Eine neue Generation junger Europäer hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und hilft einander über Sprachbarrieren und Grenzen hinweg. Michaela Kolářová, Siegerin des LE-Essaywettbewerbs, berichtet von persönlichen Erfahrungen zur europäischen Kooperation.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind zwar eng verbunden, trotzdem gibt es viele Unterschiede zwischen ihnen: wirtschaftliche, kulturelle oder historische. Es ist unmöglich, dass die vielen Vertreter der Länder immer derselben Meinung sind. Deshalb bietet die EU Raum für Diskussion und Meinungsaustausch. Es ist aber wichtig, dass man sich auf die Wahrnehmung grundsätzlicher Probleme und Angelegenheiten einigt.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist ein gutes Instrument dafür, die Mittgliedstaaten der EU einander näherzubringen. Vor allem wir als Tschechen, die mit unserem Nachbarn Deutschland eine komplizierte und nicht immer positive Geschichte haben, sollten grenzüberschreitende Kooperation als eine Chance für die Verbesserung unserer Beziehungen verstehen. In der langen gemeinsamen Geschichte haben sowohl Tschechen als auch Deutsche Fehler gemacht, die zur Entfremdung beider Nationen voneinander geführt haben. Es sind aber historische Fehler und wir sollten uns mehr auf die Zukunft orientieren. Diese historischen Ereignisse sollten auf jeden Fall nicht vergessen werden, aber in den beiden Staaten ist eine neue Generation aufgewachsen, die nicht von diesen Vorfällen betroffen ist. Das ist eine Gelegenheit, die Verhältnisse zwischen unseren Ländern zu verbessern und zu festigen.
Michaela Kolářová ist 24 Jahre alt und studiert Deutsch-Tschechische Areale Studien an der Südböhmischen Universität Budweis. Foto: privat
Deutsch als „Brücke nach Europa“
Mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit habe ich selbst Erfahrungen gemacht. Im ersten Jahr meines Bachelorstudiums an der Südböhmischen Universität in Budweis (České Budějovice) habe ich ein Praktikum im Landratsamt im bayerischen Freyung absolviert. Mein Praktikum dauerte zwei Monate und wurde im Rahmen des Programms Erasmus+ realisiert. Es war meine erste Erfahrung mit einem längeren Aufenthalt in einem deutschsprachigen Land. Am Anfang war es für mich anstrengend, aber dann habe ich viele neue Erfahrungen gesammelt und meine Sprachkenntnisse verbessert. Ich habe Deutsch schon seit der Grundschule gelernt, aber es ist ein großer Unterschied zwischen dem Unterricht in Tschechien und dem Leben in einer deutschsprachigen Umgebung.
Gerade die Sprache sehe ich als sehr wichtigen Aspekt der grenzüberschreitenden Kooperation. Obwohl Tschechen und Deutsche nebeneinander leben, liegen die Ursprünge ihrer Sprachen in zwei verschiedenen Sprachfamilien, der slawischen und der germanischen. Die Sprachbarrieren zwischen uns sind sehr deutlich, aber das Verständnis durch Sprache kann zu besseren Beziehungen führen. Für die Tschechen, und vor allem für die in den Grenzgebieten Wohnenden, kann man sich die deutsche Sprache als eine Art „Brücke nach Europa“ vorstellen. Die deutsche Sprache ist eine Weltsprache und wenn man Deutsch spricht, hat man einen Überblick über das Geschehen in Europa und der Welt: Die deutsche Sprache und Deutschland sehe ich als einen Vermittler Europas für die Tschechen.
Vor allem die jüngere Generation, die schon in der Grundschule Fremdsprachen lernt, kann die Vorteile des Sprachunterrichts nutzen und Schul- und Ausbildungsprojekte können Kindern und Jugendlichen grenzüberschreitende Beziehungen in der Praxis zeigen. Tschechische Kinder können sehen, dass die deutschen Kinder nicht nur fremde Menschen sind, die eine fremde Sprache sprechen, sondern dass es ähnliche Menschen sind, mit ganz ähnlichen Problemen. Die deutschen Kinder können neue Informationen erfahren, die sie über die Tschechische Republik nicht kannten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die deutschen Kinder manchmal nicht viele konkrete Vorstellungen über Tschechien haben, weil Deutschland mehr in Richtung Westen orientiert ist.
Isolation praktisch unmöglich
Im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist auch die Förderung der Europäischen Union sehr bedeutend. Die Verbindung Tschechiens, Deutschlands und Österreichs durch die Euroregion Donau-Moldau bringt den Mitgliedern eine ganze Reihe von Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Dazu habe ich auch ein Beispiel aus meinem eigenen Leben. Die bayerische Stadt Freyung und die südböhmische Stadt Wittingau (Třeboň) haben vor ein paar Jahren eine Partnerschaft geschlossen, um die Kontakte zwischen den beiden Regionen zu verstärken und gemeinsame Projekte umzusetzen.
Dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit buchstäblich Leben retten kann, habe ich auch selbst erfahren. Die Waldbrandübung Austrian-Bavarian-Czech-Forest-Fire-Drill im Dreiländereck Oberösterreich, Bayern und Südböhmen, an der ich als Praktikantin des Landratsamts teilgenommen habe, ist ein perfektes Beispiel dafür. Diese Kooperation hatte ein besonderes Ziel: Sie sollte die drei Länder im Notfall verbinden und helfen, Katastrophen an den Grenzen zu verhindern, indem sich die Nachbarländer gegenseitig unterstützen.
All diese Beispiele der Zusammenarbeit der Nachbarländer zeigen, dass die grenzüberschreitende Kooperation eine positive Wirkung auf die Beziehungen zwischen den Staaten hat. Vor allem in diesen Zeiten, in denen die Welt eine Krise erlebt, brauchen wir alle Freunde im Rahmen Europas. In Zeiten der Globalisierung ist es praktisch unmöglich, isoliert zu bleiben, wie es Tschechien in der kommunistischen Ära war. Wir müssen uns auf die Zukunft orientieren und die Tätigkeit der Europäischen Union sehe ich als eine gute Möglichkeit, Zukunftsideen gemeinsam zu realisieren. Dazu ist aber notwendig, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Einstellungen haben. Darauf müssen wir alle als Europäer aktiv hinarbeiten.