Foto: Demonstrant am 17. November mit Plakat "Präsident und Regierung locken uns Richtung Osten" - Bild: tra

Es war ein feierlicher Moment, als im amerikanischen Kongress dieser Tage feierlich eine Büste von Václav Havel enthüllt wurde. Als vierter Europäer nach Winston Churchill, dem ungarischen Revolutionär Lajos Kossuth und dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg steht Havel jetzt in Nachbarschaft zu US-Größen von einst wie Abraham Lincoln.

 

 

Havel wurde die Ehre aus Anlass des 25. Jahrestages der tschechoslowakischen „Samtrevolution“ zuteil. Hochrangige Gäste weilten der Enthüllung bei: von US-Seite unter anderen Unterhaus-Chef John Boehner, der Chef des außenpolitischen Ausschusses im Repräsentantenhaus, Ed Royce, oder die frühere, in Prag geborene Außenministerin unter Clinton, Madeleine Albright. Die Tschechen hatten neben Havels Witwe Dagmar, Premier Bohuslav Sobotka und Parlamentspräsident Jan Hamáček entsandt.

So angenehm dieser Termin für die Prager Gäste war – sie mussten sich bei ihrem Aufenthalt in Washington auch deutliche Worte der Sorge anhören. Der republikanische Senator John McCain etwa kritisierte sehr offen die devote Haltung des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman gegenüber Moskau, namentlich im derzeit zugespitzten Ukraine-Konflikt. „Dessen Worte sind sehr beunruhigend und äußerst außergewöhnlich“, sagte der frühere Präsidentschaftskandidat. Albright schoss sich wörtlich mehr auf Ungarns Premier Viktor Orbán ein, ergänzte aber: „Die Entwicklung in anderen Ländern Mitteleuropas ist für mich ebenfalls eine Enttäuschung.“ Damit hatte sie in erster Linie ebenfalls Zeman gemeint, obwohl sie aus Rücksicht auf ihren Geburtsort betonte, dass sie sich nicht in die tschechische Politik einmischen wolle. Die Anwesenden wussten aber, wen sie ungesagt an den Pranger stellen wollte.

Einen Termin bei Barack Obama bekam Sobotka übrigens nicht, obwohl der Zeit gehabt hätte. Der Premier aus Prag musste sich mit Vizepräsident Joseph Biden zufrieden geben. Bislang waren alles tschechischen Regierungschefs vom Präsidenten selbst empfangen worden. 

Am Donnerstag dann ein anderer Schauplatz: Kiew. Das ukrainische Außenministerium bestellte den tschechischen Botschafter ein, um dem das Missfallen über wiederholte moskaufreundliche Äußerungen Zemans mitzuteilen und zu erläutern. Die Prager Diplomatie bestätigte den unerfreulichen Termin, wollte ihn aber nicht weiter kommentieren.

Zeman hatte mehrfach in der jüngsten Vergangenheit eine sehr eigene Sicht der Dinge in der Ukraine geäußert. Russland habe damit gar nichts zu tun. Davon habe ihn jüngst erst Moskaus Außenminister Sergej Lawrow bei einem Vieraugengespräch überzeugt. Dem schenke er mehr Glauben als den Informationen der Nato. Im Grunde gehe es in der Ukraine schlichtweg um nichts anderes als einen „normalen Bürgerkrieg“, wie seinerzeit in Spanien. Deshalb seien auch die westlichen Sanktionen gegen Moskau ungerecht und zudem schädlich für alle Seiten. In Moskau wurde Zeman diese Woche regelrecht gefeiert, weil er solche Ansichten im russischen Staatsfernsehen auch noch auf Russisch zum Besten gab.

In undiplomatischer Mission

Dass derlei weder in Kiew noch in Washington unbeachtet bleibt, trägt Tschechien zunehmend den Ruf eines „unsicheren Kantonisten“ ein. Doch das liegt nicht nur an Präsident Zeman, auch wenn der jüngst auch in China für bemerkenswerte Schlagzeilen gesorgt hatte: Sein Aufenthalt dort biete ihm die Möglichkeit, von Peking zu lernen, wie man problemlos eine demokratische Gesellschaft aufbauen könne. Auch andere in Prag mühen sich redlich, das Bild der Außenpolitik zu zerstören, die einst von Havel geprägt worden war.

