Vergangene Woche feierte das Thomas-Mann-Gymnasium seinen 30. Geburtstag. Zwischen Vorfreude und Applaus erwarteten die Gäste einen Überraschungsgast und ein besonderes Highlight der Schülerinnen und Schüler.

Es ist kurz vor 15 Uhr, im Prager Goethe-Institut herrscht geschäftiges Treiben. Stimmengewirr, fröhliches Lachen und gespannte Erwartung erfüllen die Flure. Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte schlängeln sich zwischen den Besuchern hindurch, während sich der Veranstaltungssaal allmählich füllt. Am Dienstagnachmittag, den 16. September, wird gleich doppelt gefeiert. Und zwar das 30-jährige Jubiläum des Thomas-Mann-Gymnasiums in Prag – und zugleich der 150. Geburtstag des Mannes, dessen Name die Schule trägt: Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger, kritischer Geist und einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Während auf der Bühne noch letzte Vorbereitungen getroffen werden, zeichnet sich im Publikum langsam ein klares Bild ab. In der Überzahl: die Schülerinnen und Schüler, die sich tuschelnd links und rechts in den Reihen verteilen, darunter auch von der Partnerschule des Thomas-Mann-Gymnasiums, der Thomas-Mann-Schule aus Lübeck. Sie waren eigens aus der Geburtsstadt des berühmten Autors angereist, um das Jubiläum gemeinsam zu feiern. Auch eine Reihe von Ehrengästen ist an diesem Nachmittag anwesend. Neben Anaïs Boelicke, Leiterin des Prager Goethe-Instituts, und Martin Herbert Dzingel, Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine in Tschechien und damit offizieller Vertreter des Schulträgers, gratulierte auch Peter Reuss, der designierte deutsche Botschafter, der Schule zum Jubiläum. Danach folgte der vielleicht überraschendste Moment des Nachmittags: der Auftritt des Thomas Manns höchstpersönlich. 

Schulleiterin Zuzana Svobodová zeigte sich stolz anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Thomas-Mann-Gymnasiums.
Schulleiterin Zuzana Svobodová zeigte sich stolz anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Thomas-Mann-Gymnasiums. Credit: Lennard Halfmann

Ein digitaler Thomas Mann

Im Halbdunkeln formt sich vor den Zuschauerinnen und Zuschauern langsam die Gestalt eines Mannes – ein bekanntes Gesicht, das viele nur aus Büchern oder alten Schwarz-Weiß-Fotografien kennen. In feierlichem Ton spricht die Erscheinung zunächst auf Tschechisch, dann auf Deutsch: “30 Jahre ihrer Schule sind ein Fest des Humanismus und der Bildung, die ich stets vertreten habe. Danke, dass ich durch Sie weiterlebe! Und ich freue mich auf die gemeinsame Entdeckung der Welt der Literatur mit Ihren Schülern.” 

Dabei handelte es sich um den „Digimann“, eine virtuelle Figur, erschaffen mithilfe künstlicher Intelligenz und  inspiriert von Thomas Mann selbst. In ihrer Begrüßungsrede erklärt Schulleiterin Zuzana Svobodová: „Zum 30-jährigen Jubiläum unserer Schule haben wir uns selbst ein Geschenk gemacht und einfach den Thomas Mann erschaffen.” Der “Digimann” soll ab künftig ein fester Bestandteil des Unterrichts sein.  

Der digitale Thomas Mann
Ein Geschenk zum 30. Jubiläum: Der „Digimann“ Credit: Lennard Halfmann

Warum Thomas Mann?

Gegründet wurde das Thomas-Mann-Gymnasium 1995 von der Landesversammlung der deutschen Vereine. Die Initiative zur Gründung einer Schule, in der Deutsch als Muttersprache unterrichtet wird, ist gewissermaßen auch eine Reaktion auf die jahrzehntelange Zurückdrängung der deutschen Sprache und Kultur während des kommunistischen Regimes. Wie Martin Herbert Dzingel auch in seinem Grußwort aufgriff, Unterricht in der eigenen Muttersprache war während dieser Zeit für Angehörige der deutschen Minderheit kaum bis gar nicht möglich.  

Erst nach der politischen Wende 1989 kam Bewegung in die Sache. Die deutsche Minderheit konnte sich wieder versammeln, organisieren und vor allem für Bildung sorgen. So öffnete im Jahr 1991 die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung in Prag ihre Türen. Eine Bildungseinrichtung, die in ihrer Art einzigartig war und die Grundlage bildete für das spätere Thomas-Mann-Gymnasium.

