Foto: Detmar Doering

Der tschechische Schriftsteller Bohmil Hrabal starb vor 25 Jahren unter mysteriösen Umständen. War es Selbstmord?

Wenn man weiß, was hier geschah, beschleicht einen ein unheimliches Gefühl. Vor 25 Jahren, am 3. Februar 1997 um 14.30 Uhr schlug hier in der Zenklova 830/169 im Prager Stadtteil Libeň einer der Großen der tschechischen Literatur auf dem Asphaltboden des Parkplatzes auf. Genau unter dem Fenster jenes Zimmers Nummer 11 im dritten Stock des Krankenhauses, in das er zwei Monate zuvor eingeliefert worden war. Die herbeieilenden Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Bohumil Hrabal war zu Tode gestürzt.

img 1705 1 2Eine polizeiliche Untersuchung, wie der 82-jährige Schriftsteller denn aus dem Fenster hatte stürzen können, legte einen Unfall nahe, kam aber zu keinem beweiskräftigen Schluss. Möglicherweise habe er die Tauben dort oben füttern wollen und sei dabei abgestürzt. Das glaubten aber schon damals nicht alle Menschen. War es nicht doch Selbstmord? Oder gar schlimmeres? Hrabal war im Dezember nach einer Rückenverletzung mit einer schweren Neuralgie eingeliefert worden. Schon kamen Vermutungen – Verschwörungstheorien, gar? – auf, er wäre gar nicht mehr fähig gewesen, auf das Fensterbrett zu klettern. Abgesehen davon, dass niemand ein Motiv für einen solchen Mord gehabt hatte, stimmt der zugrundeliegende Befund nicht. Er konnte sich wohl noch (wenngleich mühsam) bewegen und hatte sich aus den Büchern in seinem Zimmer eine kleine Treppe gebaut. Aber die Selbstmordtheorie ist allerdings nicht vom Tisch. Und dafür gibt es gute Gründe dafür, obwohl letzte Beweise wohl heute nicht mehr zu finden sind.

Eine Quelle, die die Selbstmordhypothese stützt, sind die Aussagen des betreuenden Arztes Pavel Dungl, der später über sein letztes Gespräch (von vielen) am Vortag berichtete, dass Hrabal ihm gesagt habe: „Hlaváček winkt mir heute zu.“ – „Was?!“ – „Hlaváček winkt mir vom Friedhof zu, er lädt mich zu sich ein“, wiederholte er. Und in der Tat ist die Sache schon ein wenig spukig, denn Hrabals Lieblingsdichter und Maler Karel Hlaváček, ein Vertreter eines recht düsteren und dekadenten Symbolismus, der 1898 jung, aber qualvoll an Tuberkulose gestorben war, liegt tatsächlich in Sichtweite des Krankenhauses begraben. Und Dungl fügte noch hinzu, wie sehr in seinen letzten Gesprächen Hrabal von dem russischen Volksdichter Sergej Jessenin beeindruckt war, der 1925 mit nur 30 Jahren sein Leben mit eigener Hand beendete: „Er bewunderte Sergej Jessenin. Er sagte immer: Jessenin, er war ein Riese, er schrieb alles, was er für nötig hielt, und warf auch alles weg, vertrank den Familienbesitz und ging dann auf den Hof und erhängte sich. Das war das Ende des würdigen großen Schriftstellers. Jeder, der eine solche Entscheidung für sich treffen konnte, war für ihn ein großartiger Mensch. Er war sehr beeindruckt. Wenn er sich also entschied, Selbstmord zu begehen, war es eine bewusste Handlung.“

Aber nicht nur die Auslassungen des Arztes über die letzten und düsteren Gespräche mit dem Schriftsteller beflügelten die Annahme, dass Hrabal Selbstmord begangen habe. Der Selbstmordgedanke zieht sich fast wie ein roter Faden durch die Lebensgeschichte und das Werk Hrabals. „Mein Schreiben ist eine Art Schutz vor dem Selbstmord“, soll er einmal gesagt haben. Schon in einem frühen Werk, der Geschichte „Automat Svět“ von 1965, geht es um eine Frau, die sich bei einer Hochzeitsfeier im Nebenraum erhängt. Auch, wo es nicht in Selbstmord endete, schlingerten in seinen Romanen – etwa seinem bekanntesten Werk „Ich habe den englischen König bedient“ („Obsluhoval jsem anglického krále“) von 1971 (unzensiert erst nach 1989 erschienen) oder der düsteren „Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht“ („Ostře sledované vlaky“) von 1966 – die Charaktere durch ein düsteres und nihilistisch anmutendes Leben. Schwarzer und sarkastischer Humor war das Markenzeichen des Schriftstellers, der eine pessimistische Weltsicht zu verbreiten suchte. Die Erfahrungen mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts prägten ihn zutiefst und er verarbeitete sie immer wieder thematisch. Obwohl kein Widerständler im eigentlichen Sinn wurde er von den Kommunisten als nicht sonderlich linientreu eingestuft. Er erhielt eine Zeit lang ein Publikationsverbot, das erst ein wenig gelockert wurde, als er notgedrungen auf Druck des Regimes eine erniedrigende Selbstbezichtigung veröffentlichte. Lange musste er als Hilfsarbeiter sein Geld verdienen, eine Erfahrung, die er in seinem Roman „Allzu laute Einsamkeit“ („Příliš hlučná samota“) von 1976 verarbeitete, das von einem Intellektuellen handelt, der alleine in einer Müllsammelstelle mit einer Papierpresse im Keller Bücher zerstampfen muss.

