Die Tschechen sind bekannt als ein Volk der Bierbrauer und der Hockeyspieler. Sie sind aber auch begnadete Wanderer, und das nicht ohne Grund.
Zdrávi došli – Gut angekommen
Schon der Dichter Karel Hynek Mácha begab sich gern in die Natur, um sich von ihr inspirieren zu lassen, und war damit vielleicht einer der ersten prominenten Vorreiter des tschechischen Wandertourismus. Zu Fuß die Welt und das eigene Land zu entdecken, hat in der Tschechischen Republik bereits eine lange Tradition, die von Generation an Generation weitergegeben wird.
Historisch gewachsene Wanderkultur
Die Begeisterung für die Natur und das Wandern besteht nämlich nicht ohne Grund. Sie ist historisch gewachsen. Der älteste Wander- und Tourismusverband wurde schon 1861 gegründet, und zwar von Deutschböhmen in der Kurstadt Karlsbad (Karlovy Vary). Schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veranstaltete auch die Turnbewegung SOKOL Ausflüge in die Natur und nur wenige Jahre später, 1888, wurde der sogenannte „Klub českých turistů“ (Klub der tschechischen Touristen) gegründet. Schnell begannen die damals noch rund 225 Vereinsmitglieder mit der Markierung neuer Wege in den von Tschechen besiedelten Teilen Böhmens und Mährens. Seine Gelder investierte der Verein außerdem in den Bau von Hütten, Aussichtspunkten sowie in die Ausbesserung der Wege.
Mit der Gründung der Tschechoslowakei 1918 gewann das Wandern zunehmend an Interesse und auch Pfadfinderorganisationen bildeten sich ab dieser Zeit massenhaft heraus. Die zumeist jungen Menschen, die ihr Wochenende unter freiem Himmel verbrachten, nannten sich „Divocí skauti“, also „Wilde Pfadfinder“. Sie prägten den Begriff sowie auch die Kultur des tschechischen „Trampings“, einer Mischung aus Wander- und Pfadfinderkultur, in der aber auch die Kenntnisse und Fähigkeiten zum Überleben in freier Natur eine große Rolle spielen. Außerdem war die Tramping-Kultur durch die Orientierung am amerikanischen Wilden Westen und die daran angelehnte Ideologie und Liederkultur geprägt.
Wandern als Akt der Rebellion
Die Tramping-Subkultur, die sich in der Tschechoslowakischen Republik zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet hatte, bekam nach dem Zweiten Weltkrieg einen ganz anderen Anstrich. Mit dem Februarumsturz und der Machtübernahme der Kommunisten 1948 wurden alle sportlichen Vereinigungen in der Tschechoslowakischen Sokol-Gemeinschaft (Československá obec sokolská) zusammengeschlossen. Damit fielen die meisten Aktivitäten, die mit dem Tramping und vor allem der damit verbundenen Arbeit mit Jugendlichen zu tun hatten, unter staatliche Kontrolle. Neben der Tatsache, dass es sich dabei allgemein um eine Strömung aus dem „feindlichen Amerika“ handelte, fürchteten die Machthaber auch einen ideologischen Einfluss auf die eigene Gesellschaft und insbesondere die Jugend.
Einige Tschechoslowaken ließen sich jedoch nicht davon abhalten und erkoren die Natur zu einer Art Zufluchtsort. Besonders in den 1960er Jahren erlebte das Tramping daher eine Renaissance, auch unter dem Einfluss der sich – wieder in Amerika – entwickelnden Hippie-Bewegungen. So wurde das Trampen zu einer Art des passiven Protests gegen das tschechoslowakische Regime. Regelmäßige Ausflüge in die Natur oder auch nur in das eigene Wochenendhäuschen stellten für viele eine Ausflucht aus dem System dar, eine Insel der Unabhängigkeit, der Freiheit und der Freundschaft.
Bis heute Bestandteil der tschechischen Kultur und Landschaft
Ein ganz besonderes Erbe haben die Wanderer des 19. und 20. Jahrhunderts den späteren Generationen hinterlassen: ein Wegesystem, welches bis heute Bestand hat. Hier eine kurze Wegeskunde: Die Wegzeichen für Wanderwege bestehen aus zwei weißen Querbalken mit einem farbigen Balken in der Mitte. Ist dieser rot, so handelt es sich um einen Kamm- oder Fernwanderweg, bei einem blauen um einen bedeutenden Landschaftsweg. Der grüne Balken weist auf regionale Wanderwege und der gelbe auf Verbindungs- und Rundwanderwege hin. Außerdem gibt es auch noch Lehrpfade, die mit einem grünen diagonalen Balken gekennzeichnet sind und Sonderzeichen, die auf Aussichtspunkte, Burgen oder andere interessante Orte hinweisen. Am tschechischen System der Wanderwegemarkierung haben sich auch viele ausländische Wanderwegsysteme orientiert und bis heute umfassen die Markierungen von Wander-, Ski-, Rad- und Reitwegen auf dem Gebiet der Tschechischen Republik eine Länge von rund 70.000 km.
Es ist also kein Wunder, dass man in der Bahnhofshalle des Prager Hauptbahnhofs sehr viele Menschen – von groß bis klein, von jung bis alt – mit einem großen Rucksack auf dem Rücken, dem Liederbuch darin und einer Gitarre in der Hand antreffen kann. Man fährt in die Natur, in Hütten oder zeltet einfach wild, weil das – trotz eines offiziellen Verbotes – nur selten jemanden stört. So findet die Tradition auch noch in der heutigen Gesellschaft ihren Platz, nur eben mit einer leichteren Ausrüstung.
Dem Themenbereich widmeten sich zur diesjährigen Wandersaison verschiedene Ausstellungen im Prager Nationalmuseum: „Tramping“ („Tramping“) und „Gut angekommen“ („Zdrávi došli“). Die Ausstellung „Ein Jahrhundert des Trampings“ („Století trampingu“) ist noch bis 31.03.2020 zu sehen.
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