Illustration: Jiří Bernard

Am 1. Mai vor 15 Jahren traten im Zuge einer großen Erweiterungswelle acht Staaten aus dem ehemaligen Ostblock der Europäischen Union bei. Das war ein großer Fehler, für den die Europäische Union heute bitter zahlen muss.

Die große Erweiterung der Europäischen Union vor 15 Jahren war so, wie sie gelaufen ist, ein großer Fehler. Ein Fehler, für den die Europäische Union heute mit dem Austritt eines der wichtigsten Länder der Union, Großbritannien, zahlt. Dieser Austritt stellt aus wirtschaftlicher, militärischer und vor allem demokratischer Sicht alles in den Schatten, was die EU durch die Erweiterung um 10 bzw. 13 Länder nach 2000 erreicht hat.

Großbritannien ist das erste Land, das die Erweiterung durch die Tschechische Republik, Polen, Ungarn, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Kroatien und die baltischen Länder nicht mehr ausgehalten hat. Mehrere Millionen Arbeitsmigranten aus diesen Ländern, welche Großbritannien als EU-Mitgliedsstaat nicht aufhalten konnte, haben einen Teil der Briten aufgeschreckt. So sehr, dass sie gemeinsam mit den Nostalgikern eines britischen Weltkolonialreiches sowie vielen Verirrten und Populisten im Referendum vor fast drei Jahren für den Austritt stimmten.

Export des Roma-Problems

Die Tschechen tun weiter so, als ob sie dieses Problem nichts angeht. Aber auch aus Tschechien zogen rund 100000 Bürger nach Großbritannien und damit um ein Mehrfaches als die Zahl der Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei nach dem kommunistischen Putsch im Februar 1948 und vergleichbar viele wie bei der größten Emigrationswelle nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten im August 1968. Allerdings verteilten sich die Flüchtlinge damals über die ganze Welt, während sich die Migration der letzten 15 Jahre fast ausschließlich nach Großbritannien bewegte. Mehr als die Hälfte dieser Migranten aus Tschechien waren übrigens Roma. Ähnlich sieht das in der Slowakei, Bulgarien und Rumänien aus.

Wir haben damit einen großen Teil unseres Roma-Problems auf die britischen Inseln exportiert, das diese dank eines funktionierenden Sozialversicherungssystems und des fehlenden Rassismus gegenüber tschechischen Roma in den Griff bekamen. Aber auch so hat Tschechien zweifelsohne seinen Anteil an der Atmosphäre, die das für Großbritannien und Europa so katastrophale Ergebnis der Brexit-Abstimmung möglich machte. Es ist katastrophal, obwohl wir auch nach drei Jahren noch nicht wissen, wie der Austritt und die künftige Stellung Großbritanniens aussehen werden. Und immer noch gibt es eine wenn auch minimale Hoffnung, dass es am Ende nicht zum Brexit kommt.

Totalitäre Strukturen auf dem Vormarsch

Die massive Emigration aus dem Osten in den Westen, verursacht durch das Fehlen einer sozialen Marktwirtschaft westlichen Typs, die sich in unserem Teil Europas mit Ausnahme Sloweniens auch nach 15 Jahren noch nicht herausgebildet hat, ist dabei das kleinere Problem mit dem Namen „EU-Osterweiterung“. Das weitaus ernstere Problem ist die Erosion der Demokratie, des Rechtsstaates und das Infragestellen der Europäischen Union als Gemeinschaft demokratischer Staaten. Ungarn ist keine Demokratie im Verständnis Westeuropas mehr. Und das trotzdem die dortige totalitäre Regierung noch nicht zu Repressionen nach Art von Putin oder China gegriffen hat.

Polen hat sich auf den ungarischen Weg begeben und wenn Jarosław Kaczyński auch nach den Parlamentswahlen im Herbst an der Macht bleibt, wird die Entwicklung im bedeutendsten Staat des „neuen Europa“ die gleiche Richtung nehmen wie in Orbáns „weichem totalitären Staat“. Und auch die korrumpierte rumänische Elite ist auf dem besten Weg, Orbán nachzufolgen. Tschechien steht mit einem Oligarchen auf dem Premiersposten, gegen den polizeilich ermittelt wird, der einen großen Teil der Wirtschaft und der Medien kontrolliert und bereit ist, sich um der Macht willen mit offen antidemokratischen Kräften wie Kommunisten und Neofaschisten zu verbünden, nicht viel besser da.

Orbáns Ungarn aus der EU ausschließen

Trotzdem gibt es in unserem Teil Europas 15 Jahre nach der Erweiterung Grund zum Feiern. Ohne die Mitgliedschaft in der Union wäre die Situation deutlich schlimmer, die Auswanderung in den Westen viel größer, Demokratie und Rechtsstaat deutlich schwächer, vom wirtschaftlichen und Bildungsniveau ganz zu schweigen. In einigen Ländern machen sich die Menschen das bewusst, in Tschechien, wo die Menschen mit einem unbegründeten Stolz ausgestattet sind, jedoch keinesfalls.

Die große Frage ist, ob unsere westlichen Nachbarn auch etwas zu feiern haben. Sicher, aus wirtschaftlicher Sicht, hat die Erweiterung einem Teil Europas und Deutschland an erster Stelle, geholfen. Gleichzeitig hat sie aber die Aktionsfähigkeit der Europäischen Union untergraben und sie mit dem Verstoß gegen die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaates in ihren Grundwerten erschüttert. Und wie bereits erwähnt, ist der Verlust Großbritanniens als eine Bastion der Demokratie ein so großer Schlag, dass er praktisch alle wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und demografischen Vorzüge der EU-Osterweiterung aufwiegt. Die große Erweiterung vor 15 Jahren war ohne klare Absicherung und Mechanismen zum Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie ein Fehler. Es war ein gut gemeinter Schritt, der die Europäische Union zum Schlechten verändert hat. Und die Union hat ihn, mit Ausnahme von Großbritannien, bisher ausgehalten. Das muss aber nicht noch einmal 15 Jahre so sein. Damit es die Union auch dann noch gibt, muss sie sich um undemokratische Staaten wie Orbáns Ungarn verkleinern.

Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung „Deník“.


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