Ende August 1921 zog der Schriftsteller Jaroslav Hašek in das beschauliche Lipnitz an der Sasau (Lipnice nad Sázavou). Hundert Jahre später begeben sich Hašeks Verehrer auf seine Spuren.
Einige Freunde von Jaroslav Hašek, dem Autor des Antikriegsromans „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“, haben zu jener Zeit das Verhalten des Schriftstellers beobachtet. Sie interessierten sich vor allem für seine Eskapaden in den Prager Kneipen und Nachtlokalen sowie seine Aktivitäten bezüglich der Herausgabe und des Verkaufs der ersten Hefte dieses später weltberühmt gewordenen Buches.
Rund 50 Jahre später, in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, schrieb Andreas Graf Razumovsky, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Prag, in einem Artikel über Hašek sinngemäß, dass „einer der begabtesten tschechischen Linksintellektuellen sein Genie in mächtigen Quellen von Pilsner Urquell ertrank“.
Hier irrte der sonst aufmerksame Beobachter des Lebens und der Geschichte der Tschechoslowakei teilweise – es war eben dieser Bierstrom, der Hašeks Genie beflügelte. Jedoch – und dies dachten auch die Freunde des Schriftstellers im Sommer des Jahres 1921 –war es bei ihrem Jaroslav oft zu viel des guten Trunks. Dazu stagnierte der Verkauf der Romanhefte, der meist in Prager Bierkneipen verlief. Es waren Sorgen um den Erfolg des Buches bzw. um Hašeks Arbeit an ihm, die seine Freunde zur Tat bewegten.
Weg aus Prag
Nach reichlicher Überlegung kamen sie zu dem Schluss, dass es dem Genie und Bierfreund aus Žižkov guttun würde, wenn er sich in eine ruhigere Gegend – am besten aufs Land – zurückzieht und am Buch intensiv arbeitet. Nun musste man es so geschickt anstellen, dass der Schriftsteller keinen Druck empfand, um bei ihm das Gefühl zu vermeiden, dass man ihn aus Prag hinauskomplimentieren wollte. Dazu eignete sich ideal der Maler Jaroslav Panuška, ein Freund Hašeks. Als er Hašek wieder einmal eines vormittags traf, redete er ihm gut zu. Er meinte, er könne mit ihm sofort aufs Land fahren, er, Panuška, würde dort Landschaften malen und Hašek könne am Schwejk weiterarbeiten.
Für ein solches Versprechen seitens des Schriftstellers war Panuška bereit, die Kosten für Hašeks Unterbringung im Gasthof „Zur böhmischen Krone“ in Lipnitz zu übernehmen. Lipnitz liegt in der Region Hochland (Vysočina), einer Gegend mit vielen Wäldern, Hainen, Wiesen und Weiden, der nächste Bahnhof befindet sich in Swietla ob der Sasau (Světlá nad Sázavou).
Ruine der Gaststätte in Radostovice unweit von Lipnice. Hašek saß hier oft mit seinem nicht weniger extravaganten Freund, Schriftsteller und Globetrotter Zdeněk Matěj Kuděj. Foto: Milan Faltus
Swietla – Lipnitz – acht Kilometer in zwölf Stunden
Hašek ließ sich prompt überreden und so stiegen sie hier am 25. August 1921 gegen Mittag aus dem Zug. Nach Lipnitz waren es von Swietla acht Kilometer. Die beiden waren sehr kommunikativ und unterhielten sich unterwegs lebhaft mit der einheimischen Bevölkerung. Außerdem gab es auf der Strecke mehrere Gaststätten, in denen sie ihre Kräfte immer wieder stärkten. Gegen Mitternacht sind sie schließlich im Gasthof „Zur böhmischen Krone“ angekommen.
Auf den Spuren Hašeks
Denselben Weg haben, genau hundert Jahre später, zwei Gruppen von Hašek-Verehrern absolviert. Die erste wurde von Hašeks Enkel Richard und seinem Urenkel Martin angeführt. Es war der Enkel Richard, der den zwischenzeitlich heruntergekommenen Gasthof „Zur böhmischen Krone“ grundlegend renovierte und seitdem mit seinem Sohn Martin erfolgreich betreibt.
Vor dem Gasthof Zur böhmischen Krone – Hašeks Enkel Richard (mittlere Reihe – zweiter von links) mit Freunden und Verehrern seines Opas. Foto: Milan Faltus
Die zweite Gruppe der Hašek-Fans stammt aus der umliegenden Gegend und rekrutierte sich aus den Mitgliedern des Podmelechovský spolek, eines Vereins der Freunde des Hügels Melechov.
Als Panuška Hašek am 25. August 1921 traf und ihn überredete, mit ihm nach Lipnitz zu fahren, war der Schriftsteller in Hausschuhen einen Krug Bier holen. Der Krug blieb in der Kneipe, wogegen Hašek Prag für immer verließ – in Hausschuhen. Das war der Grund, warum die Melechov-Freunde den Fußweg aus Swietla nach Lipnitz ebenfalls in Hausschuhen antraten.
Die Hašek-Fans legten den Weg in Hausschuhen zurück – so wie damals auch Hašek selbst. Foto: Jan Kárník
Hašeks frühes Ende
Hašek bekam im Gasthof „Zur böhmischen Krone“ ein Zimmer direkt über dem Lokal. Er meinte, er sei jetzt überglücklich, da er direkt in der Kneipe wohnen konnte, was für ihn ein neues Lebensgefühl wäre.
Nach mehreren Wochen, in denen er mit alten und neuen Freunden Lipnitz und Umgebung einschließlich der hiesigen Kneipen abklapperte, setzte er die Arbeit am Schwejk fort. Hier sind die Erinnerungen von Kliment Štěpánek interessant, dem Hašek den Schwejk diktierte, nachdem sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte: „Hašek hat sich über seinen Verleger beschwert, der ihn quälte und immer wieder eine Fortsetzung von Schwejk verlangte, und über verschiedene Redaktionen, die ihn mit Bitten um Beiträge geradezu bombardierten. Um weiter arbeiten zu können, brauchte er dringend einen Helfer.“
Denkmal für Jaroslav Hašek unweit seines Wohnhauses in Lipnitz. Foto: Wikimedia Commons/ Matěj Baťha (CC BY-SA 2.5)
Der Erfolg des Romans und die Honorare ermöglichten es Hašek, nach einiger Zeit ein kleines Häuschen unterhalb der Burg von Lipnitz zu kaufen. Das Leben im eigenen Haus konnte Hašek leider nicht lange genießen. Er starb in Lipnitz am 3. Januar 1923 im Alter von 39 Jahren an der Tuberkulose und den Folgen des jahrelangen intensiven Alkoholkonsums.
Obwohl die Diskussionen über das Für und Wider der Figur Schwejks wohl nie aufhören werden, ist eines nicht abzustreiten: Es war der Aufenthalt in Lipnitz, der es Hašek ermöglichte, sich auf die Abenteuer des braven Soldaten besser zu konzentrieren als in Prag.