Ein politischer Machtwechsel in Prag: Die populistische ANO-Partei von Ex-Premier Andrej Babiš hat die Parlamentswahl gewonnen, die Regierung von Petr Fiala wurde abgewählt. Es war eine Wahl mit Überraschungen – Gespräche über mögliche Koalitionen laufen bereits.

Andrej Babiš hat geschafft, was bislang noch keinem ehemaligen Regierungschef in der modernen Geschichte Tschechiens gelungen ist: Nach einer Legislaturperiode Pause steht der ehemalige Premierminister (2017 – 2021) vor der Rückkehr an die Macht. Mit einem klaren Sieg seiner „Bewegung“ ANO bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am Freitag und Samstag hat er das politische Kräfteverhältnis in Prag grundlegend verändert. Die bisherige liberal-konservative Koalition von Regierungschef Petr Fiala verlor deutlich und hat keine Mehrheit mehr.

Historisches Ergebnis für ANO

Babišs ANO erreichte 34,5 Prozent der Stimmen und sicherte sich damit 80 der 200 Sitze im Abgeordnetenhaus – das stärkste Ergebnis in der Parteigeschichte. Das Bündnis SPOLU, das bislang regiert hatte, kam auf 23,4 Prozent (52 Sitze). Die Bürgermeisterpartei STAN – Fialas Koalitionspartner – landete mit 11,3 Prozent (22 Sitze) auf dem dritten Platz. Danach folgen die Piraten mit 9 Prozent (18 Sitze), die rechtsextreme SPD von Tomio Okamura mit 7,8 Prozent (15 Sitze) und als künftig neue Kraft im tschechischen Abgeordnetenhaus die Autofahrerpartei Motoristé mit 6,8 Prozent (13 Sitze). Das linksnationale Bündnis Stačilo!, dem sich auch die tschechischen Sozialdemokraten angeschlossen hatten, schaffte es überraschend nicht über die Fünfprozenthürde. Auch die rechtspopulistische Přísaha von Robert Šlachta verfehlte mit nur 1,1 Prozent deutlich den Einzug ins Parlament.

Ein Blick auf die geografische Wahlkarte zeigt wie in der Vergangenheit eine Spaltung zwischen den großen Städten und ländlichen Regionen. Während die ANO in fast allen Regionen – vor allem in Nord- und Mittelböhmen, Mähren und den industriell geprägten Landesteilen – klar dominierte, blieb sie in den Großstädten deutlich schwächer. In Prag und Brünn setzte sich SPOLU durch, das dort auf ein eher liberal-urbanes Publikum bauen konnte.

Mit knapp 69 Prozent lag die Wahlbeteiligung auf einem der höchsten Werte seit der Gründung der unabhängigen Tschechischen Republik.

Schwierige Mehrheitsbildung

Eine Regierungsbildung dürfte trotz des deutlichen ANO-Siegs kompliziert werden. Andrej Babiš hat angekündigt, eine Einparteienregierung bilden zu wollen, doch dafür fehlen ihm 21 Sitze zur absoluten Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Rechnerisch möglich wäre eine Koalition mit SPD und Motoristé, ein Bündnis mit der radikalen SPD gilt allerdings als politisch heikel. Unter anderem fordert die Partei sowohl einen Austritt aus der Europäischen Union als auch der NATO.

Noch am späten Samstagabend nahm Babiš Gespräche mit beiden potenziellen Partnern auf. Die SPD signalisierte bereits, dass sie eine von ANO geführte Minderheitsregierung unterstützen würde. Eine Koalition mit den aktuellen Regierungsparteien schlossen Vertreter von ANO am Wahlabend erneut aus. Die Piraten wiederum schlossen eine Zusammenarbeit mit ANO kategorisch aus.

Regierungsparteien wechseln in die Opposition

Die bisherigen Regierungsparteien SPOLU und STAN signalisierten bereits, dass sie in die Opposition gehen wollen. Regierungschef Fiala gratulierte ANO zum Wahlsieg und stellte fest, dass es nicht möglich sein werde, auf der derzeitigen Grundlage eine Regierung zu bilden. „Das Ergebnis ist klar und muss demokratisch akzeptiert werden“, so Fiala. Über seine Zukunft innerhalb der ODS wolle Fiala in der Partei beraten. „Niemand sollte sich darauf freuen, dass ich resigniert oder müde bin. Ich bin es gewohnt, auch Minderheitsmeinungen zu vertreten“, betonte er. Er wolle weiter dafür kämpfen, dass das Land frei und westlich orientiert bleibt. Das Bündnis SPOLU habe seiner Meinung nach weiterhin Sinn.

Tschechien auf neuem Kurs?

Ob Andrej Babiš tatsächlich ins Amt des Premierministers zurückkehrt, hängt nun von den Gesprächen der kommenden Tage ab. Präsident Petr Pavel hat angekündigt, zunächst mit allen Fraktionen zu sprechen, um Möglichkeiten für eine neue Regierung auszuloten. Andrej Babiš versprach ihm, im Falle eines Regierungsauftrags eine Lösung für seinen Interessenkonflikt vorzulegen, die im Einklang mit den geltenden Gesetzen steht. Damit reagierte er auf anhaltende Kritik, wonach seine geschäftlichen Aktivitäten über den Agrofert-Konzern weiterhin Fragen zur Unvereinbarkeit mit einem Regierungsamt aufwerfen könnten.

Klar ist: Mit dem Sieg von ANO beginnt in Tschechien eine neue politische Etappe. Die bisher klar proeuropäische Linie Fialas könnte einem vorsichtigeren, nationaler geprägten Kurs weichen. Babiš hatte im Wahlkampf u. a. angekündigt, Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen.

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