Um einen drohenden Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, schränkt Tschechien das öffentliche Leben massiv ein. Ab Donnerstag müssen Geschäfte und Dienstleister schließen, die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt.
Weil sich das Coronavirus trotz der bisher geltenden Maßnahmen weiter ungebremst ausbreitet und das Gesundheitssystem kurz vor einem Kollaps steht, beschloss die tschechische Regierung am Mittwoch neue Maßnahmen. Das öffentliche Leben wird auf ein Minimum heruntergefahren: Ab morgen früh um 6.00 Uhr müssen alle Geschäfte und Dienstleister schließen. Davon ausgenommen sind Geschäfte zur Deckung des Grundbedarfs, also Supermärkte, Drogerien und Apotheken. Außerdem schränkt die tschechische Regierung die Bewegungsfreiheit ein. Erlaubt sind – ähnlich wie beim Lockdown im Frühjahr – nur noch Wege zur Arbeit, zum Arzt und Familienbesuche sowie Spaziergänge mit max. zwei Personen (gilt nicht für Haushaltsmitglieder). Die Maßnahmen gelten bis zum Ende des nationalen Notstands am 3. November.
Drohender Kollaps des Gesundheitssystems
„Ich entschuldige mich, dass ich diese Möglichkeit in der Vergangenheit ausgeschlossen hatte. In erster Linie müssen wir das Leben unserer Bürger retten“, begann Premierminister Andrej Babiš (ANO) die Pressekonferenz nach der außerplanmäßigen Sitzung der Regierung. „Der Grund, warum wir das tun, ist die Kapazität der Krankenhausbetten. Obwohl wir eines der robustesten Gesundheitssysteme in Europa haben, würde es, wenn wir die Maßnahmen nicht einführen würden, zwischen dem 7. und 11. November kollabieren“, begründete der tschechische Regierungschef.
Gestern wurden in Tschechien 11.984 Menschen positiv auf COVID-19 getestet, das ist der höchste Tageszuwachs seit Beginn der Pandemie und etwa 900 über dem bisherigen Rekordwert vom vergangenen Freitag. Aktuell befinden sich 4.417 Menschen mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus, davon nimmt die Lungenkrankheit bei 634 Menschen einen schweren Verlauf. Laut Gesundheitsminister Roman Prymula (parteilos, für ANO) seien damit bereits 80 Prozent der ursprünglichen Kapazitäten erreicht. Diese werden aktuell – vor allem mit der Errichtung von Feldkrankenhäusern, wie z.B. auf dem Messegelände Prag-Letňany – ausgebaut, sodass in naher Zukunft bis zu 15.000 Krankenhausbetten zur Verfügung stehen könnten. Wächst die Zahl der Infizierten aber mit der aktuellen Reproduktionszahl von 1,36 in den nächsten Wochen weiter, wäre auch diese maximale Kapazität bis 11. November ausgeschöpft. Deshalb seien die neuen Maßnahmen nötig, wie Prymula weiter ausführte.
Als „Lockdown“ möchte die tschechische Regierung die verschärften Maßnahmen allerdings nicht verstanden wissen. Auf eine etwaige Nachfrage während der Pressekonferenz antwortete Prymula: „Über einen Lockdown würde ich nicht sprechen. Dieser würde ein Herunterfahren der gesamten Gesellschaft bedeuten, in dem Sinne, dass grundsätzlich Industrie und Handel zum Erliegen kommen, mit Ausnahme der kritischen Infrastruktur. Sonst würde es nichts geben und die Menschen dürften sich maximal 300 Meter von ihrer Wohnung entfernen. So etwas gibt es hier nicht.“
Maskenpflicht auch draußen
Seit Mittwoch gilt auch draußen eine Maskenpflicht, insofern zu haushaltsfremden Personen kein Abstand von mind. zwei Metern eingehalten werden kann. Eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gilt auch im Auto, außer wenn man alleine oder mit Familienangehörigen unterwegs ist. Restaurants und Bars haben seit letztem Mittwoch geschlossen, bis 20 Uhr ist aber der Verkauf außer Haus – etwa durch ein Fenster – erlaubt. Auch Schulen, Museen und Fitnessstudios sind geschlossen.
Inzwischen hat das Coronavirus auch die tschechische Regierung erreicht. Am Mitwochmorgen gab Innenminister und Leiter des zentralen Krisenstabs, Jan Hamáček (ČSSD), auf Twitter bekannt, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert habe.