Über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Tschechien kamen Anfang August in Pilsen zu den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen zusammen. Unter dem Motto „Wie wollen wir (zusammen)leben?“ wurde vier Tage lang diskutiert, musiziert und gefeiert – getragen vom Geist des Dialogs und der Versöhnung.

Die ca. 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Tschechien bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen der Ackermann-Gemeinde und der tschechischen Sdružení Ackermann-Gemeinde vom 7. bis 10. August in Pilsen gaben eindeutig Antwort auf die Frage bzw. das Motto der Tagung: „Wie wollen wir (zusammen)leben?“ Ob bei Vorträgen und Podiumsgesprächen, in Arbeitskreisen, in Exkursionen oder kulturellen Events und Gottesdiensten: das Thema wurde in verschiedenen Facetten, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, diskutiert – und vor allem von Jung und Alt gelebt.

Auftakt in Pilsener Kathedrale

Zitate in beiden Sprachen aus dem „Ackermann aus Böhmen“ – dieses Werk gibt den zwei Verbänden den Namen – standen bei der Eröffnungsvesper in der St. Bartholomäus-Kathedrale im Mittelpunkt. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Dr. Albert-Peter Rethmann, betonte in seiner Begrüßung die inzwischen erreichte „Normalität der Kontakte und Beziehungen“. Der Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde, Monsignore Adolf Pintíř, skizzierte den zeitlichen Rahmen der Entstehung dieses Opus und merkte an, dass es in einen anderen Raum führe, „wo andere Kräfte herrschen als in dieser Welt“.

Richard Šulko (rechts) bereicherte mit seinem Sohn Vojtěch den Eröffnungsabend.
Richard Šulko (rechts) bereicherte mit seinem Sohn Vojtěch den Eröffnungsabend. Credit: Markus Bauer

Impulse für ein gemeinsames Europa

Der Großteil des Programms fand im Kulturzentrum Měšťanská beseda statt, so auch der Eröffnungsabend mit Begrüßungen der Vorsitzenden, einem Videogruß des deutschen Botschafters Andreas Künne und einem Grußwort des Pilsener Bischofs Dr. Tomáš Holub. Rethmann verwies auf drei besonders heute wichtige Aspekte: Vielfalt, Konflikte, Übernahme von Verantwortung bzw. Engagement für Freiheit. Zentrale Werte sind für ihn Konsens und Toleranz sowie eine „klare Haltung gegenüber Intoleranz“. Zur Erreichung seien Dialog und der Geist der Versöhnung nötig. Auf die vielfältigen Impulse vor allem an den Grenzen Tschechiens zu Sachsen, Bayern und Österreich sowie die „vielen Menschen, die auf dem Gebiet der Böhmischen Länder gelebt haben und deutsche Wurzeln haben“, verwies Monsignore Adolf Pintíř. Er sprach auch von der „Suche nach einer gemeinsamen Sprache“, die aber weniger durch Grammatik und Wörterbuch charakterisiert werde. „Es geht um das gemeinsame Herz, um das Zusammenleben – um die Herzenssprache“, betonte er. Den musikalisch-kulturellen Rahmen bestritt zum einen die Kapelle „The Dixie Hot Licks“, zum anderen Richard Šulko („Måla Richard“), der – begleitet von seinem Sohn Vojtěch – in Egerländer Mundart Aspekte seiner Familiengeschichte erläuterte und mehrere Lieder und Gedichte vortrug.

Dialog als Schlüsselwort

Das Tagungsthema „Wie wollen wir (zusammen)leben“ durchzog dann das Programm am Freitag und Samstag. Einen Impuls in Form eines Kurzvortrags lieferte der frühere tschechische Ministerpräsident und EU-Kommissar Vladimír Špidla. Die Begriffe „Dialog“ und „Dialogfähigkeit“ waren die durchgehende Linie in seinem Statement. Er betonte, dass jeder Mensch einen Wert habe, der Dialog daher „die einzige Möglichkeit des Überlebens“ darstelle – nicht nur auf der bürgerlichen und individuellen, sondern auch auf der institutionellen bis hin zur globalen Ebene. Für ihn steht zudem das Konzept des Nationalismus in Kontrast zum Dialog. Grundlegend seien ferner die Prinzipien der Menschenrechte, um die gekämpft werden müsse, die Einbeziehung auch der Natur in den Dialog und die Abwendung vom Konsum – insgesamt die „Suche des allgemein Guten“. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Kathrin Freier-Maldoner (Leiterin von Tandem Regensburg), Daniel Herman (Kulturminister a.D. und Honorarkonsul des Fürstentums Liechtenstein) sowie dem Pilsener Salesianerpater Dr. Michal Kaplánek wurde das Thema anhand der Erfahrungen dieser drei Personen vertieft, neue Facetten und Aspekte aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen eingebracht.

