Tschechien steht vor einem Regierungswechsel. Die Partei ANO von Premierminister Andrej Babiš landete überraschend auf dem zweiten Platz. Den Sieg trug das Bündnis SPOLU davon. Auf dem dritten Platz folgt die Koalition aus Piraten und Bürgermeisterpartei (STAN), mit der SPOLU Babiš ablösen möchte. Trotzdem könnte die Regierungsbildung schwierig werden.
Der Spitzenkandidat Petr Fiala wartete noch bis nach 18 Uhr, bis er sich mit seinen Verbündeten aus Christdemokraten (KDU-ČSL) und TOP09 bei der Wahlparty des Bündnisses SPOLU einfand. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich klar, was sich die letzten zwei Stunden bereits angedeutet hatte. In einer beispiellosen Aufholjagd hatte das Bündnis SPOLU die bis dahin führende ANO überflügelt. Die Auszählung war zuerst in ländlichen Gebieten und Kleinstädten beendet, wo ANO über 30 Prozent holte. Doch je mehr Wahlkreise in den Großstädten ausgezählt waren, umso mehr näherten sich ANO und SPOLU an. Nach 18.30 Uhr konnte Fiala den Wahlsieg des demokratischen Blocks ausrufen: „Beide demokratische Koalitionen haben im Abgeordnetenhaus die Mehrheit und daher die Chance, eine Mehrheitsregierung zu bilden“, sagte Fiala, der nun seinerseits beste Chancen hat, nächster Premierminister Tschechiens zu werden.
SPOLU holte laut vorläufigem Endergebnis 27,8 Prozent der Stimmen knapp vor ANO (27,1 Prozent). Die Piraten kamen gemeinsam mit der Bürgermeisterpartei STAN auf 15,6 Prozent. Als letzte Partei zog die rechtspopulistische SPD mit 9,6 Prozent ins Abgeordnetenhaus ein. Die bisher mitregierenden Sozialdemokraten (ČSSD) stürzten auf 4,6 Prozent ab und verfehlten den Einzug ins Parlament genauso wie die Kommunisten (KSČM) mit 3,6%.
Sieg der Westorientierung
„Die Westorientierung hat gesiegt. Eine Mehrheit hat für die klassische westliche Demokratie gestimmt. Babišs Kokettieren mit Viktor Orbán hat sich nicht ausgezahlt. Tschechien geht nicht den Weg Polens und Ungarns“, ordnete der Politologe Michal Klíma von der Metropolitan-Universität in Prag das Ergebnis ein. Einen gewissen Einfluss zumindest bei der Mobilisierung der Anti-Babiš-Wähler konnten auch die Enthüllungen der Pandora-Papers gespielt haben.
Das Ergebnis war dennoch eine faustdicke Überraschung. Bis zuletzt hatten Meinungsumfragen einen Sieg von ANO vorausgesagt. SPOLU lag in allen Umfragen klar dahinter. Doch bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am Samstagnachmittag deutete sich mit dem Ausscheiden der Sozialdemokraten und Kommunisten an, dass ANO die Regierungspartner abhanden kommen. Trotzdem lag ANO bei der Auszählung noch lange unangefochten vorn. Doch im Laufe des Nachmittags gaben die Auszählungen aus den Großstädten den Ausschlag, dass das Ergebnis von ANO schrumpfte, während SPOLU an die Spitze zog. SPOLU profitierte auch von der starken Wahlbeteiligung von 65,4 Prozent. Es war die dritthöchste Wahlbeteiligung seit Bestehen der Tschechischen Republik.
Wie verhält sich der Präsident?
Der demokratische Block rief noch am Samstagabend Präsident Zeman auf, Petr Fiala mit der Regierungsbildung zu betrauen. Doch auf dieses Anrecht pocht auch Andrej Babiš. „Wir haben ein ausgezeichnetes Ergebnis und nun ist es an Präsident Zeman, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt“, so der amtierende Premierminister.
Präsident Miloš Zeman kann dafür sorgen, dass sich die Regierungsbildung noch lange hinziehen kann. „Der Präsident hat die Mittel, eine reguläre Regierung zu verhindern“, sagte Tomáš Lebeda, Politikprofessor von der Palacký-Universität Olmütz (Olomouc). Unter westlichen Umständen wären die Karten für eine Regierungsbildung klar verteilt. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass Zeman nicht gewillt ist, an diese ungeschriebenen Gesetze zu halten und bestrebt ist, so viel wie möglich seiner eigenen Interessen durchzusetzen.
Wen Zeman das Mandat für eine Regierungsbildung überlasst, ist nicht vorgegeben. Zeman hatte immer betont, den Wahlsieger zu beauftragen. Der ist zwar nach den Prozenten SPOLU, doch aufgrund der Berechnungen nach den Ergebnissen in den Bezirken hat ANO sogar ein Mandat mehr (72) als SPOLU (71). Außerdem bleibt ANO die größte Einzelpartei. Die ODS als zweitstärkste Kraft hat nur 34 Sitze im Abgeordnetenhaus. Streng genommen würde Zeman also Wort halten, wenn der Auftrag an Babiš geht. Mit dem Premierminister wollte sich Zeman noch am Sonntag treffen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die angeschlagene Gesundheit des 77-jährigen Präsidenten.
Doch auch die siegreichen Wahlbündnisse tragen nun eine große Verantwortung, merkte Tomáš Lebeda an. Eine Fünf-Parteien-Koalition habe es in der Geschichte Tschechiens noch nie gegeben. Für das Bündnis spreche, dass die Parteien vor den Wahlen geschlossen aufgetreten sind.