Schild: "Unbefugten ist der Zutritt verboten!" - Bild: reklameobjekte.de

Die Tschechen wähnen sich national rein und fürchten alles Fremde.

Nein, dies soll ausdrücklich kein Artikel werden, der von den Problemen ablenken will, die die Deutschen zunehmend mit der wachsenden Zahl der Flüchtlinge haben, die nach Europa kommen. Das vornweg. Dies ist ein Artikel über die Tschechische Republik und die Ursachen der Probleme, die es dort gibt. Ähnlichkeiten vor allem mit dem Osten Deutschlands sind jedoch nicht ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil. Wenngleich in Tschechien bislang keine Asylunterkunft gebrannt hat oder von Gegnern lautstark belagert wurde.

 

 

 

Es ist bislang auch kein Auto von Leuten in die Luft geflogen, die sich für eine Willkommenskultur eingesetzt haben. Es gibt keine regelmäßigen Pegida-Demos, aber es gab immerhin eine Demonstration in Prag, auf der zwei auf Pappe gemalte Galgen mitgeführt wurden, die Politikern angedroht wurden, die sich für die Asylanten stark machen. Und es gibt Facebookseiten gegen Ausländer, die viele, sehr sehr viele Unterstützer haben.

Glaubt man einer aktuellen Umfrage aus den EU-Ländern, dann liegt Tschechien mit 81 Prozent der Bevölkerung mit Abstand an der Spitze derer, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind. In Deutschland sind das nur wenig über 50 Prozent. Das vehemente Nein muss erstaunen, sind es doch etwa 250 000 Tschechen (und Slowaken) gewesen, die in zwei Wellen – nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 und nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings 1968 – in beachtlicher Zahl aus ihrem Land geflüchtet und froh gewesen sind , dass sie vor allem in den deutschsprachigen Nachbarländern freundlich aufgenommen wurden. Viele leben dort bis heute.

Vielleicht wäre es gut gewesen, diese Tschechen wären alle nach 1989 in ihre Heimat zurückgekehrt. Dann könnten sie heute ihren Landsleuten davon erzählen, dass man mit Flüchtlingen auch anders umgehen kann, als es derzeit die Tschechen tun. 

Als die EU-Kommission den EU-Ländern Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen verordnen wollte, stemmte sich Prag vehement dagegen. Nicht allein, aber besonders hartnäckig. Um nicht als völlig unsolidarisch gescholten zu werden, erklärte sich Tschechien anschließend bereit, einmalig und über einen Zeitraum von drei Jahren1 500 Menschen aufzunehmen. Zum Vergleich: die Bundesrepublik rechnet allein für dieses Jahr mit mehr als 450 000 Asylanträgen, ist aber von der Bevölkerungszahl her nur achtmal größer als Tschechien. 

Für der Weisheit letzten Schluss hält man die gefundene Lösung in Prag jedoch nicht. Es wäre besser, heißt es, man würde in den Herkunftsländern die Lage soweit verbessern, dass die Menschen sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen. Ein Satz, den jeder unterschreiben würde. Doch ihn umzusetzen, ist weit schwieriger. Nicht für Präsident Miloš Zeman, der schon seit Jahren aus der Hüfte schießt und fordert, dem Islamischen Staat den Garaus zu machen. Tschechien will er bei der militärischen Aktion aber interessanterweise nicht dabei haben. Seine länger zurückliegende Ankündigung, in der Nähe der syrischen Grenze ein tschechisches Feldlazarett einzurichten, blieb bislang eine Ankündigung. Vermutlich würde ein einziges, noch so gut gemeintes tschechisches Lazarett auch nicht annähernd ausreichen, um den Nahen Osten und Nordafrika zu befrieden.

Ähnlich populistisch die vollmündige Ankündigung, Tschechien wolle sich genau aussuchen, welche Art von Flüchtlingen in das Land dürfe. Am besten schon in den Herkunftsländern. Dieser fromme Wunsch ist von der Wirklichkeit längst überrollt worden. Täglich kommen Menschen über Ungarn und die Slowakei nach Tschechien. Egal, welcher Hautfarbe oder Religion, egal, ob Kriegsopfer oder Wirtschaftsflüchtlinge. Unkontrolliert. Greift man sie auf, dann steckt man sie sofort in Abschiebe-Lager hinter Stacheldraht. Die bislang existierenden sind überfüllt. Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen, unter den Internierten und zwischen ihnen und der Polizei. Die meisten der Insassen wollen gar kein Asyl in Tschechien, sondern weiter nach Deutschland. Diejenigen, denen man nachweisen kann, dass sie Europa in einem sicheren Drittland betreten haben, versucht man zurückzuschicken. Diejenigen, die keinen Pass haben oder die nach Ungarn geschickt werden müssten – das niemanden mehr zurücknimmt – werden nach einiger Zeit mit einem Tschechien-Visum für zwei Tage ausgestattet und ungerührt vor die Tür der Abschiebelager gesetzt. Von dort aus machen sich die meisten Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland – ihr ohnehin eigentliches Ziel.

