Unter dem Motto „Kreuzungen“ beginnt am Freitag wieder „Meeting Brno“, das Brünner Kulturfestival zum Dialog zwischen Kulturen, Völkern und Religionen. In dessen Rahmen findet zum 17. Mal der „Versöhnungsmarsch“ statt, der an den Brünner Todesmarsch im Frühsommer 1945 erinnert. Das Festival bietet bis Ende Juli ein abwechslungsreiches Programm mit zahlreichen Veranstaltungen auch in deutscher Sprache.

Die mährische Metropole Brünn kann auf eine lange Tradition zurückblicken, in der verschiedene Völker und Kulturen wie selbstverständlich nebeneinander in der Stadt lebten und einander „kreuzten“. Mit der Vernichtung des jüdischen Lebens durch die deutsche Besetzung und mit der später folgenden Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung geriet das alte Brünn aber in Vergessenheit. An die alte, multikulturelle Geschichte Brünns möchte seit einigen Jahren das Kulturfestival „Meeting Brno“ anknüpfen und im Rahmen von vielen Veranstaltungen einen Dialog zwischen Kulturen, Völkern und Religionen bieten. An diesem Freitag, den 22. Juli 2022, startet unter dem Motto „Kreuzungen“ die diesjährige Ausgabe des Festivals. „Mendel, Iltis, Liechtenstein, Löw-Beer, Schindler, Bau, Lustig, Bach, Gutierrez, Vilchis, Mota – wichtige Persönlichkeiten, außergewöhnliche Ereignisse, unerwartete Begegnungen, hochwertige Kunst, fesselnde Geschichten, entdecktes Erbe, Kreuzung der Kulturen, schwierige Geschichte, unerbittliche Wahrheit, unverwechselbare Gene“, wirbt „Meeting Brno“ auf seiner Webseite.

Einige ausgewählte Programmpunkte:

Spaziergang auf den historischen Spuren der Sozialdemokratie in Brünn

Unter der Überschrift „Für Freiheit und Demokratie“ beginnt am Freitag, den 22.7., um 16 Uhr ein Spaziergang auf den historischen Spuren der Sozialdemokratie in Brünn. Den Spaziergang an die historischen Orte und Informationen über Persönlichkeitsschicksale der deutschen Sozialdemokratie in Brünn der ersten Tschechoslowakischen Republik führen der Historiker Dr. Thomas Oellermann von der Friedrich-Ebert-Stiftung Prag sowie Dr. Jan Budňák, Assistenzprofessor an der Brünner Masaryk-Universität. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit der Seliger-Gemeinde und des Deutschen Kulturvereins Region Brünn statt.

Konzert: Hugo Iltis für Gregor Johann Mendel

Der Brünner Biologe Hugo Iltis (1882-1952) war der Erste, der eine international beachtete Monographie über Gregor Mendel, den Vater der modernen Genetik, verfasste. Iltis war auch für die Organisation der finanziellen Mittel für das 1910 in Alt-Brünn enthüllte Mendel-Denkmal verantwortlich. 1922 hatte Iltis zudem eine tschechisch-deutsche Musikaufführung organisiert, um Mendel zu seinem 100. Geburtstag zu ehren. Jetzt, 100 Jahre später, bringt das Festival Meeting Brno das Kammerorchester der Akademie der Wissenschaften nach Brünn, um Gregor Mendel und Hugo Iltis zu gedenken. Das Konzert findet am Sonntag, den 24.7., ab 19 Uhr in der Alfa pasáž statt.

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Hugo Iltis gehörte zu den ersten Autoren, die den Begriff „Rassismus“ prägten. Nach dem Münchner Abkommen 1938 emigrierte Iltis in die USA. Foto: Meeting Brno

Neben dem Konzert des Kammerorchesters der Akademie der Wissenschaften bereitet das Festival die Ausstellung „Hugo Iltis für Mendel“ vor und zeigt die Uraufführung einer von Iltis’ Leben inspirierten Inszenierung. Daneben wird am Montag, den 25.7., ab 16 Uhr für Hugo Iltis und seine Familie in der Všetičková 13 (früher Lenaugasse) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturverein Region Brünn ein Stolperstein verlegt.

