Auf dem Schatzberge bei Iglau wird bis zum heutigen Tage hin und wieder eine altertümlich gekleidete, weiße Frau gesehen.
Wenn der Tag zur Nacht wird und sich der Schatzberg (Šacberk) bei Iglau (Jihlava) wieder in Dunkelheit hüllt, treibt eine blasse Frau in zerrissener Robe ihr Unwesen. Wehklagend irrt sie durch die dunklen Nächte und ruft verzweifelt nach ihrem Liebsten. Verschiedene Mythen ranken sich um jene Frau, die selbst gestandenen Wandersleuten das Fürchten lehrt.
Die Maid mit dem gebrochenen Herzen
Auf dem Schatzberg bei Iglau stand vor Zeiten einmal eine Burg, deren Besitzer eine junge Tochter hatte, die lieblich von Angesicht, aber böse von Gemüt war. Ihre hervorstechendste Eigenschaften waren Geiz und die Geldgier, die alle ihre Handlungen bestimmten. Als es an der Zeit war, fanden sich viele vornehme und wohlgestaltete Jünglinge bei ihrem Vater ein, um ihre Hand zu erbitten. Aber das schöne Fräulein dachte nur an Geld und Geschmeide. Sie ließ einen tiefen Graben um die Burg anlegen, der mit Schlangen und grässlichem Otterngezücht ausgefüllt war. Ein jeder, der sich um ihre Hand bewarb, musste vorher durch diesen Graben reiten oder ihr all sein Hab und Gut übereignen, wenn er in letzter Minute vor dieser ungeheuerlichen Mutprobe zurückschreckte. Keiner hatte es bisher geschafft, aber viele hatten es versucht und waren bettelarm und von aller Hoffnung verlassen heimwärts gezogen.
Eines Tages aber erschien ein junger Ritter vor der Burg, edel und schön an Leib und Seele, der mit leidenschaftlichen Worten verkündete, nichts könne ihn davon abschrecken, das schöne Fräulein zu seiner Gemahlin zu machen. Das Burgfräulein glaubte nicht an die Beteuerungen des liebenden Jünglings, denn schon allzu viele hatten das gleiche gesagt und waren letzten Augenblickes vor der Gefahr zurückgeschreckt. Aber der junge Ritter spornte sein Pferd an und trieb es mit einem mutigen Satz mitten in das ekle Gewürm hinein.
In diesem Augenblick ging in der verhärteten Seele der Schönen eine gewaltige Veränderung vor: Die Liebe, mit der sie so lange grausam gespielt hatte, ergriff mit Macht Besitz von ihrem Herzen, und sie begann um den tapferen Mann zu zittern, der um ihretwillen sein Leben eingesetzt hatte. Aber die Falle, die sie selbst gestellt hatte, wurde ihr nun zum Verhängnis. Mit schreckgeweiteten Augen musste sie zusehen, wie die abscheulichen Leiber der Schlangen sich um den Körper ihres Freiers ringelten, bis er entseelt zu Boden sank.
Das Mädchen kam über den Tod des einzig Geliebten nie hinweg, vergrub voll Reue seine Schätze und führte fortan ein Leben der Besinnung und Zurückgezogenheit. Als sie gestorben war, fand ihre gepeinigte Seele auch im Grab keine Ruhe, und sie irrt noch heute rufend und klagend um den Schatzberg, wo sie noch bis in die neuere Zeit hinein von erschreckten Leuten gesehen wurde.
Die arme Melusina
Wenn in der Gegend von Iglau in unwirtlichen Winternächten der Wind so klagend um die Häuser heulte, dass es sich anhörte, als weine ein leibhaftiger Mensch all seinen Kummer aus, dann ließen die alten Frauen ihre Strickstrümpfe für einen Augenblick ruhen, die Männer nahmen die Pfeife aus dem Mund und sagten; „Hört ihr´s? Die arme Melusina weint wieder einmal zum Steinerweichen.“
Mit dieser Melusina hatte es folgende Bewandtnis: Vor Zeiten war sie ein Mensch aus Fleisch und Blut gewesen, eine Frau, deren Mann vorzeitig weggestorben war und die mit ihrer Hände Arbeit eine Schar von Kindern zu versorgen hatte. Aber das bisschen Lohn reichte nicht und die Körperchen der Kinder wurden immer dünner und ihre Wangen immer blasser. Auch war das Brennholz hinter dem Ofen längst verbraucht, und Mutter und Kinder hatten rotgefrorene Hände und steife Glieder.
Da ging die verzweifelte Mutter zu den Nachbarn und bat sie flehentlich um ein Stücklein Brot für die Kinder und ein paar Holzscheite für den Ofen. Aber an den Nachbarn fraß der Geiz und sie verschlossen Türen und Herzen vor der unbequemen Bettlerin. Die arme Melusina musste mit ansehen, wie ihre Kinder vor ihren Augen an Hunger und Kälte zugrunde gingen. Als sie schließlich selbst gestorben war, fand ihr gepeinigter Geist im Grabe keine Ruhe und irrte noch immer klagend in der Gegend umher, in der sie bei Lebzeiten gewohnt hatte. Längst sind die Nachbarn ebenfalls dahingestorben und haben Kindern und Kindeskindern Platz gemacht, aber das Wimmern und Klagen der verzweifelten Melusina ist bis auf den heutigen Tag zu hören.
Wenn es noch Tag ist und das langgezogene Wimmern durch Fenster und Türen dringt, dann schicken die Mütter ihre Kinder hinaus und geben ihnen ein Tütchen Mehl oder ein paar Bettfedern in die Hand. Die Kinder streuen diese Gaben hinaus, der Wind nimmt sie auf und wirbelt sie fort an einen unsichtbaren Ort, wo die arme Melusina das späte Geschenk dankbar aufnimmt, um ihrer Not damit für ein paar Stunden ein Ende zu machen.
Quelle: Die schönsten Sagen aus dem Sudetenland von Margarete Kubelka
Zusammengetragen von Irene Kunc
Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 2/2025
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