Die Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz - Foto: Ulrich Miksch

Die Weltzeituhr, der berühmteste Treffpunkt Berlins, wird heute 50 Jahre. Nur wenige wissen, dass der Designer Erich John auch an eine Linde in seiner sudetendeutschen Heimat dachte, als er sie schuf.

Der emeritierte Professor für Industrie-Design der Kunsthochschule Weißensee in Berlin Erich John zählt mittlerweile 86 Lenze. Ihm ist in seinem reichen Leben etwas vergönnt worden, was man nicht planen kann und was im Strudel der Zeitläufte Glück zu nennen ist. Ein Entwurf aus seiner Feder ist nicht nur gebaut und aufgestellt worden, sondern im Jahre 2015 wurde dieses Objekt durch das Land Berlin auch in die Denkmalliste aufgenommen. Erich John kann also wenn er heute aus Berlin-Biesdorf, wo sein Wohnhaus steht, in dem es voller selbstgemalter Bilder, Fotografien und Entwürfen wimmelt, zum Alexanderplatz zu „seiner“ Weltzeituhr kommt, ein Denkmal aufsuchen. Eines das sich dreht: Ganz oben das versinnbildlichte Planetensystem, die Ursache für unsere Tageslänge und die Abfolge der Jahreszeiten, dreht sich einmal in der Minute. Und der Stundenkranz dreht sich einmal in 24 Stunden rundherum, durch die angeschriebenen Weltstädte aufgeteilt in solche der Nord- und der Südhalbkugel. Eher beiläufig wird ein neugieriger Besucher des Alexanderplatzes, der sich an der Weltzeituhr verabredet hat, bemerken, dass man sich unter der Stundenscheibe unterstellen kann, wenn es regnet oder die Sonne allzustark vom Himmel brennt. Das kommt nicht von ungefähr.

Erich John Foto: Ulrich Miksch

Als Erich John, geboren und aufgewachsen in einer alteingesessenen Bauernfamilie in Kartitz (Choratice) an der Elbe nahe bei Tetschen (Děčín), in seiner Kunsthochschule 1968 seinem Direktor, dem ebenfalls aus Nordböhmen stammenden Walter Womacka, begegnet, fordert der ihn auf, einen Entwurf für die Neugestaltung des Alexanderplatzes zu liefern. An der Stelle der zerstörten Urania-Säule, einer Standuhr mit Anschlagsfeldern für Wetterinformationen oder andere Verlautbarungen, sollte etwas Neues entstehen. John überlegt. Eine Uhr trägt doch heutzutage jeder an seinem Arm, man sollte die Zeit selbst zum Thema einer Uhr machen. Und nach der Verschließung der Welt für die Ost-Berliner durch den Mauerbau, sollte man doch ein Zeichen der Weltoffenheit schaffen. Und in diese Überlegungen fließen dann auch seine Kindheitserlebnisse mit ein. John erinnert sich an die Dorflinde in Kartitz, dem kleinen Ort in der Nähe der Elbinsel am Jungfernsprung. Sie war mächtig, mehr als zwei Meter im Durchmesser und innen bereits hohl. Sie war der Treffpunkt im Ort und für ihn als Kind, das in den Stamm klettern konnte, auch ein Schutzraum. Genau so einen Ort hatte John im Sinn für den weitläufigen, streckenweise völlig leeren Alexanderplatz. Ein Treffpunkt und einen Schutz gewährenden Raum unter der Uhr. 200 DDR-Mark bekam jeder teilnehmende Künstler oder Entwerfer.

