In keinem Land Europas wird so kurios gewählt wie in Tschechien. Die Wähler werden hier traditionell immer freitags und samstags zu den Urnen gerufen. Das hat seine Gründe, die tief in den Gewohnheiten des Volkes sitzen. Doch womöglich trennt sich das Land bald von dieser lieb gewordenen Eigenheit.
Wenn in unserem Land Wahlen anstehen, dann folgen meine Nachbarn, die Horáks, einem Ritual: Sie setzen sich am Freitag Nachmittag ins Auto und fahren ein paar Hundert Meter zum Wahllokal in einer nahe gelegenen Schule, das zwischen 14 und 22 Uhr geöffnet ist. Dort geben sie mit ihren Kindern an der Hand ihre Stimme ab. Dann setzen sie sich erneut ins Auto, um direkt weiter auf ihr Wochenendgrundstück auf der Böhmisch-Mährischen Höhe zu fahren. Etwa die Hälfte der Wähler handhabt das so oder ähnlich. Die andere Hälfte geht erst am Samstag wählen, zwischen 7 und 14 Uhr.
Wahlen in Tschechien finden seit jeher an zwei Tagen statt. Das sollte eine möglichst hohe Wahlbeteiligung sichern – und vor allem die Beteiligung der Wochenendausflügler wie der Horáks. Bedenkt man, dass die Tschechen nach den Schweden die Europäer mit den meisten Wochenendgrundstücken sind, macht der zusätzliche Freitag als Wahltag durchaus Sinn. Doch die Tage dieser Regelung scheinen gezählt. In einer repräsentativen Umfrage für den tschechischen Hörfunk plädierten gerade 58 Prozent der Tschechen dafür, Wahlen nur noch an einem Tag abzuhalten. Das entspricht einem Vorhaben der Regierung, das Wahlgesetz entsprechend zu ändern. Mit nur noch eintägigen Wahlen soll sich das Land an die Gegebenheiten in den meisten anderen europäischen Staaten anpassen. Tschechien würde damit aus meiner Sicht wieder ein bisschen erwachsener werden.
Was kam raus bei der repräsentativen Umfrage unter mehr als 1 000 Bürgern? 50 Prozent der Befragten wünschen sich den Samstag als einzigen Wahltag. 43 Prozent halten einen normalen Werktag für ideal, sieben Prozent bevorzugen den Sonntag als Wahltag, wie das in Deutschland oder Österreich üblich ist. Eine eintägige Wahl hätte immerhin den Vorteil, dass nicht wie bisher am Ende der Wahlen am Freitag die Wahlurnen bis zum nächsten Morgen aufwändig gesichert werden müssen. Mit Plomben und regelmäßiger Polizeistreifen-Bewachung.
Neu mit Briefwahl?
Damit die Wahlbeteiligung durch die prinzipielle Umstellung künftig nicht sinkt, will die Regierung zudem die Möglichkeiten erweitern, schon Tage vorab die Stimmabgabe in den örtlichen Verwaltungszentren zu ermöglichen. Außerdem soll die Briefwahl eingeführt werden. Umstritten ist bislang, ob es auch eine Briefwahl für im Ausland lebende Tschechen geben soll. Die müssen bislang reichlich umständlich an einem der beiden Wahltage in die tschechischen Generalkonsulate fahren, um ihre Stimme abgeben zu können.
Ob dieses Problem gelöst wird, ist jedoch offen. Das könnte mit den Wahlergebnissen der im Ausland lebenden Tschechen zu tun haben. Die wählen in der Regel gänzlich anders als die Wähler in der tschechischen Heimat, in der Regel sehr viel liberaler. Auch bei der Präsidentschaftswahl. Bei der Stichwahl 2013 zwischen Miloš Zeman und Karel Schwarzenberg stimmten etwa die in Deutschland lebenden Tschechen zu rund 90 Prozent für Schwarzenberg, der aber im Gesamtergebnis Zeman knapp unterlag. Ähnlich war der Wahlausgang fünf Jahre später zwischen Zeman und seinem damaligen Herausforderer Jiří Drahoš. Letzterer schlug Zeman an den Wahlurnen in Deutschland um Längen, aber am Ende hatte Zeman dennoch die Nase vorn.
Direktwahl bleibt unangetastet
Überaus begrüßenswert wäre es, wenn die Regierung dem Abgeordnetenhaus und dem Senat auch gleich einen neuen Vorschlag zu den Präsidentschaftswahlen zuleiten würde. Nach dem jetzigen Stand der Dinge ist damit aber leider nicht zu rechnen. Dabei wäre es möglich, die einstmals falsche Entscheidung zurückzunehmen, wonach das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt wird. Diese Direktwahl hat zu einem Wettbewerb nach dem Motto „Tschechien sucht den Superstar“ geführt, der zwar einen gewissen Unterhaltungswert hat, mehr aber auch nicht.
Größter Fehler seinerzeit war, dass man nicht daran gedacht hatte, mit der Direktwahl des Präsidenten auch dessen Befugnisse neu zu regeln. Aus meiner Sicht ist es verständlich, dass Amtsinhaber Zeman nichts unversucht lässt, die Grenzen seiner Vollmachten bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuloten und zu überschreiten – weil er ja vom ganzen Volk gewählt worden sei, nicht „nur“ von beiden Kammern des Parlaments. Dass hier keine Neuregelung kommt, ist unverständlich, weil Zeman seine höheren Ansprüche zum Verdruss aller regelrecht zelebriert.
Meine Nachbarn, die Horáks, wollen abwarten, wie das neue Wahlgesetz ausfällt. Wählen gehen, so viel ist sicher, wollen sie aber auch künftig in jedem Fall. Notfalls werde dafür das private Wochenende verkürzt, sagen sie. Dieser Haltung schließe ich mich gern an. Ich hoffe übrigens auf ein irgendwann viel weiter gehendes neues Wahlgesetz, bei dem auch ich als EU-Bürger mit ständigem Aufenthalt in Tschechien auch Parlament, Senat und den Präsidenten wählen darf, nicht nur meine kommunalen Vertreter und die fürs EU-Parlament