Dass sie einmal nach Iglau fahren würde, hätte unsere LandesBloggerin Lucia wohl nicht gedacht. Trotzdem begab sie sich mit ihren Kollegen dorthin und erlebte Unerwartetes.
„Lasst uns nach Iglau fahren“, schlug mein Kollege Jonas neulich vor. In ein paar Tagen wäre schließlich St. Wenzelstag, und wir somit von der Arbeit befreit. Es war klar, dass wir diesen Tag zu dritt, also Jonas, Tobias und ich, allesamt aus der Redaktion, verbringen würden. „Aber warum in Iglau?“, fragte ich mich insgeheim. Davon hatte ich, ehrlich gesagt, noch nichts gehört, und auch als ich am Abend meine tschechische Tante fragte, ob sie jemals dort gewesen war, schüttelte sie nur verdutzt den Kopf: „Iglau? Warum nach Iglau?“, fragte sie. Ja, das konnte ich auch nicht recht nachvollziehen, aber Jonas hatte die Antwort für uns parat: In Iglau steht nämlich das Gustav-Mahler-Haus. Außerdem gebe es dort einen Jüdischen Friedhof, so seine für uns ausreichende Begründung.
Der erste Eindruck zählt
Also machten wir uns trotz Bedenken auf den Weg. Wir fuhren mit dem RegioJet von Prag zu unserem angestrebten Ziel und machten an einem ziemlich tristen Busbahnhof in Iglau Halt. „Na toll“, dachte ich mir zunächst, „hätte ich Prag doch nie verlassen“. Der berühmte erste Eindruck war also eher ungünstig. Gerechterweise möchte ich aber hinzufügen, dass kaum ein Busbahnhof eine besonders fröhliche Atmosphäre ausstrahlt, zumindest meiner Kenntnis nach.
Mit der Hoffnung auf Besserung machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt. Auf dem Weg dorthin zogen wir durch menschenleere Gassen vorüber an Häusern, die, Zitate meiner Kollegen, etwas „verlebt“ aussahen und ihre „beste Zeit hinter sich hatten“. Ja, dem musste ich zustimmen. Die blassen Fassaden bröckelten an manch einem Haus hinunter, aber trotzdem hatte das Ganze einen gewissen Charme. Jedenfalls kamen wir am Masaryk-Platz, dem Hauptplatz der Stadt, an und waren erst einmal erleichtert über dessen Schönheit. Die Sankt-Ignatz-Kirche (Kostel svatého Ignáce z Loyoly) zog unsere Blicke auf sich und eignete sich für ein paar schöne Aufnahmen. Wir gingen weiter den Platz entlang, vorbei am plätschernden Brunnen und am McDonalds, welcher in uns gleichsam Abschreckung und Hungergefühl hervorrief. Die Konsequenz: Die Suche nach einer geeigneten Verpflegungsoption hatte fortan Priorität.
Der Iglauer Masaryk-Platz mit seiner Kirche (Kostel svatého Ignáce z Loyoly). Foto: Lucia Vovk
Auf einem abseitig gelegenen Platz fanden wir ein vermeintlich vielversprechendes Restaurant, das den Vegetarier in unserer Runde durch seinen „Smažený sýr“ überzeugte. Wir, mag es aus Solidarität oder Verzweiflung gewesen sein, bestellten ebenfalls den gebackenen Käse, und mussten bei der Verkostung feststellen, dass es eben auch bei simpelsten Gerichten Qualitätsunterschiede geben kann. Immerhin waren wir jetzt gestärkt und konnten unseren Weg fortsetzen.
Die einzigen Touristen vor Ort
Nächstes Ziel: Das Gustav-Mahler-Haus. Einer der Gründe, warum wir überhaupt Iglauer Boden betreten hatten. Wir traten ein in ein Haus mit schummrigem Licht, es schien verlassen, aber ein Schild wies uns weiter zur Kasse, und damit schnurstracks zu einer älteren, freundlichen Dame. Wir kamen uns vor, als beträten wir bisher von Menschen unberührtes Terrain, die Dame an der Kasse konnte über Minuten nicht den Eintrittspreis herausfinden. Trotzdem bekamen wir, zumindest zwei von uns, die Tickets, das dritte wollte gerade nicht gedruckt werden. So viele Gäste auf einmal hatte das Gustav-Mahler-Haus wohl nie zuvor gesehen. Also machten wir uns auf in den obersten Stock, in dem sich ein Raum mit iPads und Kopfhörern befand, mit denen man Mahlers Musik lauschen konnte. Auch ein Klavier und ein Liederbuch mit 50 Klassikern lud zum Spielen ein. So versuchte ich mich mal daran, ein paar Tasten anzuschlagen. Wir arbeiteten uns durch die Stockwerke hindurch und nun wusste ich endlich mehr von dem Mann, der für mich bis vor ein paar Minuten noch ein Unbekannter gewesen war.
