Nun ist wieder November und wir gedenken der Toten. Jede Blume, jedes Immergrün ist ein Zeichen der Verbundenheit mit jenen, die uns vorausgegangen sind. Jede Kerze oder Laterne ist mit ihrem Licht die Verbindung zwischen uns Lebenden und den Verstorbenen. Sie senden auch ihr Licht, hinüber auf die verfallenen, verwahrlosten Friedhöfe zu den Toten in fremder Erde und auf die Soldatenfriedhöfe. Friedhöfe sind auch die letzte Heimat für alle.
Die kalte Hand
Der Nachmittag des Allerheiligentags galt dem Gräberbesuch auf dem Friedhof, um mit den letzten Gaben des Herbstes, Blumen und roten Beeren, oder mit einem Kranz, die Gräber zu schmücken. Es wurde ein Lichtlein angezündet und der armen Seelen im Gebet gedacht. Wenn abends um sechs Uhr vom Turm die Glocken hallten, wussten die Frommen, dass von dieser Stunde an die Toten Urlaub hatten und erst mit dem Schlag der Mitternachtsstunde wieder in ihre Gräber zurückkehrten mussten. Eine Stunde lang begleiteten die Kirchenglocken das Rosenkranzgebet, das zu dieser Zeit in jedem christlichen Haus von der ganzen Familie gebetet wurde. Einmal im Jahr weilten nach dem Glauben des Volks die armen Seelen unter uns und baten um baldige Erlösung durch unser Gebet.
Und doch fehlte in einer Bauernfamilie unter den Betern der einzige Sohn Georg. Ihm gefiel das eintönige Murmeln der Vaterunser und Gegrüßt seist du, Maria, nicht und ging in das benachbarte Wirtshaus, um dort mit einigen Gleichgesinnten Karten zu spielen. Spät nachts kam er nach Haus, legte sich ins Bett und schlief ein. Auf einmal schreckte er auf, wurde hellwach und war fest überzeugt, dass ihm eine kalte Hand über das Gesicht gestrichen habe. Perlen kalten Schweißes standen ihm auf der Stirn. Entsetzt hatte der Bursche die Mahnung verstanden und fehlte nie mehr am Abend des Allerheiligentags beim Gebet und ging auch später als Bauer bei jedem Begräbnis mit von Lutsch (Dlouhá Loučka) nach Krönau (Křenov), wohl um seinen Frevel zu sühnen.
Der Toten Allerseelen
Zwittau (Svitavy)
Es war an einem Allerseelentag zu Anfang des Jahrhunderts. Eine leichte Schneedecke lag über den Grabhügeln des Gottesackers. Die Lichtlein, die auf den Gräbern brannten, waren schon längst erloschen: Ein kalter Wind strich um die Friedhofsmauer und ächzend drehte sich nach jedem Windstoß die Windfahne an der Turmspitze der Sankt Egidikirche. Und um den nahen Pfarrhof lag alles im tiefen Schlaf.
Kurz vor Mitternacht wurde der Priester durch die Klingel geweckt und gebeten, einem Sterbenden die letzten Tröstungen der Kirche zu geben. Priester und Mesner eilten zur Kirche, um den Leib des Herrn dem Kelch zu entnehmen. Wie staunten aber beide, die Kirche hell erleuchtet zu finden: Doch ringsum war alles still wie im Grab. An der Pforte des Gotteshauses überschlich geheimes Grauen Mesner und Priester. Im Messornat stand ein eisgrauer Priester am Altar, das heilige Messopfer verrichtend. In den Kirchenstühlen saßen oder knieten betende Leute jeden Alters und Geschlechts, die längst verstorben waren. Eingedenk seiner Priesterpflicht, den Siechen und Kranken die letzte Wegzehrung zu reichen, schritt der Priester zagenden Muts dem Hochaltar zu. Der Zelebrierende wich ehrfurchtsvoll zur Seite und ungehindert konnte dem Tabernakel die hl. Hostie entnommen werden. Frischer Mut strahlte aus seinen Augen, da der Priester mit dem Leib des Herrn segnend das Gotteshaus verließ, während ihn die stummen Andächtigen beim Vorübergehen gar ernst anschauten und ihre Häupter neigten.
Der Priester hatte dem Sterbenden den Leib des Herrn gereicht und nach einem stillen Gebet trat er den Heimweg an. Tiefe Stille lag über der Egidikirche. Der strahlende Lichterglanz war nun erloschen und vom nahen Turm kündete der Schlag der Glocke die erste Stunde nach Mitternacht für vollendet.
Sankt Kathrein
Auf dem Friedhof zu Böhmisch Trübau (Česká Třebová) steht das Kirchlein Sankt Kathrein, bei dem lange Zeit die Verstorbenen der Gemeinde Riebnik (Rybník) beigesetzt wurden. Von diesem erzählt die Sage. Als sich Bewohner der Gegend entschlossen hatten, hier ein Kirchlein zu bauen, erschien ihnen die heilige Kathrein und trug in ihrer Schürze Steine zum Bau herbei. Sie legte sie an der Stelle nieder, wo jetzt das Kirchlein steht. Damals aber wollten die Bauleute auf einem anderen Platz bauen und fingen auch damit an. Aber der Bau gelang ihnen nicht. An jedem Morgen, an dem sie den Bauplatz betraten, fanden sie alles zerstört, was sie tags zuvor geschaffen hatten. Und immer wieder zeigte sich die heilige Kathrein und trug Steine zu dem von ihr erwählten Ort vor der Stadt, von dem man eine schöne Rundsicht über die ganze Umgebung genießt. Endlich gaben die Bauleute ihren Widerstand auf und fügten sich dem Willen der Heiligen. Und nun ging auch das Werk sehr rasch und glücklich vonstatten.