Unsere Landesbloggerin Johanna ist seit einigen Tagen in Prag. Die tschechische Hauptstadt ist ihr nicht fremd, sie war hier bereits 2020 kurz nach Ende des ersten Lockdowns. Bei einem Spaziergang durch die altbekannten Straßen merkte sie jedoch, dass die Zeiten sich geändert haben. Prag ist nicht mehr die ruhige, beinahe menschenleere Stadt, die sie vor drei Jahren ins Herz geschlossen hat.

An meinem ersten Tag in Prag beschließe ich, einen Spaziergang zu machen. Die lange Zugfahrt vom Vortag und die erste Nacht im ungemütlichen Bett stecken mir noch in den Knochen. Ich brauche Bewegung und frische Luft. Auch wenn ich die touristischen „Must-Sees“ bereits bei meinem ersten Besuch vor drei Jahren abgearbeitet habe, möchte ich vom „Tanzenden Haus“ entlang der Moldau zum Altstädter Ring laufen. Das Wetter ist etwas trüb und ich ziehe meine dünne Jacke zu. Es ist Ende März und ich habe natürlich fast ausschließlich Kleidung für den Frühling mitgenommen. Ich schaue auf mein Handy und das Thermometer zeigt gerade einmal fünf Grad an. Na super. Aber ich lasse mir die Stimmung nicht vermiesen. Es ist schön, wieder hier zu sein, in der Stadt, die vor drei Jahren einen so bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Auf dem Weg entlang der Moldau bin ich erstaunt. Viele Menschen drücken sich an mir vorbei, ständig muss ich E-Rollern ausweichen, auf denen angeheiterte junge Menschen stehen. Wo kommen die alle her? Die waren doch vor drei Jahren noch nicht hier?

Der Altstädter Ring heute und vor drei Jahren. Foto: Johanna Flint

Touristen unter sich

Als ich in die Karlova einbiege, um zur Rathaus-Uhr zu spazieren, lasse ich mich von den Menschenmassen einfach treiben. Vorbei an den zahllosen Souvenirläden, CBD-Shops und Baumstriezel-Bäckereien, bei denen ich fast stehen bleibe und mir eines der leckeren Gebäcke kaufe. „Bestimmt viel zu teuer hier in der Altstadt“, sage ich mir und gehe weiter. Ich folge den Touristen durch die engen Gassen und vertraue ihnen, dass sie mich an mein angepeiltes Ziel bringen. Und das tun sie, denn wir haben natürlich alle dasselbe Ziel. Etwa 30 Sekunden stehe ich vor der Rathaus-Uhr und schieße ein paar Fotos. Dann will ich weiter, doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ich ducke mich unter den Selfie-Sticks hindurch, schüttle lächelnd den Kopf, als einer der Straßenhändler mir einen Magneten hinhält und laufe beinahe gegen ein Kind, das durch den Dschungel an Beinen flitzt. Ratlos stehe ich auf dem Platz. Wo lang geht es nochmal zurück zur Karlsbrücke? Die vielen Buden des Ostermarktes versperren mir die Sicht, es ist laut und riecht abwechselnd nach Grill und Süßigkeiten.

Mir fällt auf, wie gut ich es hatte, Prag das erste Mal zu Zeiten von Corona gesehen zu haben. Der Altstädter Ring war damals fast menschenleer. Laut dem Tschechischen Amt für Statistik hatte Prag 2020 „nur“ knapp zwei Millionen Besucher. Zum Vergleich: Im Jahr davor waren es mehr als acht Millionen. An diese Zahl kommt die Hauptstadt zwar bis heute nicht ganz ran, für meinen Geschmack sind aber trotzdem mehr als genug Menschen auf der Straße. Die Stadtverwaltung freut sich sicherlich, dass sie wieder (zahlende) Touristen aus Tschechien und der ganzen Welt in Prag begrüßen darf. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen.