Trabant-Getriebe trifft Dortmunder Kugellager

Es waren über 20 Entwürfe, die eingereicht wurden. John wundert sich noch heute, wie es kam, dass gerade sein Entwurf von der Kommission in der Womacka, sicher die künstlerisch einflussreichste Persönlichkeit war, plötzlich herausgehoben wurde. Er bekam weitere 2000 DDR-Mark zur weiteren Präzisierung des Entwurfs und der Verpflichtung auch ein Modell daraus zu erstellen, das dann in den Ausstellungen zur Neugestaltung des Alexanderplatzes auch gezeigt werden konnte. Vielleicht waren es ja auch untergründige sudetendeutsche Fäden, die sich da verknüpften? Und bald stand die Frage nach der Realisierung des Entwurfs noch zum 20. Geburtstag der DDR, also schon Ende September 1969. Johns Kontakte zu den Optischen Werken in Rathenow, für die er insgesamt 30 Jahre lang alle Design-Entwürfe der dortigen Produktion lieferte, boten Möglichkeiten eine solche Weltzeituhr zu bauen, aber zwei wichtige Bauteile – speziell gefertigte Kugellager – waren in der DDR nicht zu bekommen. John knüpfte während der Leipziger Messe Kontakte nach Dortmund. Die dortige Firma „Rothe Erde“ war in der Lage diese innerhalb von 3 Monaten zu liefern. Doch dafür brauchte er 10.000 DM. Er bekam sie, sodass am 30. September 1969, als die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz aufgestellt wurde, ein verborgenes deutsch-deutsches Kooperationsobjekt in Dienst kam. In der einen Welt, jenseits der in Ost und West geteilten, trieb ein Elektromotor über ein Trabant-Getriebe ein Zahnrad an, das durch ein Dortmunder Kugellager alles Bewegliche reibungsarm in stetige Drehung versetzt. Und noch etwas war erstaunlich. Die Platten mit den Städtenamen, die die ganze Welt repräsentierten, wurden austauschbar gestaltet. Wirkte da die Erkenntnis mit, dass nach der Zeit des Stalinismus bald auch die Stalinstädte wieder verschwanden? Jedenfalls liest man heute, eben akkurat ausgetauscht, „Sankt Petersburg“ statt dem bei der Eröffnung natürlich treulich angeschriebenen „Leningrad“. Am Ende kostete die symbolisierte Weltzeit schließlich 480.000 DDR-Mark. Ein überschaubarer Wert für eine robuste Technik, die nach gelegentlichen Wartungen und einer großen Generalüberholung immer noch tadellos funktioniert.

Kartitz an der Elbe, heute Choratice Foto: privat Erich John

Doch was geschah mit der Dorflinde in Kartitz, die ja jenseits der Zeit, die große Inspirationsquelle für die in menschlicher Dimension entworfene Weltzeituhr bildete? Erich John wusste darüber lange nichts zu sagen. Seine Familie wurde nach dem Ende des Krieges wie alle Deutschen durch den tschechoslowakischen Staat enteignet und noch 1945 kamen sie in ein Internierungslager in Dobkowitz (Dobkovice), wo der Vater im Steinbruch, die Mutter in einer Uniformfabrik arbeiten musste und Erich mit dem Erreichen des 14. Lebensjahres auch Zwangsarbeit leistete. Die Arbeit mit Asbestisolierungen ließen ihn lebensgefährlich erkranken, er erholte sich und die Familie kam 1946 nach einer tagelangen Eisenbahn-Odyssee schließlich in Mecklenburg südlich von Wismar zunächst in ein Lager zur Quarantäne, dann in die Kleinstadt Neukloster mit ursprünglich 2500 Einwohnern, die durch die Vertriebenen auf 6000 Einwohner anwuchs.

Es dauerte bis in die 1960er Jahre. John war schon erfolgreich als Industrie-Designer tätig und fuhr sogar ein eigenes Auto, einen „P 70“, den Vorgänger des Trabants noch mit Holzkarosserie, aber auch schon mit Kunststoff-Verplankungen. Da konnte er mit seiner Frau, einer Grafikerin, die aus Stettin stammt, seinem kleinen Sohn und seinen Eltern erstmals wieder nach Kartitz reisen. Die Linde stand nicht mehr. Sie war ohne erkennbaren physischen Grund einfach zersägt worden. Und Erich John wundert sich noch heute, warum eine Linde, der Symbolbaum der Slawen, nach der Vertreibung der Deutschen aus Kartitz ein so schäbiges Ende finden musste. In gewisser Weise hat er der Kartitzer Dorflinde seiner Kindheit ein symbolisches, technisches Nachleben auf dem Alexanderplatz verschafft. Und in der Welt, deren verschiedene Zeitzonen er in seinem Entwurf einer Weltzeituhr nachspürte, ist er vor allem seit der Pensionierung geradezu exzessiv manchmal provisorisch mit Auto und Zelt, manchmal komfortabler mit Flugzeug und Hotel auch ziemlich herumgekommen.

Buchtipp

Erich John: Ikarusflüge. Erinnerungen eines DDR-Designers. Frieling-Verlag Berlin 2013. 176 Seiten. Taschenbuch (kartoniert). ISBN 978-3-8280-3081-7. 11,90 €

 

 

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