Plänen des tschechischen Schulministeriums zufolge soll das Lernen einer zweiten Fremdsprache an tschechischen Grundschulen künftig nicht mehr verpflichtend sein. Nachdem Lehrerverbände und eine Reihe von Institutionen eine Petition gegen die Pläne unterzeichneten, drückten nun ihren Unmut auch die Botschafter Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Italiens auf einem tschechischen Nachrichtenportal in einem gemeinsamen Kommentar aus, den wir hier für Sie übersetzt haben.
„Als Botschafter Deutschlands, Spaniens, Frankreichs und Italiens, also der EU-Länder, deren Sprachen im tschechischen Bildungssystem als zweite Fremdsprache unterrichtet werden, sind wir besorgt über die vorgeschlagene Reform, die den Unterricht einer zweiten Fremdsprache in der Grundschule von der Pflicht zur Option machen würde.
Wir teilen die Meinung der tschechischen Fremdsprachenlehrerverbände, die negative Auswirkungen auf die Ausbildung junger Menschen und einen absehbaren Rückschritt befürchten, sollte ein solcher Vorschlag angenommen werden.
Wir sind erstaunt, wie weit die vorgeschlagenen Lösungen von den bestehenden Gegebenheiten entfernt sind. Wenn tschechischen Schülern Probleme beim Erlernen einer zweiten Fremdsprache nachgesagt werden und sie als leistungsschwach gelten, sollte dann ein solcher Unterricht motivierten Schülern vorbehalten bleiben und für andere aufgegeben werden?
Wäre es nicht besser, nach Wegen zu suchen, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern: durch eine Erhöhung der Stundenzahl, durch die Förderung des frühzeitigen Erlernens von Sprachen und durch eine verstärkte Aus- und Weiterbildung der Sprachlehrer?
Dieser Vorschlag würde de facto dazu führen, dass die Zahl der Schüler, die eine zweite Fremdsprache erlernen, sinkt und damit auch die Zahl der Fremdsprachenlehrer und der Studenten, die sich für diesen Bereich entscheiden. Damit wäre die gesamte Ausbildungskette gefährdet und die jahrelangen Bemühungen um die Ausbildung von qualifizierten Sprachlehrern umsonst gewesen.
Gleichzeitig würde die Qualität dieses Unterrichts dauerhaft beeinträchtigt, da der obligatorische Zweitsprachenunterricht erst später, im Alter von 15 Jahren, beginnen würde.
Von allen Signalen, die dieser Reformvorschlag an Familien und junge Menschen senden würde, wäre das Schädlichste, dass die zweite Fremdsprache zweitrangig wäre. In einer globalisierten und wettbewerbsorientierten Welt ist die Kenntnis mehrerer Sprachen ein unbestreitbarer Vorteil. Englischkenntnisse sind sicherlich wichtig, aber sie reichen nicht aus.
Der Mehrwert eines jungen Arbeitssuchenden besteht nicht darin, dass er eine Sprache beherrscht, die jeder beherrschen sollte, sondern darin, dass er etwas qualitativ anderes bietet als nur einheitliche Englischkenntnisse. In einem Unternehmen, das für den internationalen Handel offen ist, ist die Beherrschung einer zweiten oder sogar dritten Sprache oft der Schlüssel zum beruflichen Aufstieg.
Die Tschechische Republik ist ein Champion des EU-Binnenmarktes, der 70 Prozent des Handels mit Waren und Dienstleistungen ausmacht. Ihre Wirtschaft ist sehr offen, aber auch eng mit anderen europäischen Volkswirtschaften verflochten. Wenn es darum geht, den Absatz im Ausland zu verbessern und neue Märkte zu erobern, kann die Wirtschaft dann auf Fachkräfte, die mehrere Sprachen sprechen, verzichten?
Wenn eine zweite Fremdsprache fakultativ ist, wird diese Änderung dazu führen, dass sich die Kluft zwischen Kindern aus Familien, die sich der Bedeutung von Fremdsprachen in der zukünftigen Welt bewusst sind, und Kindern aus Familien, die dies nicht sind, vergrößert. Der Vorschlag trägt den Keim der wachsenden sozialen Ungleichheit unter jungen Tschechen in Bezug auf ihre Bildung und ihre Berufsaussichten in sich.
Zu einem Zeitpunkt, an dem die Tschechische Republik den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen hat, stünde dieser Vorschlag in direktem Widerspruch zu den Entscheidungen, die von der Mehrheit der Länder in Europa geteilt und unterstützt werden. So hat die Europäische Kommission die Idee eines „Europäischen Bildungsraums“ vorgestellt, in dem es bis 2025 „für die Menschen üblich sein wird, neben ihrer Muttersprache zwei weitere Sprachen zu sprechen“ („Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur“, 2017).
Wir würden die Aufnahme eines Dialogs mit dem Bildungsminister begrüßen, um den Sprachunterricht in der Tschechischen Republik weiterhin zu unterstützen und zu fördern, was der Mehrsprachigkeit zugutekommen wird. Die Mehrsprachigkeit ist einer der Eckpfeiler unserer europäischen Zugehörigkeit: Sie sollte durch den obligatorischen Unterricht von einem möglichst jungen Alter an gefördert werden, um unseren jungen Menschen so viele Möglichkeiten wie möglich zu bieten. Der Erfolg und die Demokratisierung des Erasmus-Programms der Europäischen Union sind ein gutes Beispiel dafür.“
Andreas Künne, Deutscher Botschafter in der Tschechischen Republik
Ángel Lossada Torres Quevedo, Botschafter Spaniens in der Tschechischen Republik
Alexis Dutertre, Botschafter Frankreichs in der Tschechischen Republik
Mauro Marsili, Botschafter Italiens in der Tschechischen Republik
Der Kommentar erschien am 22. Juli 2022 in tschechischer Sprache auf dem Nachrichtenserver Novinky: https://www.novinky.cz/domaci/clanek/zachovejte-druhy-povinny-jazyk-pisi-velvyslanci-ctyr-zemi-40403656