Am Mittwoch vergangener Woche (11.10.) fand im Berliner Büro der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland die Premiere der sogenannten Nikolaigespräche statt. Der erste Gast des neuen Formats war Natalie Pawlik, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.
Das Nikolaiviertel im Berliner Ortsteil Mitte liegt unweit des Alexanderplatzes und ist das älteste Siedlungsgebiet der deutschen Hauptstadt. Im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört, wurde es in den 1980er-Jahren wiederaufgebaut und so weit wie möglich rekonstruiert. Rund um die Nikolaikirche im Zentrum des Viertels reihen sich nun schmucke Bürgerhäuser mit urigen Gaststätten, Kneipen, Souvenirläden und Kunsthandwerksgeschäften aneinander.
Inmitten dieses historischen Ensembles hat die in Bayreuth beheimatete Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland im April dieses Jahres ihre Berliner Dependance eröffnet. Und hier fand am 11. Oktober die erste Ausgabe der Nikolaigespräche statt. Das Ziel dieser neuen Veranstaltungsreihe sei es, so Hartmut Koschyk, der Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Verbundenheit, „interessante Persönlichkeiten und Gäste [aus dem Bereich der Minderheitenförderung sowie aus den Reihen der deutschen Minderheiten in Europa und der deutschsprachigen Gemeinschaften in der Welt] zusammenzuführen, um zentrale Fragen der Tätigkeit unserer Stiftung zu diskutieren“.
„Das eine tun und das andere nicht lassen“
Das Auftaktgespräch des nun ins Leben gerufenen Formats fand mit der Aussiedlerbeauftragten Natalie Pawlik unter dem Titel „Gegenwart und Zukunft der deutschen Minderheiten“ statt. Moderiert wurde das Ganze von Maximilian Schmidt, Chefredakteur des Magazins „LandesEcho“ der Deutschen in der Tschechischen Republik. Im Publikum war neben einigen Vertretern der deutschen Minderheiten aus Polen und Tschechien auch eine größere Gruppe junger Russlanddeutscher, die sich in dem Berliner Jugendklub „Warum бы и nicht“ engagieren.
Während des Austauschs wiederholte Natalie Pawlik, die selbst eine russlanddeutsche Biografie hat und als Sechsjährige mit ihrer Familie aus Sibirien nach Deutschland umsiedelte, einmal mehr ihre schon mehrfach getätigte Aussage, dass Minderheitenpolitik immer auch Friedenspolitik sei.
Sie betonte zudem, dass die ethnokulturelle Arbeit der deutschen Minderheiten weiterhin eine enorme Bedeutung habe. Angesichts des historisch erfahrenen Leids der Angehörigen dieser Gruppe sei es für viele von ihnen ein wichtiges Anliegen, ihre Traditionen und ihr Brauchtum weiterhin zu pflegen. Aus diesem Grund orientiere sich die Projektförderung seitens der Bundesrepublik Deutschland sehr stark an den Interessen und Bedürfnissen der deutschen Minderheiten.
Nichtsdestotrotz müsse man auch zur Kenntnis nehmen, dass vor allem junge Menschen heute oftmals weitergehende Interessen hätten als „nur“ den Blick in die Vergangenheit. So könne man wahrnehmen, dass gerade in der Jugendarbeit viel Innovatives geschehe – und es durchaus Raum gebe, um über modernere Themen zu sprechen, beispielsweise über Migration, Klimapolitik oder Digitalisierung.
„Das eine schließt das andere nicht aus“
Angesprochen auf ein eventuelles Spannungsverhältnis zwischen der Identifikation der deutschen Minderheiten mit ihrer nationalen Zugehörigkeit einerseits und der fortschreitenden Globalisierung und europäischen Integration andererseits, sagte Natalie Pawlik, dass es nicht die eine, hundertprozentige Identität gebe; vielmehr trage jeder Mensch vielfältige Identitäten in sich. „Ich bin zum Beispiel Tochter, Politikerin, Freundin, Russlanddeutsche und Läuferin. Es gibt also viele Punkte, die meine Identität ausmachen“, so die Bundesbeauftragte. Man müsse über das Verbindende und das Gemeinsame sprechen. „Ich glaube, dass viele Angehörige der deutschen Minderheiten in den Siedlungsgebieten das Anliegen haben, gesehen zu werden, das Anliegen haben, ihre Geschichten zu erzählen – und das verbindet sie. Dabei können sie durchaus Teil der deutschen Minderheit und gleichzeitig Teil der Mehrheitsgesellschaft sein. Das eine schließt das andere nicht aus.“
Man müsse sich nicht immer zu 100 Prozent für den einen Weg, für die eine Identität entscheiden. Dies sei nicht mehr zeitgemäß. Gerade die jungen Leute definierten sich oft auch als Europäerinnen und Europäer. Die dauerhafte Beschränkung auf das Deutschsein und die komplette Auslegung der Projektarbeit auf diesen Aspekt sei daher nicht zielführend, fügte die SPD-Politikerin hinzu.
Natalie Pawlik schloss ihre Ausführungen mit der Hoffnung, dass die Minderheitenpolitik mit den deutschen Minderheiten in Zukunft gestärkt werde – und „ein Stück weit dazu beitragen kann, dass wir Frieden in der Welt haben und die Werte von Freiheit und Demokratie vorwärtsbringen.“
Zukunft und Zukunftsfähigkeit der deutschen Minderheiten
Als eine Art Nachbereitung des Nikolaigesprächs fand am Vormittag des nächsten Tages (12.10.) noch ein Workshop statt, der sich mit aktuellen Problemen und Herausforderungen, aber auch mit der Zukunft und der Zukunftsfähigkeit der deutschen Minderheiten beschäftigte. Unter den Teilnehmern waren auch drei junge Angehörige der deutschen Minderheit in Polen. Geleitet wurde der Workshop von Dominik Duda, Teamleiter Mittel- und Osteuropa bei der Stiftung Verbundenheit.
Im Kern ging es in der offenen Runde um die Frage, was sich ändern beziehungsweise verbessert werden muss, um die Förderung der deutschen Minderheiten zukunftsfähig aufzustellen. „In diesem Sinne haben wir darüber diskutiert, wie man alle Generationen an einen Tisch bekommt, um die Minderheiten weiterzuführen, und darüber, wie man die Übergabe an die junge oder jüngere Generation gestalten sollte, damit die Minderheiten weiterbestehen und auch in zwei Jahrzehnten noch erfolgreich sein können“, erklärt Dominik Duda – und fügt hinzu: „Wir haben gesehen, dass es ein großes Potenzial in den deutschen Minderheiten und im Austausch zwischen den deutschen Minderheiten gibt.“ Es müsse aber immer auch die Frage nach dem Mehrwert gestellt werden: „Was bringt es den einzelnen Personen, aktives Mitglied in den Strukturen der Minderheiten zu sein?“
Angesichts der schrumpfenden Zahl der aktiven Mitglieder der deutschen Minderheiten ist dies sicherlich eine Frage, die in Zukunft noch stärker in den Fokus rücken wird.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Wochenblatts.