2020 war ein turbulentes Jahr! Wir werfen einen Blick zurück und präsentieren Ihnen noch einmal unsere in diesem Jahr meistgelesenen Beiträge – größtenteils abseits von Meldungen über Corona-Maßnahmen, Lockdowns oder die neusten Infektionszahlen. Auf Platz 5: „Lückenschluss: Moldau-Holzhau“.Unser Autor Jürgen Barteld, Eisenbahner mit Herz und Seele, stellt Ihnen Grenzbahnhöfe und ausgewählte Bahnstrecken im deutsch-tschechischen Grenzgebiet vor, die die beiden Länder einander (wieder) näherbringen sollen. Es ging los mit dem Bahnhof Moldau: Bis zum nächsten deutschen Bahnhof klafft eine Lücke von nur neun Kilometern.

Angekommen. Ganz oben. Auf 782 Meter Seehöhe. Mehr geht hier nicht, weder in der Höhe noch in der Weite – am Bahnhof Moldau (Moldava v Krušných horách). Das gar traurig ausschauende, leergeräumte Empfangsgebäude lässt mit ein wenig Phantasie jedoch noch seine ursprüngliche Stattlichkeit als Grenzstation zwischen Böhmen und Sachsen erkennen. Denn bis 1945 fuhren hier die Züge nach beiden Seiten. Seither klafft über knapp neun Kilometer eine Schienenlücke. Auf dem Bahndamm kann man hinüber nach Holzhau wandern und dort den Triebwagen der Freiberger Eisenbahn besteigen, mit Anschluss an die sächsische Ost-West-Magistrale.

Vom Egertal hinauf zum Gebirgskamm haben wir – Seltenheit – ein Denkmal befahren: Die ingenieurtechnisch kunstvoll angelegte Bahnstrecke von Brüx (Most) via Eichwald (Dubí) hoch nach Moldau hat Tschechien zum nationalen Kulturgut erklärt. Dabei wird Wert auf das „lebendige“ Denkmal gelegt, dass also Züge fahren. Dies geschieht zu den Ferienzeiten täglich und sonst an den Wochenenden bzw. feiertags. Der Streckenerhalt kostet freilich Geld, im Jahr 2018 gleich weitaus mehr als geplant. Ein mächtiger Dammrutsch am Steilhang musste grundhaft repariert werden. Anderenorts hätte es wohl unweigerlich das Ende der Bahn bedeutet. Wie wenige Kilometer weiter damals schon, 1945, aus ganz anderen Gründen.Triebfahrzeugführer Andreas Merunka stellt im Bahnhof Sebnitz die Weiche zur Weiterfahrt hinüber nach Niedereinsiedel und weiter nach Rumburg - Foto: Jürgen Barteld

Triebfahrzeugführer Andreas Merunka stellt im Bahnhof Sebnitz die Weiche zur Weiterfahrt hinüber nach Niedereinsiedel und weiter nach Rumburg – Foto: Jürgen Barteld

Seit Monaten lässt eine breit angelegte, grenzübergreifende Aktion für den Gleis-Lückenschluss Moldau-Holzhau aufhorchen. Die Forderung gab es zwar schon mehrfach, zumal nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik. Aber nun hat sich aus den Interessengruppen ein – zumindest nominell – starkes Konsortium formiert, darunter die Anliegerkommunen sowie Parlamentsabgeordnete, die sich der Unterstützung durch den Bezirk Aussig (Ústí nad Labem) versichern konnten. Kräftigen Rückenwind gab die Aufnahme der Erzgebirgs-Bergbautradition in das UNESCO-Weltkulturerbe. Und jüngst ist an den ersten beiden Septemberwochenenden im Rahmen der europäischen Kulturerbe-Tage der bereits zweite symbolische Lückenschluss mit buntem Rahmenprogramm vollzogen worden, mit vorerst Shuttlebussen zwischen den heutigen Bahn-Endpunkten. Aber hat eine Wiederbelebung des sieben Jahrzehnte im Dornröschenschlaf ruhenden 9-km-Bahnstückes Sinn? Wie stünden die Chancen dafür im bereits 16. EU-Jahr Tschechiens?

Vielleicht hilft da etwas ein Blick auf die in der Nachwendezeit sowie später wieder aktivierten Schienenwege zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik. Erinnern wir uns dabei getrost auch an den Zustand vor 1990: Klägliche zwei Möglichkeiten (abgesehen vom privilegierten Korridorverkehr Varnsdorf-Zittau) gab es, mit der Bahn ins „Bruderland“ zu reisen: via Bad Schandau-Děčín oder Bad Brambach-Vojtanov. Beides zwar mit klangvollen Zugnamen verbunden – „Vindobona“ und „Karlex“ – jedoch das magerste Angebot aller Zeiten, über 50 Jahre lang!

In lockerer Folge möchten wir uns die Situation an den Bahn-Passagen zwischen dem Lausitzer Dreiländereck, Erzgebirge, Ascher Zipfel und Bayerischen Wald beschauen. Blicken wir zuerst in die Böhmisch-Sächsische Schweiz, zur „Nationalparkbahn“. Diese Zug-Ringverbindung mit den Linien U 8 bzw. U 28 von Tetschen (Děčín) via Bad Schandau-Sebnitz-Rumburk nach Tetschen ist eine Gemeinschaftsarbeit von Tschechischer und Deutscher Bahn. Und zwar sehr erfolgreich, wie im Dezember zum fünfjährigen Jubiläum der Linie festgestellt werden durfte. Da freuten sich bei dem Treffen aus diesem Anlass in Schönlinde (Krasna Lipa) freilich die „Macher“: aktive und inzwischen pensionierte Eisenbahner aus Dresden, Tetschen, Reichenberg (Liberec) usw. Die 25 Teilnehmer erfuhren schon bei der Anreise in „ihrer“ U 28 vom allseits bekannten und beliebten Zugbegleiter Petr Machuta: Die Fahrgastzahlen steigen. Diese bequeme Reisemöglichkeit kommt an. Für den Naturpark ein Gewinn. Doch was hier nun Alltag geworden ist, hing lange Zeit förmlich in der Luft: Es fehlte das Gleisstück zwischen Sebnitz und Niedereinsiedel (Dolní Poustevna). Endlich, im Sommer 2012, waren die politischen Weichen gestellt und auf deutscher Seite schickte man sich an zu bauen. Die festliche Eröffnung erfolgte zwei Jahre später.