Bemerkenswert war die Aussage Zemans vom vergangenen Wochenende an die Adresse der in den Internierungslagern Sitzenden: „Niemand hat Euch zu uns eingeladen. Wenn Ihr schon hier seid, dann verhaltet Euch gefälligst nach tschechischen Regeln. Und wenn Euch die nicht passen, dann verschwindet von hier!“ Einigen Tschechen blieb daraufhin der Mund offen stehen. Die Mehrheit aber sieht es wie ihr Präsident. Selbst liberale Zeitungen schreiben, ein Präsident, der anders reden würde, würde damit nur zeigen, dass er die Mehrheitsmeinung seiner Landsleute nicht wahrnimmt.

Es gibt natürlich auch andere Stimmen. Wenigstens solche, die zu ergründen suchen, woher die Abneigung der Tschechen gegen alles Fremde und die schon absurde, panische Angst davor kommt. Sicher nicht daher, dass das Land schon jetzt in der Hand von Fremden ist. Die Zahl der Ausländer in Tschechien liegt bei gerade mal vier Prozent. Die meisten davon sind wohl gelittene Ukrainer, die unter anderem auf dem Bau unter unsäglichen Bedingungen Arbeit verrichten, für die sich die Tschechen zu schade sind. 

Woher kommt nun diese Abneigung? Zum einen ist da wieder die Politik zu nennen. Dort wird ohne mit der Wimper zu zucken Angst geschürt, dass mit den Einwanderern „Terroristen“ ins Land einsickern würden, die nichts anderes im Kopf hätten, als das schöne Tschechien in die Luft zu sprengen und vorher alles Weibliche zu schänden. Diese Menschen brächten zudem „Krankheiten“ mit, die man nicht heilen könne. Und überhaupt: diese Menschen passten auch kulturell nicht zu den Tschechen. Das erinnert an ein Papier, das man vor vielen Jahren Ausländern aus Nicht-EU-Staaten bei ihrer polizeilichen Anmeldung in die Hand gedrückt hatte. Da stand geschrieben, was der Tscheche an sich nicht gern habe. Etwa, wenn sich ein Fremder in den öffentlichen Verkehrsmitteln ungefragt neben einen Einheimischen setze. Der Tscheche an sich, so hieß es da weiter, sei Ruhe gewöhnt und reagiere zurecht genervt, wenn man diese Ruhe irgendwie störe. Das bizarre Papier mit sehr viel mehr unglaublichen Anweisungen wurde glücklicherweise irgendwann aus dem Verkehr gezogen.

Man braucht es auch gar nicht mehr. Eigentlich würde es genügen, wenn man jedem neuen Fremden mitteilte, dass er aus Prinzip unerwünscht ist. Die Tschechen haben sich über die Jahre daran gewöhnt, unter sich zu sein. Sie fühlen sich – selbstverliebt und reichlich von der Wirklichkeit abgehoben – als eine wirkliche Nation, die in einem richtigen Nationalstaat lebt, die mit sich selbst im Reinen ist und niemanden braucht, der ihnen sagt, wo es lang geht. Erst hatte man die Deutschen nach dem Krieg kollektiv verjagt, dann, mit der Teilung der Tschechoslowakei, auch noch die letzten einstigen Mitbewohner – die Slowaken. Da war man dann tschechisch rein. Blieben nur noch die Roma, die seit ewig angefeindet werden. Doch es gibt – glücklicherweise – seit Monaten keine Drohmärsche mehr in tschechischen Roma-Vierteln, keine Ankündigungen mehr, die „Unangepassten“ „ins Gas“ schicken zu wollen. Aber nicht aus Einsicht. Sondern schlicht aus dem Grund, dass man jetzt einen neuen Feind hat – die Fremden.

Als Deutscher in Tschechien ist man da mittlerweile immerhin noch fein raus: Als ich ein tschechisches Konto bei einer Bank einrichten lassen wollte, merkte ich in dem Geldinstitut, dass ich meinen Pass vergessen hatte. Auf mein Angebot, schnell den Pass zu holen, beruhigte mich die Angestellte: „Herr Schmidt, ich bitte Sie, Sie sind doch kein Ukrainer oder ein anderer Fremder, Sie sind Deutscher. Wenn Sie mir Ihre Adresse einfach sagen, genügt das völlig. Wie nehmen Sie Ihren Espresso? Schwarz oder mit Zucker? Möchten Sie vielleicht ein bisschen Sahne? Nehmen Sie in Ruhe Platz, wir regeln das alles.“ 

Der Fall zeigt: Tschechien hatte sich nach 1989 zwar schrittweise der Welt geöffnet, aber nur der westlichen Welt. Der große Rest hatte Pech und hat es bis heute. 

 

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