeinsam mit der katholischen Caritas ist sie die größte Organisation in Tschechien für die Verteilung gespendeter Lebensmittel. Die läuft anders als in Deutschland. „Die Bedürftigen kommen nicht zu uns, sondern wir verteilen die Lebensmittel gezielt an Sozialeinrichtungen“, sagt Radka Brychtová von der Filiale in Leitmeritz. Dadurch ist gewährleistet, dass nur die wirklich Bedürftigen Hilfe erhalten. Überdies fördern die Einrichtungen gesunde Ernährung, indem sie zum Beispiel Kochkurse für ihre Klienten anbieten.

Die Abnehmer umfassen das ganze Spektrum Hilfsbedürftiger von Obdachlosen, Drogenabhängigen, Heimkindern über psychisch Kranke, Behinderte bis hin zu Opfern häuslicher Gewalt und Sterbenskranken. „Alle Vereine bekommen gleich viel. Aber die Art der Lebensmittel können sich unterscheiden. Einrichtungen mit Kindern zum Beispiel erhalten mehr Milch“, erklärt Brychtová. Sie zeigt sich aber auch offen für das in Deutschland angewandte System. „Eine Direktabgabe kann ich mir gut vorstellen.“ Denn die Hilfe, wie sie jetzt organisiert ist, erreicht ihrer Meinung nach nicht alle. „Menschen, die noch nie vom System der Sozialhilfe erfasst wurden, aber mit einem plötzlichen Schicksalsschlag konfrontiert sind, können leicht durch das Raster fallen. Für sie wäre die Direktabgabe ein niedrigschwelliges Angebot“, meint sie. (stn)


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