Der Präsident der Landesversammlung, Martin Herbert Dzingel, gänzlich begeistert von von der Aufführung der Schülerinnen und Schüler.
Der Präsident der Landesversammlung, Martin Herbert Dzingel, gänzlich begeistert von von der Aufführung der Schülerinnen und Schüler. Credit: Lennard Halfmann

Doch warum ausgerechnet Thomas Mann als Namensgeber? Dzingel erklärt es so: „Thomas Mann war – wie auch die deutsche Minderheit – vom Nationalsozialismus betroffen. Seine Werke waren in Deutschland verboten, er musste ins Exil. Von der Tschechoslowakei erhielt er schließlich eine Staatsbürgerschaft – und wurde so zu einer Figur, die auch unser Schicksal widerspiegelt.“

Thomas Mann auf den Punkt gebracht

Ein ganz besonderer Moment des Nachmittags war die Aufführung „Oh, Mann!“ – das Highlight der Veranstaltung. Gemeinsam mit ihrer Partnerschule aus Lübeck präsentierten die Schülerinnen und Schüler ein Theaterstück. Dieses setzte sich intensiv mit dem Leben und Denken ihres Namensgebers Thomas Mann auseinander. Das Stück ist Teil eines Austauschprogramms, bei dem Zehntklässler beider Länder einander besuchen, um Sprache, Kultur und Land besser kennenzulernen. Im Juni waren die tschechischen Jugendlichen in Deutschland zu Gast, nun reisten die Lübecker für einige Tage nach Prag, um den Austausch fortzusetzen.

Schülerinnen und Schüler präsentieren gemeinsam das „Oh, Mann!“ Theaterstück
Schülerinnen und Schüler verdeutlichen das Leben und die Zeit von Thomas Mann Credit: Lennard Halfmann

Auf der Bühne standen deutsche und tschechische Schülerinnen und Schüler in symbolträchtiger weißer und schwarzer Kleidung – ein Zeichen für die Zusammenarbeit der beiden Länder. Gemeinsam trugen sie Lieder und szenische Passagen vor, die Thomas Mann und seine Zeit „auf den Punkt“ brachten, wie Chorleiterin Ramona Schulz erklärte, die das Stück mit den Jugendlichen einstudierte. Ziel war es, die historische Figur nicht nur für das Publikum, sondern vor allem für die Jugendlichen selbst verständlich und greifbar zu machen. Und das scheint gelungen: „Ich würde sagen, dass es um Friedensvermittlung durch Autoritäten geht – zum Beispiel Thomas Mann, der sich letztlich für Frieden und Freiheit eingesetzt hat“, erläutert die 15-jährige Henrike Sonntag aus Lübeck die Hauptbotschaft des Stücks. Die Prager Schülerin Valerie ergänzte: „Ich denke, das Stück zeigt, dass Menschen einander mit mehr Respekt begegnen sollten. Wir sind alle Blutsschwestern und -brüder, wie es auch in einem der Lieder heißt.“

Ob es im nächsten Jahr eine Fortsetzung des Projekts geben wird, ist noch ungewiss. Doch der Wunsch danach ist bei allen Beteiligten deutlich spürbar. Das befürwortet auch Martin Herbert Dzingel: „Ich wünsche mir, dass die Schule viele solche Projekte wie heute durchführt, denn heute haben wir gesehen, was Unterricht in einer Sprache alles bewirken kann – nicht nur, dass wir sie lernen, sondern auch das Zusammenkommen mit Menschen und Kulturen.“ Das Theaterprojekt zeigte eindrucksvoll, wie Bildung Brücken zwischen zwei Kulturen bauen kann. 

Thomas-Mann-Gymnasium: Mehr als nur Deutschunterricht 

Mit großem Applaus und spürbarer Begeisterung endeten die Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Thomas-Mann-Gymnasiums in Prag. Ein Nachmittag, der nicht nur drei Jahrzehnte Bildungsarbeit ehrte, sondern vor allem die Besonderheit der Schule hervorhob.

Das Gymnasium mit rund 280 Schülerinnen und Schülern gehört zu den wenigen Einrichtungen in Prag, in denen Deutsch auf Muttersprachenniveau unterrichtet wird. Doch nicht allein der hohe Deutschanteil macht das Gymnasium besonders, wie Schulleiterin Zuzana Svobodová betont: „Was bei uns wichtig ist, sind die Projekte, die wir mit den deutschen Partnerschulen durchführen, und dass wir auch Fächer auf Deutsch haben – zum Beispiel Jugend debattiert oder deutsche Literatur.“

 In Zukunft möchte die Schule laut Svobodová vermehrt KI-basierte Projekte wie den „Digimann“ fördern. Vor allem um junge Menschen auf eine digitalisierte Welt vorzubereiten. Dabei setzt die Schule mit ihrem digitalen Thomas Mann erste Impulse im Bereich Künstliche Intelligenz.

Schülerinnen und Schüler können schon jetzt mit dem virtuellen Assistenten diskutieren, sprechen und Fragen stellen. Weitere Ziele der Schule sind nicht nur die Förderung der deutschen Sprachkompetenz, sondern auch die Stärkung der deutschen Minderheit in Tschechien durch bilingualen Unterricht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem intensiven Austausch mit Partnerschulen in Deutschland, den das Gymnasium künftig weiter ausbauen möchte.

Das Jubiläum war somit nicht nur ein Rückblick, sondern vor allem ein Ausblick auf eine Schule, die Tradition und Innovation verbindet, Kultur lebendig hält und jungen Menschen Orientierung in einer sich wandelnden Welt bietet.

Diese Veranstaltung wurde vom Auswärtigen Amt, die Deutsche Botschaft Prag sowie den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützt.

das könnte sie auch interessieren

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.