Auch wenn Tschechien in der Geschichte von Gleichberechtigung und Emanzipation häufig nur eine Nebenrolle einnahm, eine der ersten weiblichen Abgeordneten in Europa war Tschechin. Anlässlich des Weltfrauentags: die Geschichte von Božena Viková-Kunětická und ihrer Wahl in den Böhmischen Landtag.
In diesem Jahr feiert der Internationale Frauentag ein rundes Jubiläum: Er findet seit seiner Einführung 1921 von den Vereinten Nationen zum hundertsten Mal am 8. März statt. Auch wenn Tschechien und dessen Vorgängerstaaten heutzutage nicht als Zugpferd weiblicher Emanzipation bekannt sind, hat es in der Geschichte des Landes einige Meilensteine auf dem Weg zu politischer und sozialer Gleichberechtigung gegeben.
Die Einführung des Weltfrauentages 1921 fällt in eine zeitliche Periode, in der die Frauenrechtsbewegungen weltweit einen kleinen Etappensieg errungen haben: die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts. Als allererste durften die Neuseeländerinnen 1893 ihre Stimme abgeben. Deutschland (1918) und die Tschechoslowakei (1920) folgten später. Doch bereits einige Jahre vor Einführung des Frauenwahlrechts schaffte es eine Frau, als Abgeordnete in den böhmischen Landtag gewählt zu werden – als eine der ersten in ganz Europa: Božena Viková-Kunětická.
Wahl gegen Widerstand
In Cisleithanien, dem nördlichen Teil des Habsburger Reiches, zu dem auch Böhmen und Mähren gehörten, wurde 1907 ein Zensuswahlrecht eingeführt. Wählen durfte also nur, wer das nötige Kleingeld hatte. Das betraf lediglich einen kleinen Teil an Frauen aus dem bürgerlichen Milieu. Das Recht gewählt zu werden, stand den Frauen allerdings nicht zu. Doch der Zufall half nach: Beim Verfassen der Wahlordnung des Böhmischen Landtags von 1861 vergaßen die Verfasser, das Geschlecht der Abgeordneten ausdrücklich festzulegen. Mit Absicht? Wohl eher nicht, wahrscheinlich schien es ihnen klar zu sein, dass ein Abgeordneter nur männlich sein könne. Jedenfalls erkannten die Frauenbewegungen in Böhmen diese Lücke und stellten bei der Wahl 1908 erstmals Frauen als Kandidatinnen auf – ohne Erfolg. Erst 1912 ergab sich die Chance bei einer Nachwahl in Jungbunzlau (Mladá Boleslav).
Nach einigem Hin und Her wurde die Schriftstellerin Božena Viková-Kunětická mit Unterstützung der nationalliberalen Partei aufgestellt. Ihre Gegenkandidaten waren der amtierende Bürgermeister und eine weitere Frau, die Sozialdemokratin Karla Máchová. Trotz einer Schmutzkampagne des Bürgermeisters setzte sich Viková-Kunětická im ersten Wahlgang mit 41 Prozent der Stimmen durch und gewann auch die darauffolgende Stichwahl, bei der sich die Wahlbeteiligung in Jungbunzlau von über 60 auf unter 30 Prozent halbierte – vermutlich aus Protest der Männer des Ortes. Damit war die erste weibliche Abgeordnete in Zentral- und Westeuropa gewählt.
Eine Abgeordnete, die niemals den Landtag betrat
Mit ihrer Wahl wurde Viková-Kunětická damals zu einer Berühmtheit in der europäischen Frauenbewegung. Paradoxerweise sah sie selber sich vermutlich nicht in der Position einer feministischen Vorkämpferin. Der tschechische Historiker Luboš Velek schreibt in einem Aufsatz über sie: „Auch wenn ihre Wahl als ein Meilenstein in der Geschichte weiblicher Emanzipation gilt, war Viková-Kunětická das ziemliche Gegenteil westeuropäischer Feministinnen der damaligen Zeit: Sie wurde als Verfechterin des tschechischen Nationalismus, von Mutterschaft, Familie, Heirat und der traditionellen Verortung der Frau in der Ehe gesehen.“
Zur Paradoxie ihres Erfolgs kam auch noch ein tragisches Element hinzu: Viková-Kunětická betrat trotz ihres Mandats niemals den Böhmischen Landtag. Der Habsburger Statthalter, Franz Thun-Hohenstein, lehnte es ab, ihr ein Wahlzertifikat auszustellen, das zum Eintritt in den Landtag berechtigte. Doch das fehlende Zertifikat war letztlich nebensächlich. Denn der Landtag war ohnehin seit einigen Jahren kaum arbeitsfähig, da die deutschböhmische Fraktion das Organ blockierte. Manche Stimmen sagen, das habe die Wahl Viková-Kunětickás überhaupt erst ermöglicht. Doch den Wahlerfolg kann ihr trotzdem niemand nehmen, eine der ersten weiblichen Abgeordneten Europas zu sein – auch wenn sie das Parlament niemals betrat.