2015 verdarb es sich die Bundeskanzlerin mit den Tschechen. Doch nun wollen sie Angela Merkel nach der Wahl behalten.
Über viele Jahre ihrer langen Kanzlerschaft stand Angela Merkel bei den Tschechen hoch im Kurs. „Sie war Tschechien und Ostmitteleuropa immer besonders zugetan“, formuliert es Martin Ehl, Kommentator einer großen Prager Zeitung. Er denkt dabei auch an die Zeit vor 1989, als die Physikerin Merkel Prag bei Studienaufenthalten an der Akademie der Wissenschaften lieben gelernt hatte.
2015 dann, in der Flüchtlingskrise, verlor Merkel im Nachbarland massiv an Ansehen. Die Regierenden ließen die Kanzlerin mit ihrer Forderung abblitzen, ebenfalls Flüchtlinge aufzunehmen. Auch die Medien waren damals voller böser Kommentare. Der Merkel-Satz „Wir schaffen das“ wurde gern schadenfroh zitiert, wenn sich Zuwanderer partout nicht an die Regeln in Deutschland anpassen wollten. Häme statt Mitgefühl sogar bei Gewalttaten.
Unsicherheit nach Merkels Absage an eine weitere Kandidatur
Spätestens nach der Ankündigung von Merkel, 2021 nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen, änderte sich die Stimmung erneut. Plötzlich mehrten sich wieder Artikel, denen zufolge man der Kanzlerin womöglich noch nachweinen werde. Zwar resümierten vor kurzem die Präsidenten beider Länder, Frank-Walter Steinmeier und Miloš Zeman, zufrieden, „dass unsere Partnerschaft und Nachbarschaft feste Fundamente haben – praktisch unabhängig von den konkreten politischen Konstellationen (in unseren Ländern).“
Aber in Prag macht man sich schon Gedanken darüber, wer Merkel demnächst nachfolgen wird. Es vergeht kein Tag, an dem der deutsche Wahlkampf von den Medien an der Moldau nicht ausführlich nachvollzogen wird und die aktuellen Umfragen kommentiert werden. Außerdem müssen die Zeitungen reichlich Arbeit leisten, um die Kandidaten überhaupt erst einmal vorzustellen. Selbst an Politik interessierte Tschechen kennen neben Merkel vom Namen her bestenfalls noch die Ministerpräsidenten der Nachbarbundesländer Sachsen und Bayern, Michael Kretschmer und Markus Söder, die enge Beziehungen nach Prag pflegen, was sich vor allem in der Corona-Zeit ausgezahlt hat.
Vollends glücklich wäre man an der Moldau mit keinem der drei Spitzenleute von SPD, CDU/CSU und Grünen. Eine besondere Nähe zu Tschechien und zu den anderen Ländern Ostmitteleuropas, die Merkel hatte, attestiert man weder Olaf Scholz, noch Armin Laschet oder Annalena Baerbock.
Etwas sorgenvoll betrachtet man die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der Linken in einer Koalition mit SPD und Grünen. Die würde „ernsthafte Fragen nach der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands aufwerfen“, hieß es in der Zeitung Mladá fronta Dnes.
Die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet beim TV-Triell am 12. September. Foto: ČTK/dpa/ Michael Kappeler
Das Ansehen der Kandidaten in Tschechien
Armin Laschet wird zwar als der Wunschkanzler Merkels verortet, aber als deutlich schwächer als die Kanzlerin eingeschätzt. Laschest enge Beziehungen zu Frankreich könnten zudem zu Lasten Ostmitteleuropas gehen, fürchtet man.
Noch weniger Freude hätte man in Prag an einer grünen Kanzlerin Annalena Baerbock. Das hängt mit den generellen Zweifeln der Tschechen an der aus ihrer Sicht „hysterischen“ Klimapolitik der Grünen zusammen. Die kommentierte Präsident Zeman im Beisein Steinmeiers etwas süffisant mit den Worten: „Wir werden auf die Ergebnisse des deutschen Kurses zur Abschaltung nicht nur der Kohle- sondern auch der Atomenergie warten. Wenn es da zu einem Mangel an Elektrizität kommt, wird Tschechien als bedeutender Exporteur sehr gerne bereit sein, Strom in die Bundesrepublik zu liefern – zu einem vernünftigen Preis.“
Zur Erläuterung: Die Regierung in Prag strebt an, den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung bis 2040 von rund einem Drittel auf die Hälfte auszubauen und macht schon jetzt hervorragende Geschäfte beim Stromexport beispielsweise nach Österreich, das seinerseits der Atomenergie abgeschworen hat.
Deutschland, so erwartet der tschechische Botschafter in Berlin, Tomáš Kafka, werde ohne Merkel vor allem auch eine andere Rolle in der EU einnehmen müssen: „Die Kanzlerin hatte die Fähigkeit, allen zuzuhören und dann Kompromisse für alle zu finden.“ Merkels Konsensfähigkeit sei ein riesiger Vorzug gewesen, sagt der Diplomat und erinnert dabei auch an das heikle Thema Migration, „das Europa nach den jüngsten Ereignissen in Afghanistan“ erneut massiv beschäftigen könnte. Nach seinen Worten hat das harte Nein der Ostmitteleuropäer zur Aufnahme von Flüchtlingen 2015 zwar nicht glücklich ausgesehen, „aber es hat letztlich auch zu einem gewissen Umdenken in Deutschland geführt“.