Am vergangenen Freitag wurde im Schloss Lahn (Lány) der geheimnisvolle, lange versiegelte Umschlag mit den angeblich letzten Worten von Tomáš Garrigue Masaryk geöffnet. Darin äußert sich der erste Präsident der Tschechoslowakei auch über die im Land lebenden Deutschen.

Neues Licht auf das Denken des Staatsgründers und ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, wirft der Inhalt eines Umschlags, der vergangenen Freitag im Beisein des tschechischen Präsidenten Petr Pavel und Masaryks Nachfahren im Schloss Lahn (Lány) bei Prag geöffnet wurde.

Der schlichte, weiße Umschlag trug die Aufschrift „Pečeť do r. 2025“ („Versiegelt bis zum Jahr 2025“). Er war 2005 Antonín Sum, einem Weggefährten und engen Vertrauten von Masaryks Sohn Jan dem Nationalarchiv übergeben worden. Laut Sum sollte der Brief die letzten Worte Masaryks enthalten, die er kurz vor seinem Tod 1937 seinem Sohn Jan diktierte. Bis vergangenen Freitag war der konkrete Inhalt allerdings völlig unbekannt. Entsprechend groß war die Spannung bei der feierlichen Öffnung des Umschlags, die live im Tschechischen Rundfunk übertragen wurde.

Der Umschlag mit den wohl letzten Worten Masaryks trug die Aufschrift „Versiegelt bis zum Jahr 2025“. 2005 hatte ihn Antonín Sum an das Nationalarchiv übergeben. Foto: Národní Archiv

Fünf Seiten voller Urteile und Reflexionen

Im Umschlag befanden sich fünf handschriftliche Seiten, überwiegend in englischer Sprache verfasst. Nach Einschätzung der Historikerin und Archivarin Dagmar Hajková stammen sie vermutlich aus dem Jahr 1934, also drei Jahre vor Masaryks Tod, als sein Gesundheitszustand nach mehreren Schlaganfällen stark angeschlagen war.

Dass die Dokumente überwiegend in englischer Sprache sind, ist wenig überraschend, denn Masaryk war mit einer Amerikanerin verheiratet. Englisch war die in der Familie am meisten verwendete Sprache.

Masaryk reflektiert in den Aufzeichnungen über seine Krankheit, über die Arbeit an der Republik, über sein Begräbnis und über Persönlichkeiten seiner Zeit. Einige Passagen trug Hajková in der Liveübertragung des Tschechischen Rundfunks vor.

 „Ich bin krank, schwer krank, es ist das Ende, aber ich habe keine Angst. Sie werden die Arbeit fortsetzen, Sie wissen wie. Aber Sie müssen vorsichtig sein. Seien Sie vorsichtig. Aber Sie wissen, wie Sie sich zu verhalten haben. Mehr muss ich Ihnen nicht sagen“, heißt es in einer Passage. Zugleich ordnet er an: „Sie müssen eine große Beerdigung organisieren.“

 „Die Menschen haben Angst vor dem Tod, aber das ist nichts, wovor man sich fürchten müsste – man muss sich nur neue Kleider kaufen. Das ist alles“, so der damalige Präsident.

Tomáš Garrigue Masaryk, geboren am 7. März 1850 in Göding (Hodonín), war Staatsgründer der Tschechoslowakei und deren Präsident von 1918 bis 1935. Er starb am 14. September 1937 in Lahn (Lány).
Tomáš Garrigue Masaryk, geboren am 7. März 1850 in Göding (Hodonín), war Staatsgründer der Tschechoslowakei und deren Präsident von 1918 bis 1935. Er starb am 14. September 1937 in Lahn (Lány). Credit: Wikimedia Commons

„Die Deutschen sollten bei uns bleiben“

Erwartungsgemäß widmet sich Masaryk auch seinem politischen Vermächtnis und der Zukunft „seiner“ Tschechoslowakei. Insbesondere äußert er sich über die Deutschen, mit über drei Millionen Menschen die größte nationale Minderheit im Land: „Die Deutschen sollten bei uns bleiben. Gebt ihnen, was sie verdienen, aber nicht mehr.“ An einer weiteren Stelle vergleicht Masaryk Tschechen und Deutsche. „Die ganze Philosophie unserer Politik: Tschechen sind praktische Arbeiter. Deutsche sind zwar ehrlich, aber sie stehlen noch mehr.“

Diese Sätze fallen in eine Zeit, in der sich die Spannungen mit den Sudetendeutschen verschärften. 1933 war die Sudetendeutsche Heimatfront gegründet worden, aus der wenig später die Sudetendeutsche Partei hervorging. Während Masaryk in seiner Amtszeit öffentlich stets betont hatte, dass Loyalität wichtiger sei als nationale Herkunft, klingen in den „letzten Worten“ deutliche Zweifel und Misstrauen durch.

Kritik und Selbstkritik

Auch über andere Persönlichkeiten urteilt Masaryk unverblümt. Den slowakischen Politiker Andrej Hlinka nennt er einen „Dummkopf“, der einen „Fehler mit den Ungarn“ begangen habe. Gleichzeitig heißt es aber, dass man ihm verzeihen solle. Nicht zuletzt zeigt Masaryk auch Selbstkritik: „Warum sollte man darum ein großes Theater machen, denn ich war genauso dumm wie die anderen.“

Über die Bevölkerung insgesamt urteilt er: „Wenn Menschen ungebildet und dumm sind, kann man nicht viel tun. Die Menschen sind gerne dumm. Aber machen Sie es ihnen nicht zu leicht. Streiten Sie und diskutieren Sie mit ihnen.“

Weitere Untersuchungen

Bei den von Hajková vorgetragenen Passagen handelte es sich um spontane Übersetzungen aus dem Englischen ins Tschechische – der genaue Wortlaut kann sich also nach einer genaueren Analyse noch ändern. Die Aufzeichnungen sollen nun im Nationalarchiv weiter untersucht werden. Historiker warnen bereits, sie als ein geschlossenes politisches Testament zu deuten. Vielmehr handele es sich um persönliche Reflexionen eines alten Mannes, die einen seltenen, ungefilterten Blick auf den Menschen Masaryk erlauben. Mitte Oktober sollen der komplette Inhalt sowie die Ergebnisse der Analyse der Öffentlichkeit präsentiert werden.

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