Foto: Demonstration zur "Rettung des Christkinds" - Bild: Commservis/Wiki

Die ganz Kleinen staunen mit großen Augen und offenen Mündern. Die größeren Kinder singen oder summen zusammen mit den Eltern oder Großeltern die Melodie mit. Zu Liedern, die ein Kinderchor auf einer Bühne neben der großen geschmückten Tanne intoniert, die mitten im Prager Zentrum auf dem pittoresken Altstädter Ring steht.

 

 

Es ist ein alljährliches Bild, das sich seit dem 1. Advent bietet und die Prager wie viele Touristen, von Deutschen bis Japanern, in den Bann zieht: der zentrale Prager Weihnachtsmarkt ist ein Muss, auch für zahlreiche Busunternehmen von jenseits des Erzgebirges oder des Bayrischen Waldes.

Prager Weihnachtsmärkte sind anders als die meisten in Deutschland. Zwar duftet es auch hier nach Glühwein, Grog, süßen Sachen, reichlich fettigen Bratwürsten oder warmem Schweinsbraten. Aber die Atmosphäre ist eine andere. Unter den ungleich dicken Türmen der Teyn-Kirche, in der die Gebeine des Astronomen Tycho de Brahes liegen, und in der eine Orgel von Meistern aus Bonn am Rhein erklingt, bleibt man verschont von den alljährlichen Weihnachts-Ohrwürmern „Last christmas“ oder „White christmas“, die einem von Flensburg bis Füssen ohne Ende entgegen schallen, und die eigentlich kaum noch jemand hören mag. Der Auswärtige versteht zwar die Texte der tschechischen Weihnachtslieder nicht, so lange es nicht beispielsweise um das ursprünglich deutsche „Tichá noc“ (Stille Nacht, heilige Nacht) geht, das auch in tschechischen Kirchen traditionell in dieser Zeit – natürlich auf Tschechisch – gesungen wird. Aber sie verbreiten eine anheimelnde Stimmung. Zumal die Musik auch sehr viel leiser, kuscheliger ist, als auf deutschen Weihnachtsmärkten. Karussells oder Losbuden sucht man schon völlig vergeblich. Dafür bieten die Buden Weihnachtsschmuck an, Schwibbögen (meist handelt es sich leider um kostengünstige chinesische maschinelle „Laubsägearbeit“), kunstvoll gezogene Kerzen oder dicke Schals, Mützen und Handschuhe. Böhmische Winter, die irgendwann nach Weihnachten einsetzen, können ebenso lang wie bitterkalt sein.

Einen Weihnachtsmann, der über den Markt geht und die Kinder mit Süßigkeiten beschenkt, gibt es in Prag nicht. Das kommt nicht von ungefähr: in Tschechien bringt am Heiligen Abend nicht die ertragreiche bärtige, sack- und rutenbewaffnete Erfindung von Coca Cola die Geschenke, sondern immer noch das Christkind. Wenn es die Geschenke unter dem Tannenbaum abgelegt hat, ertönt ein Glöckchen – erst dann dürfen alle in die gute Stube und nachsehen, welche Gaben es in diesem Jahr gibt.

In Tschechien gibt es seit der Revolution von 1989 in jedem Jahr eine traditionellen Aufschrei von Bürgerbewegten gegen den Weihnachtsmann. In Petitionen, die von Hunderttausenden höchst bereitwillig unterzeichnet werden, warnen sie davor, dem Weihnachtsmann auch nur einen Fußbreit tschechischen Bodens einzuräumen. Sie lehnen kategorisch selbst Schokoladen-Weihnachtsmänner ab, die millionenfach in den Regalen der meist von Deutschen beherrschten Supermarktketten von Lidl bis Kaufland liegen. „Feiern wir Weihnachten die Ankunft eines Weihnachtsmannes? Nein, Gottes Sohn ist geboren, das Christkind“, heißt es ebenso trotzig wie wahr.

Die Tradition mit dem Christkind rührt aus der 300-jährigen Zugehörigkeit der böhmischen Länder zur Doppelmonarchie Österreich/Ungarn her. Und die Tschechen wollen davon nicht abrücken, auch wenn sie die Zeit unter den Habsburgern ansonsten gern als die Zeit des „temno“ (der Finsternis) verfluchen, wurden doch da die Angehörigen der tschechischen Stände umgebracht und die katholische Gegenreformation aus Wien eingeleitet. Auf dem Altstädter Ring steht seit der Staatsgründung 1918 keine (österreichische) Mariensäule mehr. Dort thront nur ein Denkmal für den tschechischen Märtyrer Jan Hus. Doch solch „Nationalismus“ spielt im Prager Weihnachtsfrieden keine Rolle.

Ich binde mir jetzt den Schal um und mache mich dahin auf den Weg. Mit dem zeitlich noch etwas vorwitzigen Wunsch: Veselé Vánoce! – Fröhliche Weihnachten!

 

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