Rübezahl rief den Mädchen höhnische Worte zu und gab seiner Freude über ihre Angstrufe durch allerlei Gebärden Ausdruck. Credit: Rübezahl – Sagen und Legenden um den Herrn des Riesengebirges. Verlag Carl Ueberreuter, Wien – Heidelberg. 3. Auflage 1954.

Allem Gerede zum Trotz, dass Rübezahl in den Bergen sein Unwesen treibe, wagten sich drei junge, übermütige Frauen an einem strahlenden Frühlingstag ins Riesengebirge.

Sie waren gute Freundinnen, immer zu Scherz und Neckereien gelaunt, hatten ein rasches Mundwerk und waren nicht abgeneigt, dann und wann mit jungen Burschen einen harmlosen Ulk zu treiben und sie ein wenig zum Besten zu halten. Während sie kichernd und lachend bergan stiegen, wünschten sie männliche Begleitung herbei. So ein männliches Wesen hätte ihren Übermut heute zu kosten bekommen. Doch zu ihrem Leidwesen fand sich kein Begleiter ein, sie mussten den ganzen Weg bis zur Herberge, wo sie einkehrten, allein machen.

In der Wirtsstube aber trafen sie einen fein gekleideten jungen Mann, mit dem sie bald bekannt wurden. Es stellte sich heraus, dass der Fremde den gleichen Weg hatte wie sie. Höflich bot er ihnen seine Begleitung an. Sein Antrag wurde angenommen, und man machte sich zum Heimweg fertig. Der junge Mann gefiel den Dreien, sie wussten aber nicht, dass es Rübezahl in eigener Person war, der sich vorgenommen hatte, ihre Ausgelassenheit ein wenig zu dämpfen.

Unterwegs tat ihr jugendlicher Begleiter so, als wäre er ein bisschen einfältig: er stellte sich, als nähme er die Neckereien der jungen Mädchen für ernst und gab ungeschickte Antworten. Sie kamen aus dem Lachen nicht heraus und beschlossen heimlich, sie wollten so tun, als wären sie in den Fremden bis über die Ohren verliebt, um ihn dann desto mehr anlaufen zu lassen. Der arme Rübezahl wusste zum Schluss fast nicht mehr, wie er sich vor dem Kreuzfeuer ihrer scheinbaren Liebesblicke schützen sollte. „Nur zu“, dachte er bei sich, „treibt nur euren Spott mit mir: Das Lachen wird euch schon vergehen!“

Wiederholt schützte er Müdigkeit vor, ließ sich am Wegrand nieder, um zu rasten, und die Mädchen mussten bei ihm bleiben und warten, bis er sich wieder erhob, wollten sie diese lustige Gesellschaft nicht verlieren. Über solche Verzögerung brach der Abend herein, sie kamen aus dem Wald nicht heraus, und bald war es finstere Nacht.

Nun war es freilich mit der guten Laune der Mädchen vorüber. Man war genötigt, unter einem Baum zu nächtigen. Das gefiel den drei Fräulein gar nicht, aber es war nicht zu ändern. Der junge Mann erbot sich, zu wachen. Die Mädchen nahmen das Anerbieten an, legten sich ins Gras und waren bald eingeschlafen.

Jetzt sah Rübezahl seine Zeit gekommen. Rasch eilte er den Hang hinauf zu den Schneegruben, wo ein alter Mann als Feldscheuche auf einem Acker lag. Den schleppte er zum Lager der drei Frauenzimmer und hing ihn mit einem Baststrick über den Schlafenden an einem Ast auf, so dass die Füße gerade über den Köpfen der Mädchen baumelten. Sodann nahm er jeder ein Kleidungsstück weg. Einer den Mantel, der anderen die Haube, der dritten das Halstuch: dazu zog er jeder Schäferin sachte einen Schuh vom Fuß. Ein boshaftes Lächeln stahl sich über seine Züge, während er die Kleidungsstücke auf einen Packen zusammenschnürte und der Strohpuppe unter den Arm klemmte.

Nachdem Rübezahl sein Rachewerk vollendet hatte, entfernte er sich mit heimlichem Grinsen und setzte sich abseits der Schlafstätte auf einen Felsblock, um von weitem zu beobachten, wie die Sache weiter verlaufen würde.

Es war Morgengrauen, als die erste die Augen aufschlug und den Kopf emporrichtete. Da schlugen ihr die Füße der Feldscheuche ins Gesicht. Mit einem entsetzlichen Aufschrei schlug sie die Hände vor die Augen und weckte ihre beiden Gefährtinnen, die gleichfalls in schrilles Geschrei ausbrachen, als sie das Unheimliche vor ihren Augen gewahrten. Schaudernd wollte jede zuerst diesen Platz räumen, da merkten sie, dass jeder ein Schuh oder sonst irgendein Kleidungsstück fehlte: sie kamen auch bald dahinter, dass der Mann auf dem Baum ihre Kleiderbündel unter den Armen hielt. Aber wer sollte es ihm abnehmen? Keine von ihnen wagte es. Da ließen sie lieber ihre Sachen im Stich und liefen mit einem Schuh oder in Strümpfen dem Dorf zu.

Als die drei Mädchen den Wald hinter sich hatten, sahen sie von weitem den jungen Mann, ihren Begleiter von gestern, auf einem Felsblock stehen: er rief ihnen höhnische Worte zu und gab seiner Freude über ihre Angstrufe durch allerlei Gebärden Ausdruck. Nun ging den drei Mädchen ein Licht auf, dass Rübezahl ihr Begleiter gewesen und ihnen diesen Possen gespielt hatte.

Zusammengetragen von Irene Kunc

Dieser Beitrag erschien zuerst in der LandesEcho-Ausgabe nr. 5/2023

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