Ein Artikel der tschechischen Wochenzeitung „Reflex“ zu den bevorstehenden Europa-Wahlen spielt mit der Fremdenängstlichkeit der Tschechen und bringt unseren LandesEcho-Politik-Kommentator auf die Palme.
Die vergangenen Wahlen zum Europaparlament liegen schon ein paar Jahre zurück. Also dachte ich mir, machst Du Dich sicherheitshalber noch einmal schlau zum Wahlrecht für die EU-Ausländer, das selbstverständlich auch in Tschechien gilt. Der erste tschechischsprachige Artikel, der mir bei Google zu dem Thema empfohlen wird, stammt aus dem Archiv des Wochenmagazins „Reflex“, erschienen dort am 1. Februar. Und der hat mich so sehr geärgert, dass ich mich doch mal öffentlich aufregen muss.
Das geht schon bei der Überschrift los: „Werden bei uns Ausländer die Wahl entscheiden?“, wird da gefragt. Und weiter: „Können über das Europarlament auch Maltesen oder deutsche Touristen abstimmen?“
Überschriften sind immer so eine Sache, Journalisten wissen das nur zu gut. Es gibt vor allem in Boulevardmedien große Mannschaften, die sich allein mit Überschriften befassen. Sie sollen aufhorchen lassen, griffig sein, dürfen gern übertreiben. Hauptsache, der Leser sieht sich mehr oder weniger gezwungen, den Text sofort, ohne Verzug, zu lesen.
Im konkreten Fall funktioniert das prächtig: Die Angst der Tschechen vor allem und allen Fremden ist riesengroß. „Ohne uns über uns“ zu entscheiden – das ist ein Trauma vom feinsten. Das Land ist – wie man weiß – umlagert von ganzen Horden muslimischer Wirtschaftsflüchtlinge und potentiellen Terroristen. Gut, dass wir unseren tapferen, wenn auch nicht ganz fitten Herrn Präsidenten haben, der die Grenzen unseres schönen Landes höchstselbst verteidigen würde. Im Verein vermutlich mit diesem „reinblütigen“ Halbjapaner und Leuten aus den Reihen der Kommunisten, die schon 1989 richtig zugeschlagen haben.
Was man weniger weiß: Es leben in diesem schönen Land schon auch ein paar Ausländer, und zwar nicht zu knapp.
Doch da kann der „Reflex“-Autor erst einmal die größte Angst nehmen: „Ende August 2018 lebten bei uns legal zwar etwas mehr als eine halbe Million Ausländer (552.000). Die Mehrheit von ihnen stammt aber aus Ländern außerhalb der EU. ‚EU-Ausländer‘ sind hier nur ein bisschen mehr als 200 000.“ Da kann der Leser tief durchatmen. Ein bisschen mehr als 200 000? Das kann unmöglich reichen, unser Land zu übernehmen und unsere schöne, bewährte Ordnung auf den Kopf zu stellen!
Und der Autor hilft gleich noch nach, für die, die im ersten Moment von der Überschrift so sehr erschrocken waren, dass sie des Kopfrechnens nicht mehr fähig sind: „Also, selbst wenn im Extremfall alle (der in Tschechien lebenden EU-Ausländer) über 18 Jahre alt wären (was sie selbstverständlich nicht sind) und außerdem alle zur Wahl des Europaparlaments gehen würden, würden ihre Stimmen nur ungefähr 12 Prozent aller Wähler ausmachen.“ Und dann der allerwichtigste Satz: „Niemand muss also Angst davor haben, dass deren Anteil bei diesen Wahlen so wahnsinnig Punkte machen kann.“
Puhhhh, das sollte man sicherheitshalber mit mehreren Bierchen oder Slivovice begießen. Nach dem Motto: Der Kelch ist gerade noch einmal an uns vorbei gegangen. Diese EU-Ausländer sind wohl doch zu schwach, uns tapfere Tschechen frech „zu überstimmen“.