Auch persönlich schien sich der Schriftsteller am Vorabend seines Todes einsam zu fühlen. Seine geliebte Frau, die Künstlerin Eliska Plevová (von ihm Pipsi genannt), war schon vor zehn Jahren gestorben. Viele seiner engeren Freunde waren von ihm gegangen. Zudem war ihm bewusst, dass sein Leiden, das ihn ins Krankenhaus gebracht hatte, chronisch, wenn nicht tödlich sein werde. Und sowieso: Einem Grundpessimisten wie ihn verhalf selbst die Anerkennung, die ihm nach dem Fall des Kommunismus 1989 zuteilwurde, nicht zu einer weniger schwarzen Weltsicht, die sogar mit zunehmendem Alter immer schwärzer wurde. So ließ es sich etwa 1994 kein Geringerer als US-Präsident Bill Clinton nehmen, mit ihm und Vacláv Havel in einer Altstadtkneipe ein Bier zu trinken. Wie dem auch sei: Ein Selbstmord ist nicht mehr beweisbar (und auch nicht widerlegbar), aber ist psychologisch äußerst plausibel als Annahme. Aber zumindest hatte der Tod ihn an einem interessanten Platz heimgesucht. Das Krankenhausgebäude steht – von Bäumen und Büschen etwas von der an sich recht unattraktiven Umgebung abgeschirmt – einsam auf einem Hügel, von dem aus man die Stelle sehen kann, wo 1942 das Attentat auf den „Schlächter von Prag“ stattfand, wie man den von den Nazis berufenen „Stellvertretenden Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich nannte, und wo heute ein Denkmal für die tapferen Attentäter steht.

Das Gebäude ist ein kolossaler und in der Tat recht auffälliger Bau im Stil des Neobarock, der eher an ein Schloss erinnert. Es wurde in den Jahren 1905 bis 1907 nach den Plänen des Architekten Jan Kříženecký fertiggestellt. Ursprünglich war es nicht als Krankenhaus, in dem Neuralgiepatienten behandelt werden, geplant, sondern als eine Erziehungsanstalt („Vychovatelna“). Hier sollten „moralisch gestörte Jugendliche“ im Alter von 8 bis 18 Jahren gepflegt und auf den rechten oder zumindest besseren Weg geführt werden. Das Ganze wurde auf Veranlassung der Stadt Prag gegründet, deren Wappen man auch auf der Fassade in schönem Stuck prangen sehen kann. Eine solche Einrichtung – übrigens die erste ihrer Art in Böhmen -war damals etwas völlig Neues und sozial Fortschrittliches.

Als pädagogische Einrichtung bestand die Vychovatelna nur bis 1941. Dann wurde sie in das Fakultäts-Krankenhaus Bulovka (Fakultní Nemocnice Bulovka) eingegliedert, einem aus mehreren Gebäuden, die über die Stadt verteilt sind, bestehenden Krankenhauskomplex. Von nun ab diente das Gebäude als „normales“ Krankenhaus. Schon ein Jahr nach dieser Umwandlung wurde hier kurz der gerade und nur Meter entfernt durch die Attentäter (letztlich tödlich) verletzte Naziverbrecher Heydrich als Notfall eingeliefert, der aber den tschechischen Ärzten nicht traute und sich umgehend in ein von deutschen Ärzten betriebenes Krankenhaus verlegen ließ.

Foto: Detmar Doering

Heute gehört der Krankenhausbau zu den bekanntesten der Stadt. Daran mag der es umfächelnde Atemhauch der Geschichte – der Anschlag auf Heydrich und vor allem der seltsam rätselhafte Tod Bohumil Hrabals – seinen Anteil haben. Und dass das Gebäude so prachtvoll ist, bleibt auch selten unbemerkt. Es wurde zurecht 2004 zum Kulturdenkmal erklärt. Alleine die oberhalb abgebildete Vortreppe verfehlt selten seine Wirkung, den Besucher zu beeindrucken.

Und was Hrabal angeht, der auf dem Platz vor dem Krankenhaus sein Ende fand: War es Selbstmord? Oder doch der Unfall beim Füttern von Tauben? Hrabals Werk war düster und rätselhaft. Was soll man von der Todesvision und der Erzählung vom Erscheinen des toten Dichters Hlaváček halten? Mysteriös ist es. Alles ist möglich. Vielleicht ist es gut so und wird dem Schriftsteller besonders gerecht, wenn wir das nie wirklich herausfinden werden.


Ahoj aus PragAhoj aus Prag! Seit September 2016 leben wir berufsbedingt in Prag. Wir – eigentlich Rheinländer – haben sie schon voll in unser Herz geschlossen, diese Stadt! Deshalb dieser Blog, in dem wir Fotos und Kurzberichte über das posten, was diese Stadt so zu bieten hat und was wir so erleben. Wir, das sind:

Lieselotte Stockhausen-Doering und Detmar Doering

… und unser Hund Lady Edith! Wer sich in Prag einmal umschauen möchte, wird auf diesem Blog nach einiger Zeit sicher Interessantes finden, was nicht jeder zu sehen bekommt, der die Stadt besucht. Viel Spaß beim Lesen!

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