Es sind zwei Jubiläen nur wenige Tage voneinander entfernt. Der 15. März 1939 und der 12. März 1999. Das erste Datum bedeutete das endgültige Zerbrechen des Traums von der Tschechoslowakei als unabhängiger, souveräner Staat und die nationalsozialistische Okkupation, die später zu einer sowjetischen wurde. Das zweite Datum dagegen brachte Tschechien Sicherheitsgarantien, um die sich unsere Vorfahren vor dem Zweiten Weltkrieg vergeblich bemühten.

Die Zweite Republik wurde im März 1939 vor allem deshalb eine Beute Hitlers, weil wir von unseren westlichen Verbündeten, Frankreich und Großbritannien, verraten wurden, die sich anstelle des gemeinsamen Kampfes gegen die nationalsozialistische Expansion für den Versuch entschieden, auf Kosten der Tschechoslowakei mit den Nationalsozialisten Frieden zu schließen.

Damit erreichten sie nichts außer eines um sechs Monate verzögerten Kriegsbeginns. Sechs Monate, die Hitler mehr nützten als den Franzosen und Briten, weil er sich auf den Angriff Polens vorbereiten konnte. Bei dem Angriff halfen ihm Rüstungsgüter, die bei der Okkupation Böhmens und Mährens beschlagnahmt wurden, sowie zwei Divisionen der Slowakischen Republik, eines Satelliten, den sich der Führer in diesem Teil der früheren Tschechoslowakei schuf.

Das Münchner Abkommen hatte das Rückgrat des tschechischen Volkes derart gebrochen, dass Präsident Emil Hácha am 14. März nach Berlin reiste, um über ein Bündnis mit Hitler zu verhandeln. Nur der Ablehnung Hitlers ist es zu verdanken, dass die Tschechen, die noch im September einer Stütze der demokratischen Welt waren, sich einen „tschechischen Staat“ schufen, der zu einem ähnlichen Mitschuldigen nationalsozialistischer Verbrechen wurde wie die klerofaschistische Slowakische Republik von Jozef Tiso.

Deutschland, unser Verbündeter in der NATO

Der März 1999 war das eindeutige Gegenteil vom März 1939. Das geflügelte Wort, dass sich Geschichte nicht wiederholt, galt auch für die damalige Tschechische Republik. Wir waren zwar wieder in der Situation, dass sich sechs Jahre vorher die Slowakei von uns abgespalten hat und wir uns wieder an den Westen wandten, um Sicherheitsgarantien zu erhalten. Aber es gab einige wesentliche Unterschiede. Unter den westlichen und demokratischen Verbündeten waren auch die Vereinigten Staaten, die sowohl im Ersten, als auch vor allem im Zweiten Weltkrieg und danach zum zuverlässigen Garanten der demokratischen Welt wurden. In der NATO waren mit Frankreich und Großbritannien auch zwei Länder, in denen wir uns im September 1938 zwar täuschten, die aber ihr Verhalten bereuten und halfen, die Tschechoslowakei 1945 zu befreien. Dass die Tschechoslowakei in den Armen der Sowjetunion landete, war nicht ihre Schuld, sondern vor allem unsere.

Das aus Sicht der neueren tschechischen Geschichte wesentliche an dem neuen Bündnis waren aber zwei Punkte. Der erste scheinbar weniger wichtige, aber in den Jahren 1938 und 1939 wesentliche war die Beteiligung zweier Staaten an dem Bündnis, die zwischen den beiden Weltkriegen unsere Gegner waren: Polen und Ungarn. Der zweite, noch wichtigere, war, dass erstmals seit 1918 Deutschland zu unserem Verbündeten wurde. Sicher, mit der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik waren wir bereits gezwungenermaßen Verbündete im von der Sowjetunion kontrollierten Warschauer Pakt. Wichtigstes Ergebnis dieser „Waffenbruderschaft“ in den 40 Jahren seines Bestehens war, dass uns die Ostdeutschen ähnlich wie die sozialistischen Staaten Polen und Ungarn gemeinsam mit der Sowjetarmee 1968 besetzten. Angesichts der Gefühle, die das hervorrufen würde, standen die Ostdeutschen zwar nur in Bereitschaft, trotzdem wurde ihre Beteiligung ein wesentliches Memento.

Der NATO-Beitritt war jedoch keine Selbstverständlichkeit. Die Slowakei unter Führung des autoritären Vladimír Mečiar zum Beispiel erhielt keine Einladung. Da half auch nicht das neue demokratische Kabinett Mikuláš Dzurindas und die starke Unterstützung aus unserem Teil Europas, Bratislava musste auf den Beitritt zur Allianz noch mehr als fünf Jahre warten.

Armeen sind für uns wichtig, aber Geld geben wir nicht

20 Jahre in der Allianz haben uns die stärksten Sicherheitsgarantien gegeben, die wir je hatten. Unsere Soldaten müssen aber für die Verteidigung der NATO-Mitglieder vor Terrorismus in Afghanistan kämpfen, so weit weg von der Heimat wie noch nie in der neueren Geschichte. Schon 20 Jahre lassen unsere Soldaten bei Auslandseinsätzen für die NATO ihr Leben. Im Gegenzug hat sich die Terrorgefahr für unser Land verringert und ist das Prestige der Armee und des Berufssoldaten in Tschechien wieder gestiegen.

Woran wir allerdings festhalten ist die törichte Strategie am Militärbudget zu sparen und für die Armee weniger Geld auszugeben als wir uns beim NATO-Beitritt verpflichtet haben. Tschechien ist in dieser Hinsicht eines der Schlusslichter und diese Haltung ändern die tschechischen Regierungen und Wähler nur sehr langsam und unwillig. Das ist dumm und völlig unwürdig eines Landes mit so schmerzlichen Erfahrungen in seiner Geschichte und für das eine funktionstüchtige NATO wichtigste Garantie nicht nur seiner Sicherheit, sondern überhaupt seiner Existenz als souveräner Staat ist.

Deshalb ist es so wichtig, beim Gedenken an 20 Jahre NATO auch an den März 1939 zu erinnern. An den Moment, als wir ohne Hilfe einem diktatorischen Regime ausgeliefert waren, das uns nicht nur um Demokratie, Freiheit und unseren souveränen Staat brachte, sondern auch plante, uns um unsere nationale Existenz zu bringen. Und wir sollten uns vergegenwärtigen, dass uns heute so etwas nicht mehr passieren kann, vorausgesetzt wir sind in der Nordatlantischen Allianz und in der Europäischen Union, deren Mitgliedschaft wir heute übrigens ähnlich gering schätzen wie jene in der NATO.

Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung Deník.


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