Am 27. März hat in Tschechien die Volkszählung begonnen. Zehntausende Deutsche leben heute auf dem Gebiet Tschechiens, doch nicht jeder bekannte sich bisher beim Zensus dazu. Wie werden sich die jüngeren Deutschen entscheiden?
„Ich werde wie schon vor zehn Jahren die deutsche Nationalität angeben“, stellt Roman Klinger gleich klar. Nur was die Muttersprache angeht, zögert er noch. Dabei spricht der 33-Jährige aus dem nordböhmischen Nixdorf (Mikulášovice) noch reine Mundart. „In meinem Alter gibt es noch einige wenige, die das sprechen, aber ich kenne keine jüngeren.“ Vor zehn Jahren hatte er noch Deutsch und Tschechisch als Muttersprache angegeben. Aber seit ihm eine Bekannte erzählte, wie er ihr als Kind immer auf ihre tschechischen Fragen schön auf Deutsch geantwortet hat, überlegt er, doch nur das Deutsche als Muttersprache anzugeben.
Von den Großeltern gelernt
„Dass ich Deutsch bzw. Mundart spreche, habe ich meinen Großeltern zu verdanken.“ Er wuchs mit ihnen in einem Haus auf. Als sich die Kindergartenzeit näherte, hätten seine Eltern, auch beide Deutsche, mit ihm mehr Tschechisch gesprochen, damit er keine Probleme bekomme. „Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, weil die Erzieherin ja meine Mutter war“, erzählt Klinger. Doch die Scheu, in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen, hielt noch lange nach 1989 an. „Sogar in meinem ersten Zeugnis war noch meine Nationalität vermerkt“, erinnert sich Klinger.
Der beste Deutschunterricht war für ihn die Endlosserie der 1990er und nuller Jahre „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. „Da lernte ich dann auch die Wörter, die mir zu Hause lieber nicht beigebracht wurden“, lacht er. Gefragt, als was er sich fühlt, antwortet er klar: „Als Sudetendeutscher. Wir sind einfach anders als die Deutschen, wir haben lange mit dem slawischen Element gelebt, das macht sich bemerkbar.“ Am nächsten fühlt er sich noch den Lausitzern. „Die kommen mir immer wie Sudetendeutsche vor.“ Mit ihnen teilt er auch die große Leidenschaft für den Krippenbau, dessen einst große Tradition in seiner Heimat schon verblasst ist.
Typisch deutsch: Ordnung
Typisch deutsch ist dann aber doch wieder die Ordnung. „Die deutschen Häuser in Nixdorf waren immer sauberer und intakter als die, wo Tschechen wohnten. Deutsch hat er auch zum Beruf gemacht. Er unterrichtet Deutsch und Kunst an der Nixdorfer Grundschule. Bleibt für ihn nur noch zu klären, wie er´s mit der Sprache hält. „Ich sage ja immer, ich spreche keine Fremdsprache, nur Deutsch und Tschechisch. Aber wenn ich nachdenke, ein bisschen Polnisch habe ich mal gelernt. Und Hochdeutsch, das ist auch Fremdsprache“, scherzt er. Auf jeden Fall will er in den kommenden Wochen noch viele anhalten, doch für die deutsche Nationalität zu votieren. Das ist ihm wichtig.
Ebenfalls die deutsche Nationalität angeben möchte ein junger Mann aus dem Hultschiner Ländchen. „Ich heiße Daniel und komme aus Markvartovice im Hultschiner Ländchen, auf Deutsch heißt das Markersdorf“, stellt sich der 23-jährige Daniel Vjačka vor. „Ich studiere politische Geographie an der Ostrauer Universität. Meine Hobbys sind Radfahren, Eishockey und Fußball“, erzählt er und bemüht sich um ein fehlerfreies Deutsch, das er momentan an der Uni lernt. Damit scheint sich Vjačka auf den ersten Blick nicht sehr von anderen jungen Leuten in Tschechien zu unterscheiden. Doch Vjačka hat seit seiner Geburt neben der tschechischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit und deshalb auch einen deutschen Reisepass. Das liegt an der Geschichte seiner Familie und an der Geschichte des Hultschiner Ländchens, das mal zu Böhmen, mal zu Preußen, zum Deutschen Reich, der Tschechoslowakei, Hitlerdeutschland und zuletzt wieder zur Tschechoslowakei gehörte. Anders als die meisten Sudetendeutschen wurden die Deutschen aus dem Hultschiner Ländchen nach 1945 auch nicht vertrieben.
Daniel Vjačka hat neben der tschechischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Foto: privat
Zwei Drittel haben den Pass
Die Geschichte sei vielen Menschen im Hultschiner Ländchen auch heute noch bewusst, sagt Vjačka. „Hier ist es normal, über die deutsche Geschichte zu sprechen, es gibt eine starke Verbindung zu Deutschland“, weiß der Student. Wie viele Menschen im Hultschiner Ländchen heute wie er einen deutschen Pass haben, ist nicht bekannt, da es in Tschechien keine Pflicht gibt, doppelte Staatsbürgerschaften zu melden. Laut Schätzungen des Bürgermeisters von Bolatitz (Bolatice), Herbert Pavera, dürften es etwa zwei Drittel der Bewohner sein.
Trotz der starken deutschen Bindung ging über die Jahrzehnte die deutsche Sprache und damit auch ein Stück Identität verloren. Das bestätigt auch Vjačka. Erhalten geblieben sind in der Familie aber deutsche Wörter im alltäglichen Sprachgebrauch. Er zählt auf: „Feuer, Deckel, basteln, Haus, Spiegel, Glasschrank. Wir sagen auch nicht bramborový salát, sondern Kartoffelsalat“, sagt Vjačka und muss lachen.
Vjačka hat seine Wurzeln wiederentdeckt. Nach dem Studium kann er sich vorstellen, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Bei der Volkszählung in diesem Jahr will er Deutsch und Schlesisch als Nationalität angeben. „Ich fühle mich nicht so sehr als Tscheche, sondern eher als Schlesier. Ich treffe auch viele Leute aus Polen, die deutsche Vorfahren haben, und wir haben uns viel zu sagen“, sagt er.
Vom 27. März bis 11. Mai findet in Tschechien die nächste Volkszählung statt. Der Fokus liegt in diesem Jahr aber auf der Online-Zählung, die zwischen dem 27. März und 8. April erfolgt. Die Teilnahme an der Volkszählung ist für alle Personen, die im Zeitraum vom 26. bis 27. März 2021 auf dem Gebiet der Tschechischen Republik Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, verpflichtend (unabhängig davon, ob man sich an den Stichtagen auch tatsächlich in der Tschechischen Republik aufhält oder nicht). Informationen für in Tschechien lebende deutsche Staatsbürger gibt auch die Deutsche Botschaft Prag. Angehörige der deutschen Minderheit beachten bitte auch die Pressemitteilung der Landesversammlung der deutschen Vereine: hier. Mehr über die Volkszählung erfahren Sie außerdem in unserem Beitrag („Die Volkszählung – ein Test für die deutsche Minderheit“) sowie hier: https://www.scitani.cz/