Die Podiumsdiskussion am Freitagvormittag. Von links Moderator Dr. Albert-Peter Rethmann, Kathrin Freier-Maldoner, Vladimír Špidla, Daniel Herman, Dr. Michal Kaplánek.
Die Podiumsdiskussion am Freitagvormittag. Von links Moderator Dr. Albert-Peter Rethmann, Kathrin Freier-Maldoner, Vladimír Špidla, Daniel Herman, Dr. Michal Kaplánek. Credit: Markus Bauer

Vielfältige Perspektiven

Um weitere Teilaspekte des (Zusammen)Lebens ging es in sechs Arbeitskreisen: in Europa, in der Kirche und mit anderen Religionen, demokratisch angesichts der zunehmenden politischen Polarisierung, bei verschiedenen soziokulturellen Lebenswelten in der Gesellschaft, im Hinblick auf Klimaveränderungen und Ressourcenknappheit und intergenerationell. In allen Arbeitskreisen bezogen Personen aus Deutschland und Tschechien sowie aus verschiedenen Arbeitsbereichen, Verbänden und Institutionen Stellung und brachten damit viele Eindrücke und Erfahrungen in die Gespräche ein.

„Sozial-ethische Aspekte des Zusammenlebens“ standen am Samstagvormittag auf dem Programm. Dr. Albert-Peter Rethmann und Prof. Dr. Gregor Buß (Professor für Katholische Theologie, Anthropologie, Ethik und Soziallehre an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn) tauschten sich darüber aus. Dabei waren folgende Inhalte zentral: Werte, Fake News (und damit zusammenhängend) Macht. Buß plädierte dafür, andere Stimmen – etwa anderer Konfessionen und Religionen – in den Diskurs einzubringen. Sehr deutlich wurde der Vorsitzende der Ackermann-Gemeinde: „Wir müssen lauter werden, den Mund aufmachen und klar machen, dass wir die Mehrheit sind. Ich möchte mehr christliche Aktivisten. Es reicht nicht nur, die Wahrheit zu sagen: wir müssen sie lauter sagen. Toleranz hört auf, wo Intoleranz und Ausgrenzung beginnen.“

): Die verschieden Ensembles des Rohrer Sommers, hier das Orchester unter der Leitung von Simon Ullmann, umrahmten mehrere Programmpunkte im Verlauf der vier Tage. Hier der Auftritt am Samstagvormittag, an der Oboe Johanna Boehm.
Die verschieden Ensembles des Rohrer Sommers, hier das Orchester unter der Leitung von Simon Ullmann, umrahmten mehrere Programmpunkte im Verlauf der vier Tage. Hier der Auftritt am Samstagvormittag, an der Oboe Johanna Boehm. Credit: Markus Bauer

75 Jahre Junge Aktion

Auch bei sechs parallelen Begegnungen und Exkursionen ging es am Samstagnachmittag um weitere praktische Beispiele des Zusammenlebens in verschiedenen Bereichen. Und natürlich bereicherten viele kulturelle Angebote die Veranstaltung. Am Samstagabend wurde schließlich das 75-jährige Jubiläum der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde gefeiert.

Mit dem von Bischof Holub zelebrierten Pontifikalamt und einer thematischen Collage aus Szenen, Texten und Liedern des Theatermachers und Moderators des deutsch-tschechischen Theaterensembles „Das Thema – To téma“ Philipp Schenker und seiner Mitstreiterin, der Sängerin und Stand-Up-Komikerin Pavlína Matiová, endeten am Sonntag vier beeindruckende Begegnungstage.

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