Außerdem – auch das hilft den immer noch verängstigten Tschechen erheblich weiter – könnten diese Fremden eh nur wählen, wenn sie 45 Tage vor den Wahlen als Individuen mit einem vorübergehenden oder ständigen Aufenthaltsrecht in unserer teuren Heimat registriert waren. Und dann gibt es für die, die „nicht unsere sind“, glücklicherweise noch eine weitere Hürde: Sie haben die Pflicht, sich in das Register der Wähler für das Europaparlament eintragen zu lassen. Das müssen sie nach tschechischem Recht spätestens 40 Tage vor den Wahlen erledigen.
Und – so erfährt der immer noch beunruhigte Leser weiter – wenn diese Ausländer denken, dass sie schon im Wählerverzeichnis stehen, weil sie schon mal an tschechischen Kommunalwahlen teilgenommen haben – dann irren sie sich. Denn: Kommunalwahlen und EU-Wahlen sind in Tschechien zwei völlig verschiedene Dinge! An dieser Stelle der Lektüre ist vermutlich ein weiterer froher Stoßseufzer der „reinen“ Tschechen zu hören.
Aber gleich werden wieder Zweifel gesät: Die Pflicht zur Registrierung im Wählerverzeichnis entfalle nämlich für die Ausländer, die schon bei den vergangenen EU-Wahlen gewählt haben. Da kann schon mal neuer Frust beim ängstlichen Tschechen aufkommen, nach dem Motto: Hätte man das nicht für alle verpflichtend machen können? Was macht der Gesetzgeber überhaupt in unserem einzigartigen Land, das wir um keinen Preis den „Fremden“ auszuliefern gedenken? Schlafen die nur? Oder wollen immer nur unserem tapferen Premier am Zeuge flicken? Oder die blöden Senatoren, die allen Ernstes unseren tapferen Miloš absetzen wollen?
Und dann kommt „Reflex“ noch mit einer anderen Schweinerei um die Ecke: Diese seltsamen EU-Ausländer können sogar selbst bei diesen EU-Wahlen kandidieren! Unglaublich! Wo leben wir denn, fragt sich da automatisch der neuerlich zutiefst erschrockene Jan Novak, der nie selbst politisch Verantwortung übernehmen würde, weil es doch viel schöner ist, in der Kneipe beim Bier über die „Oberen“ herzuziehen, zumal über die im EU-Parlament, das eh an allem Schuld ist, was in diesem Land nicht perfekt läuft.
Aber „Reflex“ kann auch da die Gemüter rasch beruhigen: Vor fünf Jahren waren unter den 849 Kandidaten aus Tschechien für das EU-Parlament „nur sechs Bürger aus anderen Mitgliedsstaaten der EU“. An dieser Stelle dürfte die allergrößte Angst vor dem schmachvollen Ende Tschechiens unter der Fuchtel der hier lebenden Ausländer verflogen sein.
Aber wer weiß, womit die Blätter hierzulande noch aufwarten. Bis zu den Wahlen ist noch Zeit. Und es gibt noch weit unseriösere Schriften als „Reflex“ in diesem Land.
Aber vielleicht sollte der Beitrag dieses Blattes ja auch nur dazu dienen, die „reinen“ Tschechen zu animieren, überhaupt auch mal selbst zur Wahl zu gehen. Vor fünf Jahren war die Wahlbeteiligung ja ziemlich erbärmlich gewesen. Die schlappen tschechischen 18,2 Prozent wurden nur noch von den Slowaken unterboten.
Also, liebe tschechischen Mitbürger: Gehen Sie wählen!
Der Autor dieser Zeilen, ein deutscher (!) EU-Bürger mit ständigem Aufenthalt bei Ihnen, geht in jedem Fall zur Wahlurne. Passen Sie gut auf, man weiß ja nie. Am Ende vertritt der sie künftig in Straßburg und initiiert von dort die feindliche Übernahme Tschechiens durch Deutschland. Hören Sie auf Ihren Ex-Präsidenten Klaus, der glücklicherweise immer wieder gern warnt: „Was die Deutschen nicht mit Hitler erreichten, versuchen sie jetzt mit Hilfe der EU.“ Und am Ende noch mit diesem Schmidt…
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