Der Begriff „Knödelexpress“ wird Tschechien nicht gerecht, meint LandesEcho-Chefredakteur Manuel Rommel: Wer einen internationalen Fernzug auf einen kulinarischen Stereotyp reduziert, trägt zur kulturellen Verzerrung bei.
Er ist einer der letzten Orte im europäischen Bahnverkehr, an dem Reisende noch echtes Besteck, frisch gezapftes Bier und warme Mahlzeiten auf Porzellan serviert bekommen: der Speisewagen der Tschechischen Bahnen (České dráhy, ČD) auf der Strecke Hamburg/Berlin–Prag. Wer hier Platz nimmt, bekommt nicht nur Svíčková oder Gulasch, sondern ein Stück alteuropäischer Reisekultur zurück – höflich, gepflegt, preiswert.
Doch damit ist bald Schluss. Bis zum Herbst wird der legendäre Speisewagen auf dieser Strecke nur noch teilweise eingesetzt – und langfristig wohl ganz verschwinden. Ein Verlust, der vielen Bahnreisenden schwerfallen wird. Und umso absurder wirkt es, dass dieses Angebot in deutschen Medien immer wieder unter einem Kosewort firmiert, das kaum weniger deplatziert sein könnte: „Knödelexpress“.
Mal augenzwinkernd, mal vermeintlich liebevoll, meist einfach unreflektiert – der Begriff hält sich hartnäckig. Doch was zunächst wie ein harmloses Wortspiel klingt, ist bei genauerem Hinsehen mehr als nur ein schiefer Kalauer. Es ist ein Beispiel für die stereotype Reduktion eines Landes – und damit alles andere als harmlos.
Ein Begriff ohne Wurzeln
Zunächst: Niemand in Tschechien nennt diesen Zug so. Der Begriff „Knödelexpress“ ist keine Eigenbezeichnung der Tschechischen Bahnen, kein Insiderwitz unter Fahrgästen, kein geläufiger Spitzname. Es handelt sich um eine rein deutsche Erfindung – vermutlich von Journalisten oder PR-Abteilungen, um eine vermeintlich „osteuropäische“ Exotik in ein Wort zu pressen. Dabei ist das Bild so schlicht wie schief: Tschechien gleich Knödel gleich folkloristische Skurrilität.
Dass die tschechische Küche mehr kann als Knödel, ist längst bekannt – zumindest jenen, die sich ernsthaft mit dem Land und seiner Kultur beschäftigen. Und dass die Tschechischen Bahnen auf dieser Strecke einen der letzten klassischen Speisewagen Europas betreibt, wäre eigentlich ein Anlass zur Bewunderung. Stattdessen wird das Angebot mit einem kulinarischen Klischee verniedlicht und in eine folkloristische Nische gedrängt.
Das Stereotyp vom „gemütlich-rückständigen Osten“
Das eigentliche Problem liegt tiefer. Der Begriff „Knödelexpress“ bedient ein altes Muster in der deutschen, dabei vor allem westdeutschen, Wahrnehmung seiner östlichen Nachbarn: Sie werden nicht als gleichwertige Partner gesehen, sondern als kulturell rückständig, putzig oder eben „anders“. Es ist stets eine Sicht von außen, die mehr über den Betrachter als über das Betrachtete aussagt.
Dabei sind gerade die tschechischen Speisewagen ein Ausdruck von Servicequalität, die es in Deutschland schon lange nicht mehr gibt. Im ČD-Wagen wird (bislang) noch frisch gekocht – von echtem Personal, mit einem Lächeln, zu Preisen, die nicht an Flugzeug-Menükarten erinnern. Und ja, es gibt auch gezapftes Bier.
Dass ein solches Angebot dann aber mit einem spöttischen Spitznamen versehen wird, sagt viel über die Reflexe deutscher Medienkultur. Anstatt die Besonderheit zu würdigen, wird sie exotisiert. Anstatt über Infrastrukturpolitik, Zugverbindungen oder Qualität zu sprechen, geht es um die vermeintlich lustige Knödelwelt da hinten im Osten.
Respekt beginnt mit der Sprache
Natürlich ist es nicht verboten, mit Sprache zu spielen. Und nicht jeder ironische Begriff ist automatisch verwerflich. Doch gerade in der öffentlichen Berichterstattung, insbesondere im deutsch-tschechischen Kontext, sollte man sensibel sein für Sprache. Worte schaffen Bilder – und diese Bilder prägen unser Denken. Wer einen internationalen Fernzug auf einen kulinarischen Stereotyp reduziert, trägt zur kulturellen Verzerrung bei.
Warum also nicht einfach sagen, was ist? Die Tschechischen Bahnen betreiben (noch) einen Speisewagen auf der EC-Strecke Berlin–Prag, der zu den besten in Europa gehört. Punkt. Das ist weder altmodisch noch lustig, sondern schlicht bemerkenswert – umso bedauerlicher ist es, dass der Speisewagen langfristig von dieser Strecke verschwinden und nur noch auf innertschechischen Strecken eingesetzt werden soll.
Während der Abschied vom klassischen Speisewagen schwerfallen wird, kann der „Knödelexpress“ getrost in der sprachlichen Mottenkiste verschwinden. Denn wer Tschechien auf Augenhöhe begegnet, braucht keine kulinarischen Kosenamen. Der Blick über die Grenze beginnt mit Respekt – auch im Sprachgebrauch.
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