An einem Sonntag im Frühling in Prag. Immer wieder begegnen unserem Kolumnisten Hans-Jörg Schmidt deutsche Spuren. Zuletzt im Kaffeehaus „Louvre“. Nur leider sind sie verwischt.
An einem Sonntag kürzlich ließ ich einen Kinobesuch mit einem kleinen Abendessen im Kaffeehaus „Louvre“ in der Prager Národní, der Nationalstraße, ausklingen. Das „Louvre“ ist eines meiner liebsten Plätze in der Moldaustadt. Man sitzt dort im ersten Stock. Und wenn man einen Platz an den großen Rundbogenfenstern ergattert, kann man von dort wunderbar das Treiben auf der Straße unter sich beobachten. Ich hatte an jenem Abend jedoch kein Auge dafür. Ich widmete mich einer Art Zeitung, einem zweiseitigem Faltblatt, auf das ich an der Garderobe bei der Abgabe meines Mantels gestoßen war. In ihm wird das Kaffeehaus hübsch bebildert vorgestellt, das 1902 eröffnete und seither zu den bedeutendsten Prager Einrichtungen seiner Art gehörte.
Seine Berühmtheit erlangte es durch sein elegantes Interieur und seine prominenten Gäste, die dort nicht nur Kaffee und liebevoll gebackene Torten genossen, sondern auch in einem dazugehörigen Wein- und einem Bierlokal aßen und tranken, oder sich in zwei großen Billard-Sälen tummelten. Jeden Tag gab es im „Louvre“ zwei Konzerte. Der langjährige Eigentümer Adolf Pelc zeigte sich davon überzeugt, ein einzigartiges Haus in ganz Österreich-Ungarn zu besitzen. Dafür spreche auch das unvergleichliche Angebot an einheimischen und ausländischen Tageszeitungen. Zu den erwähnten berühmten Gästen gehörten Tschechen und Deutsche sowie Juden beiderlei Nationalität. Franz Kafka und Max Brod, Albert Einstein und Oskar Kraus oder Jahre später Karel Čapek und der erste tschechoslowakische Präsident T.G.Masaryk. 1948, nach dem kommunistischen Putsch, musste das „Louvre“ schließen. Erst 1992, in der Folge der „Samtrevolution“, wurde es, völlig rekonstruiert, neu eröffnet.
Vieles davon ist in der zweiseitigen Zeitung nachzulesen. Der Text kam mir sehr bekannt vor. Kein Wunder, er stammt aus einem wunderbaren deutschsprachigen Buch von Hartmut Binder über Prags Kaffeehäuser. Er ist von dort schlichtweg nur ins Tschechische und Englische übersetzt worden. Eine deutsche Version gibt es nicht. So, als wäre die Geschichte Prags nicht über 800 Jahre auch eine deutsche und die des „Louvre“ eine zumindest halbdeutsche gewesen. Dabei hätte es für die deutsche Version der „Louvre“-Zeitung nicht mal einen Übersetzer gebraucht. Der Text entstammt ja einem deutschsprachigen Prachtband. Die Garderobiere, eine ältere kluge Dame, argumentierte, dass die Touristen ja alle Englisch sprächen. Ich widersprach: die ganz große Masse der Prag-Touristen komme aus Deutschland. Und mit dem Englisch der meisten Deutschen sei es nicht so weit her. Außerdem sei die Geschichte Prags zu großen Teilen eine deutsche und wahrlich keine englische. Deshalb wäre eine deutsche Version einfach schön und angemessen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Deutsche Spuren findet man schon in meiner zweiten Heimat. Seit 2004 bereits gibt es unweit vom „Louvre“ beispielsweise das großartige Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Es will die deutsche Literatur Böhmens und Mährens als Kulturerbe wiederbeleben. Doch das Prager Literaturhaus ist eine Art Leuchtturm. So wie auch das alljährliche verdienstvolle deutschsprachige Theaterfestival an der Moldau. Mir geht es um etwas anderes: Von Prag erwarte ich ein bisschen mehr Ehrfurcht im Lebens-Alltag gegenüber der – auch – deutschen Geschichte. Auch wenn mir klar ist, dass es die einstige Symbiose von Prager Tschechen, Deutschen und Juden, die erst von den deutschen Nazis und dann von den tschechischen Vertreibern zerstört wurde, nie mehr geben wird.
Das kann Sie auch interessieren:
Im Tschechischen gibt es mehr deutsche Wörter als wir glauben. Die Grafikerin Adela Bierbaumer aus Aussig (Ústí nad Labem) beweist das einmal mehr mit ihrem „Wörtník“.