Gelber Trabant in den Straßen von Dresden, Foto: ČTK/DPA/Jens Büttner

Nach der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen zerlegt sich nun auch die CDU. Was zuvor schon die SPD erfahren musste: Der Osten tickt anders. Und das nicht nur in Deutschland. Wer das nicht versteht, wird die Spaltung nur noch vertiefen, prophezeit unser Kommentator Hans-Jörg Schmidt.

Ich bin in den zurückliegenden Wochen seit der Wahl im deutschen Herzland Thüringen sehr viel häufiger als gewöhnlich von tschechischen Bekannten und Verwandten gefragt worden, was jetzt im Land der geschwefelten Klöße und der Rostbratwürste los sei. Mehr noch: Was in Deutschland los sei. Was die Krise dort zu bedeuten habe. Auch für Europa und schließlich für die Tschechische Republik. Ob es jetzt eine Wiederauflage von „Weimar“ gebe, man sich am Ende auf einen Kanzler Höcke vom rechten Flügel der Alternative für Deutschland (AfD) einrichten müsse, ja, ob unser Kontinent wirklich friedlich bleiben werde.

Provozierter Tabu-Bruch

Da schwang einiges an Angst in den Fragen mit. Angst, dass Deutschland wieder „braun“ werden könnte. Das könne niemanden in Tschechien gleichgültig lassen, so, wie eng beide Nachbarn miteinander verbunden seien.

Auch den tschechischen Medien liefert der politische Tabu-Bruch zwischen CDU und FDP einerseits und AfD andererseits reichlich Stoff. Nach dem allgemeinen Erstaunen fanden sich da aber schnell auch kluge Analysen der Gründe für das Desaster. So schrieb etwa Robert Schuster in Lidové noviny: „Viele in der CDU vertrauten lange darauf, dass die Partei mit der Ostdeutschen Angela Merkel in den neuen Ländern automatisch unterstützt werde. Doch dort nahm man vieles negativ wahr. Das galt etwa für die Abkehr von der Kernenergie, die Bemühungen zur Euro-Rettung, Merkels Rolle in der Migrationspolitik, für die Sanktionen gegen Russland oder für das Ende der Braunkohle in den ostdeutschen Revieren.“

Schuster konstatierte, dass der Hauptgrund für das Schrumpfen der zweiten großen Volkspartei nach der SPD – der Union – darin liege, dass die großen Traditionsparteien die Menschen in Ostdeutschland nie richtig begriffen haben. Und er fügte hinzu: „In jedem Fall gilt, dass auch der nächste Chef der CDU ohne die wirkliche Integration des deutschen Ostens erfolglos bleiben wird. Sowohl als Parteiführer als auch als möglicher Bundeskanzler.“ Damit traf Schuster den Kern des Problems: Die CDU in Berlin ahnt auch 30 Jahre nach der „Wende“ nicht einmal, wie die Ostdeutschen ticken. Und das ist offenkundig nicht nur ein Problem der CDU. 

Enttäuschte Hoffnung

Bei den Überlegungen darüber fiel mir eine Sequenz des ersten frei gewählten tschechoslowakischen und späteren tschechischen Präsidenten Václav Havel ein, nicht über West- und Ostdeutschland, sondern über West- und Osteuropa. Havel hatte darin zutiefst beklagt, dass Westeuropa nicht wirklich interessiert sei an der anderen geschichtlichen Erfahrung Ostmitteleuropas. Immer wieder tauchte bei ihm eine Hoffnung auf: dass sich das damalige politische Europa, das ein Westeuropa war, nicht mit den eigenen Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg zufrieden gäbe, sondern auch zuhören werde, wenn die „neuen“ Europäer aus der geografischen Mitte des Kontinents ihre Geschichten erzählen werden. Ein Wunsch Havels, der sich nicht erfüllte. Der Westen des Kontinents war sich allein genug, hat sich nur mäßig tiefere Gedanken über den „Osten“ gemacht.

Dabei war lange absehbar, dass das nicht gut gehen kann. Nicht nur Deutschland ist weiterhin gespalten, auch Europa ist es mehr denn je. Alte Rezepte der EU taugen nicht mehr, um Nein-Sager auf Linie zu bringen, indem man ihnen bei anderen Themen etwas entgegen kommt. Das wurde spätestens seit dem Beginn der Migrationskrise 2015 deutlich, wo sich die Ostmitteleuropäer weder durch gutes Zureden noch durch Drohungen von ihrer harten Linie gegen die Aufnahme von Flüchtlingen abbringen ließen. Die West-EU wird mehr und mehr versuchen, wichtige Beschlüsse über Mehrheitsentscheidungen brachial durchzupeitschen. Bis es den Ländern, die dabei immer wieder auf der Strecke bleiben werden, reichen wird. Dann wird nicht nur wieder lauter als zuletzt von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten geredet werden. Wenn es dumm läuft, wird das die Fliehkräfte in einigen Ländern stärken. Dann könnte der Brexit Nachahmer finden, was niemand wollen kann. 

So, wie man nicht von Berlin aus per Dekret in die deutschen Bundesländer hineinregieren kann, kann man das auch von Brüssel nicht über die Köpfe einzelner EU-Länder. Doch um das zu begreifen, muss man in den „Zentralen“ verstehen, dass beispielsweise die „im Osten“ anders sozialisiert sind als die im Westen. Das setzt aber voraus, dass man sich überhaupt für diese Länder „im Osten“ interessiert. Nicht nur als günstige Produktionsstandorte und Absatzmärkte. Sonst wundert man sich auch künftig über Wahlergebnisse und weiß sich keinen Rat, wie damit umzugehen ist. Das gilt für Deutschland wie für Europa.

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