Wer ist die deutsche Minderheit in Tschechien und wo trifft sie sich? In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen das Begegnungszentrum (BGZ) in Reichenberg (Liberec) vor.
Reichenberg ist mit circa 104 000 Einwohnern die größte Stadt Nordböhmens und liegt am Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien. Obwohl archäologische Funde eine Besiedlung bereits in der Jungsteinzeit belegen, wurde das stark bewaldete Gebiet erst im 13. Jahrhundert durch deutsche Siedler gerodet, wodurch ein günstiger Handelsweg zur Ostsee geschaffen wurde. Einen großen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung Reichenbergs, das 1577 zur Stadt erhoben wurde, hatte die Tuchmacherei, ab der Industrialisierung die Textilindustrie. Ende des 19. Jahrhunderts stand in Reichenberg mit den Liebieg-Werken das größte Unternehmen der Donaumonarchie. Auch Architektur und Kunst erlebten zu dieser Zeit eine Blüte, die der Erste Weltkrieg jedoch allzu bald beendete. Weltwirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg und Vertreibung ließen Reichenberg auch in der Folgezeit kaum zur Ruhe kommen. Auch die Hoffnung auf den Prager Frühling wurde schnell zerstört, heute erinnert ein Denkmal an die Reichenberger Opfer der Besetzung durch Truppen des Warschauer Paktes.
Seit 1999 in Ruppersdorf
Erst nach der Samtenen Revolution gab es erste Zeichen der Besserung. Die Innenstadt wurde restauriert, Investoren wurden angelockt und auch die Deutschen konnten nun ihr eigenes Begegnungszentrum errichten. Träger des Zentrums ist der 1992 gegründete Verein der Deutschen in Nordböhmen, e. V. Dessen Mitglied Krista Blaževičová erinnert sich: „Meine Mutter war Deutsche und mein Vater Tscheche. Ich bin hier geboren und habe als erste Sprache Deutsch gelernt. Meine Eltern haben sich dann dazu entschieden, hier zu bleiben. Ich habe das Gebäude des BGZ immer gesehen, als ich vorbeigefahren bin und habe mich gefragt: ‚Was ist das für ein Haus?‘ Dann hat sich eine Arbeitskollegin, die in der Nähe wohnt, erkundigt, und 2001 sind wir beide Mitglieder geworden. Damals war noch Lothar Porsche der Vorsitzende. Wir sind regelmäßig zu den Monatstreffen gegangen, haben gemeinsam Geburtstage gefeiert oder Ausflüge unternommen.“
Das Begegnungszentrum in Reichenberg-Ruppersdorf. Foto: BGZ Reichenberg
Seit 1999 hat das BGZ seinen Sitz in einem großzügigen Gebäude in Reichenberg-Ruppersdorf mit genügend Platz für die umfangreiche Bibliothek. Außerdem befinden sich dort Seminarräume für den Deutschunterricht und für Treffen sowie ein Büro. Des Weiteren treffen sich Frauenklubs, und es werden Ausflüge an verschiedene Orte organisiert, die mit der deutschen Geschichte und Kultur verbunden sind. Das Zentrum pflegt eine enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Museen vor Ort sowie mit Archiven und Verbänden. In diesem Jahr konnten zum ersten Mal Reichenberger Kinder den großen Garten für Freizeitaktivitäten nutzen.
Umfassende Sanierung
Geleitet wird das BGZ Reichenberg aktuell von Petra Laurin, nachdem im vergangenen Dezember die langjährige Reichenberger BGZ-Leiterin Věra Straková nach schwerer Krankheit verstorben war. Laurin, die auch das BGZ in Gablonz (Jablonec nad Nisou) führt, setzt sich schon seit vielen Jahren für die Belange der deutschen Minderheit ein und gehört auch dem Präsidium der Landesversammlung an. „Ich gehöre zur deutschen Minderheit und bin damit aufgewachsen. Es ist wie meine Familie. Es ist etwas, was fest zu meinem Leben gehört“, sagt Laurin über ihr Engagement.
In Reichenberg hat sich seit ihrer Übernahme schon einiges getan. Das Gebäude und die Räume des BGZ wurden umfassend saniert. Es entstanden drei Gästezimmer für Besucher des Isergebirges und im Garten ein Spielplatz für die jüngeren Gäste. Inzwischen blickt das BGZ bereits auf eine erfolgreiche Ferienzeit für Kinder und Jugendliche zurück.
Seit Kurzem hat der Verein außerdem einen neuen Rat. Neben der neuen Vorsitzenden Laurin möchte sich nun auch Jan Heinzl, Direktor des Klosters Haindorf (Hejnice), als stellvertretender Vorsitzender für die Belebung der deutschen Minderheit in Nordböhmen einsetzen. Die neue fünfköpfige Führung des Vereines ergänzen noch Natascha Duliček, Michaela Janyska und Roman Klinger. „Damit werden alle Ecken der Region gleichmäßig abgedeckt“, ergänzt Laurin.
In diesem Jahr gab es zum ersten Mal eine Ferienfreizeit für Kinder auf dem Gelände des BGZ. Foto: Petra Laurin
Bei allen neuen Aktivitäten arbeitet das Reichenberger BGZ mit dem Haus für deutsch-tschechische Verständigung in Gablonz, dem Reichenberger Heimatkreis, den Partnerstädten Zittau und Augsburg, sowie mit anderen Institutionen, die sich für die deutsche Kultur und Sprache interessieren, zusammen. Dazu gehören z. B. Post Bellum oder der Klub der deutsch-tschechischen Partnerschaft.
Neugierig geworden? Mehr über das BGZ und die deutsche Minderheit in Trautenau erfahren Sie in der Broschüre „Begegnungen. Die deutsche Minderheit in Tschechien“, erhältlich in den BGZ oder zum kostenlosen Download auf der Webseite der Landesversammlung.