Spaziergang durch den Zentralfriedhof der Stadt Brünn

Am Sonntag, den 24.7., ab 15 Uhr findet ein Spaziergang über den in den 1880er Jahren gegründeten Brünner Zentralfriedhof statt, bei dem besondere Persönlichkeiten deutscher Nationalität entdeckt werden können. Zu diesen gehören unter anderen Ernst Johann Herring, Adolf Löw, Karel Wawra oder Adolf Ripka von Rechthofen. (Hinweis: Die Führung findet ausschließlich in tschechischer Sprache statt)

Diskussion: Wer pflegt das kulturelle Erbe?

Deutsche und Tschechen, Juden und Christen lebten früher Seite an Seite in Böhmen und Mähren, was eine einzigartige Kultur hervorbrachte. Die Entstehung und der Aufstieg der Nationen hat aber zu einem verengten Blick auf diesen kulturellen Reichtum geführt. Ist die nationale Sicht auf die Kultur überwunden? Wie kann sensibel mit diesem Erbe umgegangen und wie kann diese vermittelt und gepflegt werden? Darüber diskutieren am Sonntag, den 24.7., ab 17 Uhr der Literaturhistoriker, Schriftsteller und Vorsitzender des Adalbert-Stifter-Vereins, Dr. Peter Becher, die Lehrerin und Autorin der Projekte „Preßnitz lebt!“ und „Generation N“, Veronika Kupková, und der Historiker und Direktor des Collegium Bohemicum, Petr Koura. Moderiert wird die Diskussion von Tomáš Lindner, Redakteur der Wochenzeitschrift Respekt. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit mit der Ackermann-Gemeinde sowohl auf Deutsch und Tschechisch statt (mit simultaner Übersetzung).

Versöhnungsmarsch

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Anfang Mai 1945 waren Gewalt und Sterben auf dem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei noch nicht vorbei. Ab dem 31. Mai wurden mindestens 20.000 Brünner Bürger aus der Stadt auf einem Fußmarsch von 55 Kilometern nach Pohrlitz (Pohořelice) an der österreichischen Grenze getrieben. Der Zug bestand vor allem aus Frauen, Kindern, darunter viele Kleinkinder und Säuglinge, und alten Männern. Mindestens 1700 Menschen erlagen dabei den Qualen des Marsches, unterschiedliche Schätzungen gehen von bis zu über 5000 Todesfällen aus. Die meisten Opfer starben an Entkräftung, Hunger, Durst und Typhus; einige wurden wahrscheinlich durch tschechische Begleitmannschaften erschossen.

An dieses dunkle Kapitel in den tschechisch-deutschen Beziehungen erinnert seit einigen Jahren der „Versöhnungsmarsch“, der symbolisch in der umgekehrten Richtung verläuft. An der Veranstaltung beteiligen sich jedes Jahr Dutzende Zeitzeugen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Deutschland, Tschechien und Österreich. Dem Marsch kann man sich beliebig anschließen oder mit speziellen Buslinien, die an der Strecke pendeln werden, nach Brünn zurückkehren. Im Laufe der Veranstaltung pendeln Sonderbusse entlang der Route, sodass man sich dem Versöhnungsmarsch an einem beliebigen Ort anschließen oder ihn verlassen kann. Den Fahrplan finden Sie hier, die Karte hier.

Eröffnet wird der Versöhnungsmarsch am Samstag, den 23.7., um 9.30 Uhr in Pohrlitz.

Beim Versöhnungsmarsch 2021. Foto: Jakub Šnajdr

Beim Versöhnungsmarsch 2021. Foto: Jakub Šnajdr

Alle Veranstaltungen im Rahmen des Festivals „Meeting Brno“ finden Sie hier: https://www.meetingbrno.cz/de/events/

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