Er ist fast wieder da, der „Kessel Buntes“ des DDR-Fernsehens. Nicht ganz, immerhin aber die etwas preiswertere tschechoslowakische Variante, das „Televarieté“. Karel Gott und Helena Vondráčková tummeln sich im tschechischen Fernsehen. Die Rede ist vom über Nacht aus dem Boden gestampften Seniorenkanal ČT3.
Da ich zur Corona-Risikogruppe der Menschen 65+ gehöre, habe ich mir das Programm natürlich mal angesehen. Vor allem, nachdem ich einen bösen Kommentar in der Tageszeitung Lidové noviny darüber gelesen hatte.
Nein, ich stimme der Kommentatorin dort nicht zu. Das Programm mag Jüngere abschrecken, die aber eh kein Fernsehen mehr schauen. Den Älteren dürfte es durchaus gefallen. Die sind arm dran in Corona-Zeiten. Mehr noch isoliert als die anderen, ohne Kontakt zu Kindern und Enkelkindern. Manche durften schon wochenlang keinen Fuß mehr aus dem Haus setzen.
Dass die Senioren weniger den ganzen Tag den Nachrichtensender ČT24 sehen wollen, weil sie dort von den Hiobsnachrichten nur depressiv werden, ist verständlich. Sie brauchen zwar wichtige Informationen, aber dosiert. Sie sollen sich in erster Linie ablenken können von dem Grauen um sie herum.
Gott, Vondráčková, Matuška
Weshalb nicht mit Schwarz-Weiß-Sendungen aus dem „Studio A“, in denen spätere Stars wie Karel Gott, Helena Vondráčková, Marta Kubišová oder Waldemar Matuška ihr Herz in die Hand nahmen und einfach mal drauflos sangen? Weshalb sollen sie sich nicht an Sendungen aus dem humoristischen Semafor-Theater erfreuen? Und weshalb nicht auch am „Televarieté“?
Ich habe übrigens nie so richtig verstanden, dass tschechische Kollegen sofort die Nase rümpften, wenn vom „Kessel Buntes“ die Rede war. Ja, das war ein reines Estradenprogramm der damaligen Zeit, immerhin aber aufgepeppt mit teuren „West-Stars“, die man sich in der Tschechoslowakei nicht leisten konnte. Hatte das Rümpfen der Nase am Ende nur mal wieder etwas mit tschechischem Neid zu tun?
Immerhin – und damit zurück zu ČT3 – werden dort nicht üble Serien aus dem Archiv geholt, die zu senden privaten Kanälen hierzulande keinerlei Schamröte ins Gesicht trieb. Ich denke an die „Kriminalfälle des Major Zeman“, der ein Stasi-Major war. Oder an „Die Frau hinter dem Ladentisch“ mit der schlimmen Jiříná Švorcová in der Hauptrolle, die noch kurz vor dem November 1989 für die Zensur eintrat sowie für die Kaltstellung regimekritischer Künstler sorgte. Und die sich auch nach dem November kein Stück geändert hatte.
Krankenhaus am Rande der Stadt
Bei ČT3 läuft dafür die Mutter aller Krankenhausserien – „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“. Hier könnte man kritisieren, dass es da auch mal einen Toten gab. Beerdigungen sollten die alten Leutchen vielleicht jetzt nicht gerade sehen. Aber das ändert nichts daran, dass es sich beim „Krankenhaus“ um wirkliche Fernsehkunst handelte, wenigstens zur Zeit seiner Entstehung. Also, lassen wir das Naserümpfen. Eine Einschaltquote um die 20 Prozent bei den Älteren für ČT3 ist der Mühe wert.
Zumal das öffentlich-rechtliche Fernsehen (ebenso wie der öffentlich-rechtliche Hörfunk Český rozhlas) Nasenrümpfen in Corona-Zeiten generell nicht verdient haben. Ich fühle mich bei ČT24 sehr gut informiert. Alles, was an wichtigen Dingen passiert, geht live über den Sender, wird professionell aufbereitet, erklärt, eingeordnet und mit den Entwicklungen im Ausland verglichen. Ein großes Netz von Inlands-Reportern sorgt dafür, dass die großen Ereignisse bis ins kleinste Dorf runtergebrochen werden. Das ist einfach mal gute, lobenswerte Arbeit.
Überwältigende Quoten
Es gab kurz vor dem Beginn der Corona-Krise eine Umfrage in Tschechien. Dort erklärten 56 Prozent, dass die öffentlich-rechtlichen Sender aus ihrer Sicht besonders oder sehr vertrauenswürdig sind. Würde man heute, mitten in der Krise, diese Umfrage noch einmal machen, würde sie mit Sicherheit noch besser ausfallen. Wann hat es das schon mal gegeben, dass ČT24 – gewöhnlich ein Spartensender für politisch besonders Interessierte – die Spitzeneinschaltquoten aller Sender erreichte? Da ziehe ich ganz tief meinen Hut als Zeitungskollege.
Und ich frage mich, wo sich eigentlich der Präsident dieses Landes informiert? Wie kommt er dazu, selbst in solch einer Situation – natürlich über einen Privatsender – bei seiner außerordentlichen Rede an seine Landeskinder zu appellieren: „Achten Sie nicht zu sehr auf das Bellen und das Geschrei unserer journalistischen Kommentatoren, die wie gewöhnlich über alles schreiben und nichts verstehen.“ Was soll das? Weshalb pisst dieser Präsident mit unschöner Regelmäßigkeit den Journalisten ans Bein? Und das auch noch unverdient? Merkt er nicht, dass er damit im Kern an der Pressefreiheit rührt? Oder macht er das absichtlich? Aus Spaß an der Freude am Naserümpfen? Man darf ja mal fragen.