Im Inneren des Museums hat man die Möglichkeit, alles über Gustav Mahler und sein Leben zu erfahren. Foto: Lucia Vovk
Wieder unten an der Rezeption angekommen, bekam ich ein dickes Heft über Herrn Mahler geschenkt. Die Dame vom Empfang beteuerte, dass sie leider nicht genug Hefte für uns alle hätte, aber ich machte ihr klar, dass die anderen beiden nur Deutsch sprächen und es deswegen schon in Ordnung wäre. „Das sind Deutsche?“, fragte die Frau verwundert. Die Tschechischkenntnisse meiner Kollegen hatten wohl nicht sofort ihre Herkunft offenbart. Fröhlich klärte sie uns über ihre Deutschkenntnisse auf und erzählte über einen belarussischen Touristen, der hier vor ein paar Tagen gewesen war und mit dem sie sich auf Englisch unterhalten hatte.
In schwindelerregender Höhe
Anschließend verließen wir Gustav Mahler und sein Haus, denn ein Tagesausflug ohne die Besteigung des Kirchenturms in Iglau, war völlig ausgeschlossen. Der Aufstieg auf den Glockenturm war steil, die Decken niedrig, das bekam Tobias, der sich zu unbedarft bewegte, auch bald zu spüren. Der Blick über die 50.000 Einwohner-Stadt war fabelhaft, die Sonne strahlte uns ins Gesicht. Allein die schmal gehaltene Aussichtsplattform ließ selbst in denjenigen Höhenangst aufkommen, die ansonsten von dieser Phobie nicht gequält werden.
Der Ausblick vom Turm aus auf Iglau. Foto: Jonas Klimm
Momente vergehen, Erinnerungen bleiben
Also schnell wieder herunter, stimmte das Läuten der Kirchturmglocken uns doch schon auf die Kaffeezeit ein. Leider verdödelten wir in dem Café auf dem Masaryk-Platz zu viel Zeit. Als wir der Uhrzeit gewahr wurden, stellten wir erschrocken fest, dass der Jüdische Friedhof bald seine Pforten schließt. Es sollte wohl einfach nicht sein. Also schlenderten wir durch die urplötzlich bevölkerten Gassen der Altstadt. Je länger unser Aufenthalt in Iglau dauerte, desto mehr konnten wir so manch schöne Ecke der Stadt für uns entdecken. Als wir Iglau wieder in Richtung Prag verließen, hatten wir doch ein besseres Bild der Stadt gewonnen. Trotzdem werde ich die Stadt nicht vermissen, meine Kollegen, die letzte Woche ihr Praktikum in der Redaktion beendeten, werden mir aber schon fehlen. Durch ihre Gesellschaft bereicherten sie die Stimmung in jeder Situation und an jedem Ort, unabhängig von dessen Schönheit. Es war ein toller letzter Ausflug gewesen und ich werde ihn so wie meine Kollegen lange nicht vergessen.
Ahoj und Hallo,
ich heiße Lucia Vovk und unterstütze die LandesEcho Redaktion als Praktikantin von Anfang August bis Ende Januar. Ich werde das Praxissemester meines Studiums der Werbung und Marktkommunikation hier verbringen und freue mich auf die Erfahrungen im Online- und Printbereich. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, da meine Mutter aus Tschechien stammt. In der letzten Zeit habe ich gemerkt, wie mein Tschechisch langsam schwindet. Das mag daran liegen, dass ich durch mein Studium weniger Gelegenheit habe, mit meiner Familie zu kommunizieren und Zeit in Tschechien zu verbringen. Deswegen bin ich schon gespannt darauf, während meines Praktikums mehr über meine Wurzeln zu erfahren, meine Sprachkenntnisse zu verbessern und das Land, in dem ich geboren wurde, besser kennenzulernen. Denn: „Všude dobře, doma nejlíp“ („Überall ist es gut, aber daheim am besten“).