Herbert Rothermel und Roman Kvíčala bekommen heute noch Falten auf der Stirn, wenn sie an das zähe Ringen der Autoritäten beidseits der Landesgrenze denken. Die beiden Bahner aus Dresden und Reichenberg hatten mit ihren Teams aber schon seit 2004 beharrlich vorgearbeitet und brachten u.a. den „Elbe/Labe-Sprinter“, also den flotten Nahverkehrsanschluss von Schöna bzw. Tetschen, auf die Schiene. Gleichermaßen wurde der Wochenendzug nach Leitmeritz (Litoměřice) gestartet. Und von Dresden aus fuhren die roten Flitzer von DB Regio über Zittau-Liberec gar bis Tannwald (Tanvald) durch – was aber schon wieder eine andere Geschichte ist…

Weitere Informationen auch unter: http://www.moldavska-zeleznice.cz


Zu diesem Artikel, der auch in der Februar-Ausgabe des LandesEcho erschien, erreichte uns folgender Leserbrief:

Moldau (Moldava v Krušných horách). Endbahnhof. Was fühlt man hier oben, 782 m über dem Meer, nicht weit vom Steilabfall der Pultscholle des Erzgebirges? – Faszination! Ich jedenfalls, seit ich das erste Mal hier gewesen bin (und seit sechs Jahren immer wieder komme!). Selbst in der einige hundert Kilometer entfernten nordrhein-westfälischen Heimat schwindet diese Faszination nicht.

Stimmen sind zu hören, die sich einen Lückenschluss der Bahnstrecke Moldau-Holzhau wünschen. Mit Recht. Hüben wie drüben wurde bereits gute Vorarbeit geleistet: Taktverkehr mit modernen Fahrzeugen, in Tschechien der Denkmalstatus und weitere Erhalt einer Strecke, die anderswo vermutlich längst gleisfrei wäre, weil unrentabel. Die rein betriebswirtschaftliche Definition von rentabel oder unrentabel ist nur leider nicht umfassend genug. Und so wähnt man im bislang Geschehenen durchaus das erforderliche Bewusstsein der Handelnden fürs Ganze. Und die Politik hat im Sommer 2019 ihre Absicht bekundet, das Projekt weiter zu verfolgen.

So wie die Moldauer Bahn in Tschechien ein technisches Denkmal, atmet die gesamte Region geradezu an jeder Ecke Geschichte, beiderseits der Staatsgrenze. Vor allem in Nordböhmen laufen Prozesse ab, die aktuell wieder in aller Munde sind: Technologie, Umwelt, Migration. Die Industriegesellschaft hat auch diese Eisenbahn hervorgebracht, als Verbindung Brüx (Most)-Nossen in Mittelsachsen. Die Gier nach böhmischer Braunkohle bescherte der Strecke umfangreichen Güterverkehr. Der Wald auf dem Erzgebirgskamm hingegen litt zeitweise an akutem Haarausfall durch die Ausdünstungen der Energiegewinnung. Beides hat sich gelegt.

Heute haben wir hier offene Grenzen – das größte Geschenk, was uns gemacht werden konnte. Lange Zeit nur Rückzug, politisch initiiert, menschengemacht. Nun kehren Leben und Farbe in die Gegend zurück. So ist der Personenverkehr auf der Moldauer Bahn im Böhmischen heute geprägt vom Bedürfnis nach Sommerfrische und Wintersport und das Zugangebot darauf zugeschnitten. Im etwas dichter besiedelten sächsischen Tal der Freiberger Mulde herrscht vergleichsweise reger Alltagsverkehr.

Wenn also auch viel gegangen und vergangen ist, wir haben die Eisenbahn als verbindendes Medium, das die Menschen zueinander bringt. Und wenn die lokale Bevölkerung das Bewusstsein für sich annimmt, über Grenzen hinweg gemeinsam in einer Region zu sein, dann sollte es nicht an einer kleinen Brücke am Teichhaus und acht Kilometern neuem Oberbau scheitern.

Und schaut man sich das Tourismusmarketing der heutigen Region Ústi an, so kommt es mit zwei deutlichen Aussagen daher: Wir stehen zu dem, was wir haben, was hier ist, was hier war. Und man legt Wert auf den eher sanften Tourismus. Andere Beispiele aus dem Bereich Eisenbahn weisen in Richtung Zukunft: Günstige und länderübergreifende Tagestickets für den Nahverkehr oder die „Nationalparkbahn“, heraus aus dem überlaufenen Elbtal in den im Dornröschenschlaf daliegenden Schluckenauer Zipfel. Nicht zu vergessen der Saisonverkehr, teils mit historischen Fahrzeugen, auf böhmischen Nebenbahnen. Potenzial also, um den letzten Lückenschluss im Netz der regionalen Bahnen zu schaffen.                                                          

Michael Wernke, Hörstel-Riesenbeck

 

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.