Regierungschef Sobotka und Verteidigungsminister Stropnický hatten für Erstaunen gesorgt, als sie einer denkbaren Stationierung von Nato-Einheiten in Tschechien im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise unmissverständlich eine Absage erteilten. Und dies mit der Begründung, die Tschechen hätten mit solchen Standorten auf ihrem Gebiet „Probleme aus Erfahrung“. Gemeint war damit der 22 Jahre andauernde Aufenthalt sowjetischer/russischer Truppen in der Tschechoslowakei nach der gewaltsamen Zerschlagung des Prager Frühlings. Da fragten tschechische Kommentatoren auch schon mal deutlich nach dem gesundheitlichen Befinden ihrer Politiker: „Weshalb sind wir in der Nato, wenn wir uns de facto von ihr distanzieren?“ Schon gar nicht verstanden die Journalisten den Hinweis auf die einstige Sowjetunion. Gerade die Tschechen, die ja von den Sowjets besetzt gewesen seien, müssten am ehesten verstehen, wie heute den Ukrainern zumute sei.

Hintergrund dieser außenpolitischen Wirrnisse an der Moldau: es gibt zunehmend Leute, die einen regelrechten Paradigmenwechsel wollen. Weg von der Havel’schen Politik, bei der die Menschenrechte im Vordergrund standen, hin zu einem Kurs, der nur noch „nationalen tschechischen Interessen“ entspreche, sprich: harten Wirtschaftsinteressen. 

Den Anfang damit machte der konservative Ex-Premier Petr Nečas, der es als „naiv und schädlich“ bezeichnete, wie einst Havel den Dalai Lama zu hofieren oder politische Gefangene wie die Mitglieder der russischen Frauen-Punk-Band Pussy Riot in den Himmel zu heben. Dies mache der tschechischen Witschaft Probleme, die sich auf diese Weise in China oder Russland gute Geschäfte selbst verderbe. 

Dieser neue Kurs wie jetzt im tschechischen Außenamt durch den 1. stellvertretenden Minister Petr Drulák fortgesetzt. Ihm zur Seite steht der außenpolitische Berater von Zeman, Hynek Kmoníček. Premier Sobotka, unter dem Eindruck der offenen Kritik seiner amerikanischen Gastgeber, rief aus Washington per Interview den in Prag sitzenden Drulák zur Ordnung. Drulák habe sich „als Angestellter der Regierung“ auch an die Beschlüsse dieser Regierung zu halten. Sobotkas Vorgehensweise ist höchst ungewöhnlich. Welcher Premier rüffelt schon aus dem Ausland einen stellvertretenden Ressortchef im fernen Prag? Am Ende, so spottete die konservative „Lidové noviny“, habe der USA-Aufenthalt Premier Sobotka zu einem „Haveljaner“ gemacht.

Nach einer solchen „Abwatschung“ wäre es dennoch logisch, wenn der so gescholtene stellvertretende Minister sofort seinen Hut nähme. Von Drulák aber ist derlei nicht zu erwarten. Das hängt damit zusammen, dass er mit seiner Meinung nicht allein da steht, vor allem auf der Prager Burg bei Zeman Unterstützung genießt. Diese Leute wissen zudem, dass sich Premier Sobotka in zwei Tagen schon wieder ganz anders äußern kann. Sobotka steht ja auch den Sozialdemokraten vor, in deren Reihen es sehr viele moskaufreundliche Politiker gibt. Bedenklich ist zudem, dass der Regierungschef von seinem wichtigsten Minister, dem Multimilliardär und Vizepremier Andrej Babiš, keinerlei Rückendeckung bekommt. Babiš hält sich als Finanzminister völlig aus der Außenpolitik heraus. Das ist auch deshalb bedenklich, weil er die mit Abstand besten Umfragwerte unter den tschechischen Politikern genießt und Premier und anschließend womöglich auch Staatschef werden könnte. 

Fakt ist, dass der Konsens über die tschechischen Außenpolitik nach Prägung Havels in Prag der Vergangenheit angehört. Er ist zerbrochen und geht jetzt in zwei entgegengesetzte Richtungen, wie Tomáš Klvaňa, einer der klügsten Prager Politologen am Freitag in der Zeitung Lidové noviny konstatierte. Klvaňas Warnung ist unmissverständlich und wird von vielen Tschechen geteilt: „Die Auseinandersetzung darüber, welche Richtung gewinnt, wird für Tschechien absolut entscheidend sein. Zeman und Genossen ziehen uns zurück in die zivilisatorischen Niederungen des Ostens, aus denen wir uns vor gerade mal einem Vierteljahrhundert aufgemacht hatten.“ Seinen Kommentar überschrieb der Politologe mit dem Titel: „Der steinerne Václav Havel in Washington lächelt traurig“. Treffender hätte er das nicht formulieren können.

 

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