In der Nacht vom fünften auf den sechsten Dezember begegnet man in Tschechien nicht dem Weihnachtsmann, sondern dem Heiligen Nikolaus von Myra – mit Engel und Teufel im Schlepptau.

Heute Nacht feiert man in den morgigen Nikolaustag hinein: Die Tschechen kennen ihn immerhin, während er vielen Deutschen (und anderen) nicht immer geläufig ist: Den Unterschied zwischen dem Heiligen Nikolaus und dem Weihnachtsmann. Deshalb sieht man in der heutigen Nacht zum 6. Dezember – dem Tag des Heiligen Nikolaus – auf den Straßen immer mehr Kostümierte, die sich, tatsächlich nicht ahnungslos das Outfit des Weihnachtsmannes überstülpen, sondern das authentische Ornat des Heiligen. Wie es sich gehört. Und sie tun es auch immer öfter und mit immer mehr Begeisterung.

Credit: Ahoj aus Prag

Der Unterschied zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann

Der Weihnachtsmann ist zwar nicht 1931 als Werbeträger (hier natürlich als Santa Claus) einer amerikanischen koffeinhaltigen Limonade entstanden, wie manche denken, aber er ist tatsächlich irgendwie eine Symbol- und Kunstfigur, die nicht biblischen Ursprungs ist und auch keine hagiographischen oder kirchengeschichtlichen Wurzeln hat. Dadurch hat er irgendwie einen überkonfessionellen, wenn nicht gar interreligiösen oder säkularen Anstrich bekommen, was seine Popularität erklärbar macht. Erst im späten 18. Jahrhundert ist die Figur in Überlieferungen in Deutschland greifbar und seine heutige Form nahm er Anfang des 19. Jahrhunderts an, als er etwa in Amerika 1823 durch das Gedicht T’was the Night before Christmas des Dichters Clement Clarke Moore oder in Deutschland 1835 durch August Heinrich Hoffmann von Fallersleben mit dem Lied Morgen kommt der Weihnachtsmann popularisiert wurde und seine Gestalt annahm. Nur zur Kenntnis: Der Weihnachtsmann (und man sieht es in unzähligen amerikanischen Filmen) kommt zu Weihnachten, um den Kindern seine Gaben zu geben – und nicht in der Nacht vor dem 6. Dezember, wo er tatsächlich Fehl am Platze ist.

Credit: Ahoj aus Prag

Wundertaten aus Myra

Außerdem trägt er eine rote Zipfelmütze mit weißem Pelzbesatz und einen farblich dazu passenden Mantel. Damit er Weihnachten die Lieferlast bewältigen kann, nutzt er seit dem frühen 19. Jahrhundert einen Rentierschlitten, der aus Gründen der Sicherheitsbeleuchtung von einem wohl gentechnisch überarbeiteten Rentier geführt wird, dessen Nase unnatürlich leuchtet – was 1948 erstmals durch Gene Autry in größerem Umfang überliefert wurde. Und der Nikolaus? Ist ein in der christlichen Historiographie erwähnter Heiliger und eine historische Figur. Es handelt sich um den Bischof Nikolaus von Myra (in der heutigen Türkei), der dort Anfang des 4. Jahrhunderts amtierte. Er bewirkte viele Wunder, etwa die Bändigung eines Seesturms, die Abwendung einer Hungersnot durch ein Kornwunder, die Bekehrung eines Juden, die Rettung eines Kindes vor dem Ertrinken und die Wiedererweckung eines getöteten Jungen. Letztere drei Wunder haben wohl dazu beigetragen, dass er als idealer kindgerechter und kinderfreundlicher Heiliger gefeiert wird – wie morgen am 6. Dezember.

Credit: Ahoj aus Prag

Da er Bischof war, rannte er auch nie im pelzbesetzten roten Mantel und mit einer ebensolchen Zipfelmütze herum, sondern selbstredend im Bischofsornat. Und so sieht man ihn heute überall in Prag, nämlich als der echte Nikolaus von Myra, den man hier natürlich ganz tschechisch Svatý Mikuláš z Myry nennt, was dasselbe auf Tschechisch ist. Er trägt immer ein Bischofsgewand mit Bischofmitra (Bischofshut) und Bischofskrummstab. Als solcher bekommt er (manchmal von Freunden und Verwandten gespielt) Kinder besuchen, denen er gute Gaben gibt. Mittlerweile scheinen Jugendliche am Nikolaus-Treiben Spaß gefunden zu haben, dass man immer mehr Nikoläuse auf allen weihnachtlichen Plätzen (z.B. Weihnachtsmärkte) sieht. Jedes Jahr werden es mehr und es wird immer intensiver gefeiert. Ob es gute Gaben gibt, hängt natürlich von den Kindern selbst ab.