Ich drücke mich an den Besuchern des Marktes vorbei und finde auf einer Straßenabsperrung einen Platz, um auf meinem Handy nach dem Weg zur Lennon Wall zu suchen. Ich hatte in diversen wütenden Google-Maps-Rezensionen gelesen, dass diese mittlerweile total verschandelt sei und wollte mir ein eigenes Bild machen. Also wieder zurück durch die engen Gassen und über die Karlsbrücke. Als ich mitten auf der Brücke stehe und die Aussicht genießen möchte, fängt es auch noch an zu regnen. Erst ein leichtes Nieseln, doch je näher ich der Kleinseite komme, desto größer werden die Tropfen. Mir reicht es: Das war genug Sightseeing für einen Tag. Ich beschließe, zurück nach Hause zu fahren.

Der ewige Kampf um die Lennon Wall

Als ich ein paar Tage später im strahlenden Sonnenschein und mit guter Laune meinen Spaziergang fortführe und die Lennon Wall besuche, bin ich froh, dass ich mich nicht im Regen dorthin gequält habe. Ich verlasse die Karlsbrücke und biege nach links in Richtung Lennon Wall ab. Erstaunt stelle ich fest, dass das außer mir fast niemand tut. Fast alle gehen weiter geradeaus Richtung Prager Burg. Nur zwei, drei vereinzelte Touristen treffe ich auf dem Weg und ahne Böses. Anscheinend hatte es sich herumgesprochen, dass die Lennon Wall nicht mehr das ist, was sie einmal war.

Die Wand blickt schon auf eine jahrzehntelange Geschichte der ständigen Umgestaltung zurück. Es wirkt wie ein Kampf zwischen der Stadtführung, den Künstlern und den Bürgern, die ihrer Kreativität auf der Wand allesamt freien Lauf lassen. Die Stadtregierung heuert Künstler an, die die Wand bemalen sollen, die Künstler geben sich Mühe bei der Gestaltung und die Besucher taggen, sprayen und kleben, was das Zeug hält. Ein ewiger Kreislauf. Aber auch die Schmierereien haben ihren Charme und oft politische Aussagen: Ob junge Tschechen, die in den 80ern ihrem Unmut über die Regierung Luft machen, 2019 den Klimanotstand ausrufen oder nach Beginn des Kriegs in der Ukraine Gedichte an die Wand kleben – sie überdecken zwar die ursprünglichen Kunstwerke, erstellen aber gleichzeitig neue.

Heute (links) ist vom Kopf des Beatles-Sängers John Lennon kaum noch etwas zu sehen. Foto: Johanna Flint

Das, was sich mir darbietet, kann man aber eigentlich nicht mehr Kunst nennen: Statt des Gesichts des Beatles-Sängers sieht man fast nur noch Sticker und zusammenhangloses Graffiti. Selbst Sticker vom 1. FC Magdeburg, dem Fußballverein meiner Studienstadt, kann ich finden. Einige tapfere Touristen stehen trotzdem vor der Wand und machen Selfies. So richtig glücklich sehen sie aber nicht aus. Und auch ich bin enttäuscht. Ich hatte wenigstens erwartet, einige politische Aussagen zu lesen oder cooles Graffiti zu sehen. Naja, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Lennon Wall wirft, wird sie so oder so bald wieder überstrichen.


Moin und Ahoj, liebe Leserinnen und Leser! Ich bin Johanna, die neue Praktikantin beim LandesEcho und freue mich, die nächsten drei Monate die tschechische Kultur und das Leben in der Hauptstadt kennenzulernen.

Aufgewachsen bin ich in einem Dorf im Norden von Deutschland. Ich habe allerdings schnell gemerkt, dass es mich raus in die Welt zieht. Nach dem Abitur habe ich meine Koffer gepackt und mich auf Europa-Reise begeben. Der erste Stopp war Prag und es hat nicht lange gebraucht, bis ich mich in die Stadt verliebt habe. Die lebensfrohen und offenen Menschen genauso wie die beeindruckende Architektur und das große Angebot an Kultur haben es mir angetan. Ich wusste: Hier muss ich noch mal wieder hin!

Jetzt, wo ich beinahe am Ende meines Journalismus-Studiums an der Hochschule Magdeburg-Stendal angekommen bin, habe ich die Möglichkeit ergriffen und mich für ein Praktikum in der Stadt an der Moldau entschieden. Ich bin gespannt darauf, Prag nicht nur aus den Augen einer Touristin zu sehen, sondern herauszufinden, wie die Menschen hier leben und welche interessanten Geschichten sich verstecken.

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