„Die dritte Hand“ von Alexandra Koláčková auf der Prager Kinderinsel. Foto: Sculpture line

Während viele Kulturereignisse wie der Prager Frühling 2020 (Pražské jaro) oder das diesjährige Internationale Filmfestival in Karlsbad (Mezinárodní filmový festival Karlovy Vary) wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten und ihr Programm daher nur online zu verfolgen war, können andere Kulturereignisse seit Juni zum Teil wieder stattfinden. Zu diesen gehört auch das Internationale Bildhauerfestival Sculpture line, das sich bereits zum sechsten Mal unter freiem Himmel abspielt.

Seit Juni werden für die nächsten drei Monate etliche öffentliche Räume quer durch Tschechien mit überdimensionalen Plastiken von in- und ausländischen Künstlerinnen und Künstlern gefüllt. Straßen, Stadtplätze und Parkanlagen verwandeln sich zu Galerien und werden alle passionierten Kunstliebhaber sowie zufällige Vorbeigehende zu einem Besuch einladen. Das Festivalkonzept setzt auch in diesem Jahr auf ungewöhnliche und gewagte Statuen renommierter Bildhauer. Die Großplastiken werden an unterschiedlichen Ausstellungsorten nach und nach installiert, wo sie bis zum Herbst bleiben werden.

„Es ist erfreulich, dass auch in diesem, für uns alle dermaßen komplizierten Jahr, unser Kunstprojekt fortgesetzt wird. Seine Bedeutung wird größer, da unser Festival die soziale und kulturelle Isolierung zu überwinden hilft. Darüber hinaus senden wir ein Signal, dass wir trotz aller Schwierigkeiten zu einer alltäglichen Lebensart zurückkehren“, sagt der Kurator des Sculpture-line-Festivals, Martin Dostál. „Gemeinsam mit unseren Künstlern sind wir froh darüber, dass man in der jetzigen Lage, in der ganz andere Lebensbereiche als Kunst im Vordergrund stehen, Hilfsbereitschaft und Enthusiasmus in einer Vielzahl tschechischer Städte begegnen kann“, fügt der Festivaldirektor Ondřej Škarka hinzu.

Von Prag bis Braunau, von Maffersdorf bis Unter Breschan

Das geographische Netz des Festivals spannt sich in diesem Jahr auf zwischen Prag, Brünn (Brno), Ostrau (Ostrava), Olmütz (Olomouc), Braunau (Broumov), Reichenberg (Liberec), Pardubitz (Pardubice), Königgrätz (Hradec Králové), Pilsen (Plzeň), Maffersdorf (Vratislavice nad Nisou) und Unter Breschan (Dolní Břežany). Zu den teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern gehören Alexandra Koláčková, Iva Mrázková, Jaroslav Róna, Jakub Flajšar, Kurt Gebauer, Lukáš Rittstein, Michal Gabriel, Tomáš Medek und Stefan Milkov. Das Ausland vertreten der chinesische Künstler Liu Ruowang, der gebürtige Ulmer Johannes Pfeiffer sowie der Slowake Andrej Margoč.„Der Leser im Sessel“ von Jaroslav Róna auf dem Prager Franz-Kafka-Platz. Foto: Sculpture line

„Der Leser im Sessel“ von Jaroslav Róna auf dem Prager Franz-Kafka-Platz. Foto: Sculpture line

Welche originellen Kunstwerke sind an den Orten zu sehen? Auf dem Franz-Kafka-Platz, nur ein paar Schritte von der legendären Reiterstaute, mit der der tschechische Bildhauer Jaroslav Róna (1957) den Weltliteraten ehrt, wird der bronzene „Leser im Sessel“ desselben Bildhauers sein vorübergehendes Domizil finden. Das Objekt war ursprünglich für eine öffentliche Bibliothek bestimmt, da es einen Leser thematisiert, der einer imaginativen Lesewelt verfallen ist. Ein farbenfrohes Keramikobjekt aus Schamotte-Ton von Alexandra Koláčková (1964) wird auf der Prager Kinderinsel (Dětský ostrov) die Kleinsten erfreuen. Wie auch bei den anderen Arbeiten der Künstlerin kann man auf ihre „Dritte Hand“ raufklettern, ihre glatte Oberfläche betasten und die Umgebung aus einer anderen Perspektive entdecken.

Auf der Wiese unweit der Kirche der heiligen Dreifaltigkeit (Kostel nejsvětější Trojice) in Maffersdorf bei Reichenberg bekam „Der Flügel“ von Antonín Kašpar (1954) seinen Ausstellungsplatz. Sein Autor ehrt damit den deutschen Künstler und Theoretiker Joseph Beuys, der seinerzeit das gleiche Musikinstrument in einen Filz verhüllte, auf das er ein rotes Kreuz malte. An einem anderen Maffesdorfer Ort begegnet man einem Menschenaffen, der aus der Werkstatt von Liu Ruowang hervorgegangen ist. Das skeptisch zum Himmel hinaufschauende Wesen sollte die Auferstehung der altehrwürdigen menschlichen Zivilisation symbolisieren. Ruowang drückt damit gleichzeitig seine Besorgnis um unsere Gegenwart aus.„Die Strelizie“ von Jan Dostál im Schroll-Park in Braunau (Broumov). Foto: Sculpture line

„Die Strelizie“ von Jan Dostál im Schroll-Park in Braunau (Broumov). Foto: Sculpture line

Eine monumentale Paradiesvogelblume (Strelizie), die im Altanhaus im Braunauer Schroll-Park (Schrollův park) aufgeblüht ist, trägt die unverwechselbare Handschrift von Jan Dostál (1992). Obwohl sie der Bildhauer aus Stahl verfertigt hat, besitzt sie nicht die Form einer geschlossenen klassischen Statue, denn man kann durch die komplizierte geöffnete Struktur in ihr Inneres hineinschauen. 

Alle Informationen zum Festival samt einer Ortskarte, Einzelheiten zu Autoren und ihren Werken findet man auf der Webseite von Sculpture line.

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