Credit: Ahoj aus Prag

Engel und Teufel belohnen und bestrafen die Kinder

Brave Kinder haben da kein Problem. Böse und unartige schon. Deshalb tritt der Nikolaus hier meist auch im Dreierteam auf: Mikuláš, Čert a Anděl – Nikolaus, Teufel und Engel. Klar, der Engel belohnt die guten Kinder. Und ebenso klar: Der Teufel bestraft die Bösen (natürlich nicht wirklich hart oder gar mit ewigem Höllenfeuer). Ähnliches gibt es in Deutschland auch. Das belohnt der Nikolaus zwar selbst (ohne Engel), aber für das Bestrafen ist dann oft Knecht Ruprecht zuständig. Auch in Tschechien gibt es vor allem regionale Unterschiede, was die Begleiter des Nikolaus angeht. Es sind nicht immer nur Engel und Teufel. In kaum einem Land hat er solch eine Auswahl an Partner (eine größere Anzahl davon haben wir schon einmal hier vorgestellt). Darunter ist neben anderen auch die Gestalt des Krampus, der im Äußeren und der (strafenden) Funktion ein wenig dem Teufel ähnelt. Aber hier in Prag ist es fast immer das Trio Nikolaus, Engel und Teufel. Mit ihnen ist in Prag in den letzten Jahren der Nikolausabend vor dem 6. Dezember immer mehr zu einem großen Volksfest geworden. Nicht nur um die großen Weihnachtsmärkte – vor allem am Altstädter Ring – sammeln sie sich in Scharen.

Credit: Ahoj aus Prag

Der Publikumsliebling ist dabei fast immer der Teufel. Vor allem die Kinder lieben ihn. Wir wissen ja, dass die Tschechien irreligiös sind, aber an diesem Abend werden sie geradezu zu Satanisten. Oft sind die Teufelskostüme liebevoll gruselig gemacht. Jedenfalls erinnert das Ganze schon fast an das Halloweenfest, das ja rund einen Monat zuvor stattgefunden hat. Das Böse fasziniert ja bekanntlich meist mehr als das Gute. Vor allem der Engel (dem ja eine etwas langweiligere Rolle zugedacht ist), ja selbst der Nikolaus, haben es schon schwer gegen sich in Sachen Beliebtheit gegen den Teufel durchzusetzen. Besonders ausgeprägt ist das Ganze auf der Kleinseite (Malá Strana), wo der Teufel de facto fast zum Hauptdarsteller wird. Das hat natürlich seinen lokalen Grund. Denn hier wird die schöne Kampa-Insel seit dem 12. Jahrhundert durch den Teufelsbach (Čertovka) – in Wirklichkeit ein Kanal – vom „Festland“ getrennt.

Credit: Ahoj aus Prag

Nikolaus-Spektakel auf der Kampa

Der legendäre Teufelsbach legt schon dem Namen nach die örtlich Dominanz des Teufels an diesem Tag nahe. Und tatsächlich wird es hier unheimlich. Der Kanal ist auf einmal in der Nacht im Dunklen von Fackeln beleuchtet. Überall huschen besonders schaurige Teufel ebenfalls mit Feuerfackeln herum. Von Engeln und dem Nikolaus kaum eine Spur. Und tatsächlich wird dieses Fest am Bach (das man auch vom Touristenboot aus inspizieren kann) gar nicht mehr nach Nikolaus genannt, sondern heißt schon gleich Teufel am Teufelsbach (Čerti na Čertovce). Auf jeden Fall sollte man sich diese Show nicht entgehen lassen und bei Anbruch der Nacht hin zur Kampa Insel und dem Teufelsbach gehen. Auf dem Kampa-Platz (Náměstí Na Kampě) direkt daneben geht es dann wieder besinnlicher zu. Im Schatten der Karlsbrücke gibt es einen Weihnachtsmarkt und viele Musikdarbietungen auf der Bühne.

Credit: Ahoj aus Prag

Es ist ganz offensichtlich: In Tschechien – und vor allem auch in Prag – wird der Heilige Nikolaus nicht nur authentischer (als Bischof!), sondern auch wesentlich intensiver und in größerem Stil gefeiert, als das in Deutschland der Fall ist. Und zwar nicht nur an den (touristischen) Hotspots der Altstadt oder der Kleinseite. In immer mehr Stadtteilen gibt es seit einigen Jahren öffentliche Feste zum Nikolausabend (eine kleine Liste findet man hier). Meist geht es hier nicht so teufelszentriert zu wie am Teufelsbach auf der Kleinseite, d.h. der Nikolaus spielt eine tragendere Rolle. Und dann gibt es natürlich unendliche private Feiern oder Auftritte in Gastwirtschaften. Die Weihnachtszeit in Prag ist sowieso schon eine Reise wert, aber am Vorabend des Nikolaustages kann man Spaße ohne Ende haben. 

Mehr Texte von „Ahoj aus Prag“ lesen Sie hier.

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