Foto: Kafka Familiengrab - Bild: Wiki

Prag-Touristen könnten unterschiedlicher nicht sein. Da gibt es die Durstigen, die von einem Wirtshaus zum anderen ziehen und so erheblich dazu beitragen, dass sich die Tschechen weltweit als das Volk mit dem größten Bierverbrauch rühmen können. Da sind Jazzfanatiker, die in meist kleinen dunklen Kneipen Vertretern einer Szene lauschen, die noch immer einmalig in Europa ist. Hippe Jugendliche aus dem Westen tauchen in das preisgünstige Prager Nachtleben ein.

 

 

Hochzeitspaare aus Fernost lustwandeln nach dem Ja-Wort auf die Karlsbrücke zur Statue des Heiligen Nepomuk, der ein besonderes Herz für Verliebte hatte. Und schließlich sind da die Kunstsinnigen, die in grauer Vorzeit Rilke, Werfel oder Kafka gelesen hatten und nun sehen wollen, was von der berühmten Prager deutschen Literatur noch geblieben ist. Letztere haben es schwerer als andere Touristen. Die Symbiose von Tschechen, Juden und Deutschen zerbrach spätestens, als am 15. März 1939 Hitlers Wehrmacht die „Rest-Tschechei“ und Prag besetzte.

Vor 1989 war es fast aussichtslos, namentlich Spuren von Franz Kafka zu finden. Die Kaffeehäuser, in denen er und seine Freunde Lesungen veranstaltet hatten, machten damit tunlichst keinerlei Reklame. Kafka, der den Tschechen schon immer seltsam vorkam, da er seine Werke ausschließlich auf Deutsch verfasste, galt der damals herrschenden Kommunistischen Partei als Unperson. 1963 hatte ihn auf einer Konferenz des Schriftstellerverbandes in Liblice ein Gruppe unter Führung des Germanisten Eduard Goldstücker zu rehabilitieren versucht. Das war ein ideologischer Vorgriff auf den Prager Frühling 1968 gewesen, der unter den Panzerketten des Warschauer Pakts zermalmt wurde.

Doch auch nach 1989 tat man sich in Prag schwer mit einem seiner größten Söhne. Es war wieder erwähnter Goldstücker, der – zurück aus dem Exil – dafür warb, in der Stadt eine Straße oder einen Platz nach Kafka zu benennen. Doch auch die neuen Herren murrten da nur. Weshalb sollte einem „Deutschen“ eine solche Ehre zuteil werden? 

Kafkas Gegenwart

Nun gibt es aber mittlerweile doch einen kleinen Platz in der Altstadt, der Kafkas Namen trägt. Zudem ein Denkmal.  Straßenhändler machen ordentlich Geschäfte mit Kafka auf T-Shirts, Tassen, Tellern oder Biergläsern. Schön ist das nicht, aber die Touristen kaufen es lieber als Shirts in XXL mit der sinnigen Aufschrift: Bier formte diesen schönen Körper.

Fragt ein Tourist die Verkäufer nach dem Grab von Kafka, wird er aus Unkenntnis mit Sicherheit zum Alten Jüdischen Friedhof geschickt, der neben mehreren kleinen Synagogen ein pittoreskes Überbleibsel der alten Judenstadt Josefov ist. Hier ruhen die Gebeine von geschätzt 100 000 Verstorbenen. Aus Platzmangel begrub man die Toten in bis zu 12 Lagen übereinander. Rund 12 000 Grabsteine drängen sich auf dem winzigen Areal mit den täglich tausenden Besuchern um die Wette. Doch das letzte Begräbnis dort fand 1787 statt.

Um zu Kafkas Grab zu kommen, muss man mit der Metro das Zentrum verlassen und bis zur Station Želivského fahren. Dort befindet sich der Neue Jüdische Friedhof. Ein Schild hinter dem Eingang weist den Weg. Nach 250 Metern ist man am Ziel. Der große Grabstein ist schmucklos. Hier haben nach Kafka auch seine Eltern ihre letzte Ruhe gefunden. Und eine schwarze Marmortafel erinnert an die Schwestern von Franz, die in NS-Konzentrationslagern endeten. Gegenüber ist eine Gedenktafel für Max Brod angebracht, der entgegen der Anweisung von Kafka dessen Werk veröffentlicht hatte. Es ist nicht die einzige Gedenktafel. Allesamt erklären, weshalb man unter den dicht stehenden hohen Bäumen und an den von Efeu überwucherten Gräbern nahezu allein ist als Besucher. Die allermeisten der hier Begrabenen haben keine Angehörigen mehr. Ortsnamen auf den Tafeln sagen aus, wo die geblieben sind: Auschwitz, Bergen-Belsen, Treblinka, Mauthausen, Theresienstadt …

 

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