Wir haben fünf Persönlichkeiten aus dem deutsch-tschechischen Umfeld gebeten, einen Blick zurück auf 2024 zu werfen.

Welche diplomatischen Herausforderungen haben Sie 2024 erlebt?

Kriege, Naturkatastrophen, Wahlen in vielen Teilen der Welt: Das Jahr 2024 war voller Herausforderungen. Die größte Herausforderung bei alldem ist wohl, einen kühlen Kopf, die gute Laune und den Optimismus zu bewahren. Denn nur mit Optimismus können wir zu neuen Lösungen finden und wirklich vorankommen. Ein Quell meines persönlichen Optimismus ist die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen. Wir haben in den letzten 35 Jahren gemeinsam wahrlich Beeindruckendes erreicht. Heute können wir mit Stolz zurückblicken und uns durchaus auch ein wenig gegenseitig auf die Schultern klopfen, denn wir haben etwas geschafft, das in Mitteleuropa viel zu lange eine Seltenheit war: wirklich vertrauensvolle Beziehungen zwischen Nachbarn, aus denen Freunde geworden sind. Nichts ist selbstverständlich, nichts bleibt ewig unverändert. Deshalb ist es an uns, unsere Freundschaften sorgfältig und täglich gemeinsam zu pflegen. Damit wir die deutsch-tschechischen Beziehungen auch 2025 als die besten bezeichnen können, die wir je hatten. Damit wir #GuteSousede bleiben.

Andreas Künne, deutscher Botschafter in Prag

Sie leben in Berlin und Prag, wo war es 2024 aus politischer Sicht aufregender?

Sowohl Deutschland als auch die Tschechische Republik haben in den letzten Jahren viele gute aber auch kontroverse Erfolge erzielt. Und jetzt, in diesen unruhigen Zeiten, müssen Politiker und Bürger der beiden Staaten mit den Konsequenzen leben. Und das bringt jede Menge Aufregung mit sich. Beide Länder weisen mehrere Parallelen auf: Die geschwächten Regierungskoalitionen sind durch politische und wirtschaftliche Kritik gekennzeichnet. Die Inkompetenz mancher Politiker und ihre unnötige Angstmacherei führen zu Unzufriedenheit und Verunsicherung der Bürger. Die Stärkung der Rechtsparteien ist nur eine der Folgen. Mich überrascht jedoch am Meisten, wie negativ die tschechischen Medien in letzter Zeit über Deutschland schreiben. Früher hatten sie mit Bewunderung nach Deutschland geschaut, heute scheinen sie nach jeder negativen Nachricht zu suchen – vor allem, wenn es um die Kriminalität in Deutschland geht. Das führt dazu, dass ich noch nie so viele Anfragen von Freunden und Bekannten bekommen habe, die Fragen stellen: Was ist in Deutschland los? Kann ich dorthin noch in Urlaub fahren? Hast Du dort keine Angst? Ich finde also die Situation aus politischer Sicht nicht unbedingt aufregender, aber eher trauriger, und das für beide Staaten.

Danuše Siering, Herausgeberin des N & N Magazins

Was hat die Menschen in Ihrer Gemeinde 2024 am meisten beschäftigt?

In unserer Gemeinde kam es zu fröhlichen Begebenheiten, wie z. B. der Geburt eines Kindes, zu Hochzeiten, Ausflügen und längeren Reisen außerhalb von Europa. Weniger erfreulich sind Umzüge, Krankheiten, die Pflege von Eltern, die oft außerhalb von Prag wohnen. Es gibt auch kleine sowie ernsthafte Missverständnisse, mit denen wir manchmal konfrontiert sind. Als Pfarrerin nehme ich es als Herausforderung und Aufgabe an, gegenseitigen Respekt zu kultivieren, nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der Deutschen Schule, wo ich einmal in der Woche Religionsunterricht gebe. Das, was den über das persönliche Umfeld hinausgeht, ist die politische Lage in der Welt. Populismus, der Zuspruch für rechtsextreme Parteien, der Krieg in der Ukraine sowie im Nahen Osten sind die Themen, die unsere Gemeindemitglieder besonders beschäftigen. Aber wir bleiben optimistisch, was die Zukunft angeht. Es liegt nicht alles in unseren Händen. Ich glaube, dass wir von der Gnade unseres Herrn Jesus Christus getragen sind, die uns dazu befähigt, uns gegenseitig Liebe und Frieden zu schenken.

Kristýna Malíšková Pilecká, Pfarrerin der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde Prag

2024 erinnerten wir an Franz Kafkas 100. Todestag. Wie erfolgreich war das „Kafka-Jahr“?

Sehr. Es hat meine und unsere Erwartungen übertroffen. Durch die Planungen im Rahmen des Projekts Kafka 2024 und der zugehörigen Website www.kafka2024.de kannten wir bereits im Jahr 2023 eine Reihe von Vorhaben, vor allem in Deutschland, Tschechien und Österreich. Das, was dann aber im Kafka-Jahr selbst passierte, war doch noch viel mehr. Und vor allem: an so vielen Orten, kleinen und großen, in der ganzen Welt. In so vielen unterschiedlichen Formaten und in eigentlich allen Genres war Kafka vertreten: im Theater, im Film, in der Musik, in der bildenden Kunst, in der Literatur. Es gab eine solche Vielfalt von Zugängen zu seinem Werk und seinem Leben. Man konnte das ganze Jahr richtig spüren, wie inspirierend und offen für Interpretationen seine Texte sind. Was mich ganz besonders freute, war die Ausstellung in der Westböhmischen Galerie Pilsen „Mit Kafkas Augen. Zwischen Bild und Sprache“ (Očima Franze Kafky. Mezi obrazem a jazykem), von Marie Rakušanová konzipiert, in Zusammenarbeit mit dem Adalbert Stifter Verein. Es war ein wirklich neuer Blick auf seine Beziehung zur visuellen Kunst.

Zuzana Jürgens, Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins

Martin Dzingel, Foto: LV

Wie blickt die deutsche Minderheit in der Tschechischen Republik auf 2024 zurück?

Mit Weltaugen betrachtet, war die Lage dramatisch und weiterhin angespannt. Neben dem Krieg in der Ukraine tobten gewaltsame Konflikte im Nahen Osten. Die politische Situation nicht nur in manchen europäischen Staaten, sondern auch in Übersee zeichnete sich durch Populismus und Radikalismus aus. Desinformationen und die labile Wirtschaft und Politik führten zu Unsicherheit und Ängsten. Blickt man auf das Geschehen in die kleinen Welt der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik, so kann man das Jahr viel positiver und zuversichtlicher Revue passieren lassen. Nach mehr als einhundert Jahren hat Tschechien zugunsten der deutschen Minderheit und der deutschen Sprache und Kultur im Rahmen der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen einen internationalen Vertrag verabschiedet, der einen hohen Schutz für Deutsch gewährleisten soll. Auch das große Unternehmen, Schutz und Pflege der deutschen Gräber, hat wegweisende Ergebnisse gebracht. Intern beschäftigten wir uns in unseren Vereinen mit einer Verbesserung der Effektivität. Die meisten geplanten Projekte und Vorhaben wurden erfolgreich umgesetzt. Hier müssen wir natürlich allen unseren Partnern und Unterstützern, ohne sie dies so nicht möglich wäre, herzlich danken.

Martin Herbert Dzingel, Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 12/2024

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